Monofunktional: Roland Stimpel
Als Architekt war Hans Scharoun genial. Und im Städtebau? Das wissen wir nicht, weil er ihn nie praktizierte, sondern stattdessen die damals zeitgeistige Stadtverweigerung pflegte. Gleich nach Kriegsende freute er sich über die „mechanische Auflockerung“ der steinernen Stadt durch Bomben, und danach wollte er auch den urbanen Rest gründlich auflockern. Wo Berlin gewesen war, sollten Einzelhäuser als Inseln im Grün des Spreetals stehen, zwischen denen er „Bewegungen der Menschen im Kontinuum des Raumes“ vorsah. Stadt war Landschaft, und „die Landschaftsteile sind zwar maßstabsverschieden, aber nicht wesens-anders“.
Später bereicherte er das Konzept der Funktionstrennung. Le Corbusier hatte die Kultur vergessen; also entstand in Berlin das von Scharoun stark geprägte Kulturforum als eine Art Sondernutzungszone für Geistiges. Das Konzept taugt für den pensionierten Ganztags-Bildungsbürger, der morgens Kunst anguckt, nachmittags liest und abends Klassik hört (und der bereit ist, sich zwischendurch nur in Kulturkantinen zu ernähren). Fürs Bewegen im Kontinuum war eine Stadtautobahn vorgesehen, deren geplanter Kurve sich die Staatsbibliothek auf ihrer Ostseite schon mal anpasste. Mitten durchs Forum kam ein Autobahnzubringer; der ist da immer noch.
Heute heißt das Ideal „Dichte“ und der konsumkulturelle Leit-Bautyp ist das Einkaufszentrum. Scheinbar ein krasser Widerspruch zu Scharoun. Aber jetzt ist er dialektisch genial aufgelöst von Herzog & de Meuron, die den Wettbewerb um die Erweiterung der Neuen Nationalgalerie gewonnen haben. Sie füllen einerseits die Landschaft mit einem klassischen Einkaufsbau – die Außenform ein Mega-Lidl, die Gliederung die einer Mall nach dem „Knochen“-Prinzip der ECE: an den Enden die Dickbauten Philharmonie und Nationalgalerie, zwischen beiden durch den Neubau ein Längs- und ein Quergang, die sich am geistigen Food Court kreuzen.
Andererseits bleibt ringsum das Kontinuum des Scharounschen Raumes; urbanster Brennpunkt bleibt für immer die Bushaltestelle. Berliner und Besucher werden die Gegend auch künftig so wesensanders finden, dass sie nach ihrem Kultur-Erlebnis raschest möglich von hier flüchten. Der Geist des Ortes weht bald durch engere Freiräume. Aber es ist weiter der Geist Scharouns.
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Dem Autor wäre ein wenig mehr Wissen zu wünschen: natürlich hat Scharoun den Städtebau praktiziert, er war auch Professor für Städtebau an der TU! Das Bild des auf Einzelhäuschen reduzierten Berlins ist grundfalsch, die Arbeiten für die Siedlungszelle Friedrichshain oder für „Hauptstadt Berlin“-Wettbewerb sprechen eine ganz andere Sprache. Vielfältigkeit findet man da, Teppichsiedlungen und auch Hochhäuser, Nutzungsmischungen und Nachbarschaften.
Und es ist just sein Städtebau, welches beim Staatsbibliothek-Wettbewerb als allen anderen Entwürfen haushoch überlegen angepriesen wurde. Nicht nur der Räume wegen, aber auch für sie – hier sollte auch keine „Sonderzone Kultur“ entstehen, die nach Konzertende und Museumsschluß ausstirbt. Hier – war ein Forum gedacht. Und von den Zeitgenossen sehr wohl verstanden.
P.S. Es gab und gibt keinen Autobahnzubringer, dessen Kurve sich die Stabi anpaßte.