Text: Christoph Gunßer
Für die aktuelle Architektur der Kargheit hat Peter Hübner in vielen Fällen nur Spott übrig: „Wenn ich so die Wettbewerbsergebnisse anschaue, denke ich meistens: Das Krankenhaus habe ich schon gesehen, nein, das ist eine Schule. Die Schule habe ich doch schon gesehen, dann ist es ein Verwaltungsgebäude. Diese Schule habe ich schon gesehen, nein, es ist Wohnungsbau.“
Kurz: Alles sieht momentan irgendwie gleich aus, karg eben und kantig. Oft müsse man bei einem Gebäude „erst mal seinen Grips anstrengen, um zu wissen, wo vorne und hinten ist“ – als Architekt. Wie irritiert mögen da erst normale Menschen sein! Schüler zum Beispiel, deren „dritter Lehrmeister“ bekanntlich der Raum ist, in dem sie lernen. Darum ärgern ihn besonders „diese stupiden Schulbauten landauf, landab“, die für ihn „ein Verbrechen an unseren Kindern“ sind. Hier redet sich der mehrfache Großvater regelmäßig in Rage.
Nicht zuletzt wegen der Energieeinsparverordnung würden Schulen derzeit fast durchgängig als große Kisten geplant – mit 40 mal 60 Metern als üblichen Kantenlängen – in welche dann gern auch noch die Turnhalle integriert werde. Wettbewerbe schrieben weiter die Größen von Klassenzimmern vor und begrenzten den Anteil der – für das Schulleben so wichtigen – Verkehrsflächen gemäß den Schulbaurichtlinien auf zwanzig Prozent, mit der Folge, dass die Klassen zumeist an langen Fluren von 2,50 Metern Breite „strammstehen“. In konventioneller Schottenbauweise errichtet, seien diese „Kasernen“, anders als die Systembauten der 1970er-Jahre, später kaum veränderbar: „Wir betonieren damit ein veraltetes pädagogisches Konzept.“ Alternative Konzepte würden in Wettbewerben regelmäßig aussortiert.
Räume für ein anderes Lernen
Hübner muss es wissen. Seit 1982 betreibt er südlich von Stuttgart das Büro plus+ Bauplanung, das vor allem Kindergärten, Jugendhäuser und Schulen realisiert. Inzwischen liegt die Leitung des Büros zwar in den Händen von vier jüngeren Partnern, darunter sein Sohn Olaf, doch er berät und reist weiterhin durch die Welt in Sachen Schulbau. Als langjähriger Professor für Baukonstruktion und Entwerfen an der Uni Stuttgart hat er eine ganze Generation von Architekten geprägt und ist auch mit 77 Jahren bestens in der Szene vernetzt.
Seine frühen Selbstbauprojekte, etwa das „Bauhäusle“ auf dem Vaihinger Uni-Campus oder die Stuttgarter Jugendhäuser, sind legendär. Hübner, der in den frühen Siebzigern noch originellen Systembau mit Polyester und Pappe betrieb, zählte zugleich zu den Pionieren des computergestützten Entwerfens und konstruierte seine Projekte bei aller Vielfalt höchst rationell – im Gegensatz zu vielen anderen, die damals, dem Trend folgend, mit Holz zu basteln begannen.
Keine Angst vor Partizipation
Gleichwohl blieb Hübners Wirkungskreis seit den Neunzigern beschränkt: Vor allem Waldorfschulen und andere freie Träger rissen sich bundesweit um den bärtigen Schrat aus Schwaben, weil er ihre Ideen von ganzheitlichem Bauen ernst nahm und aus kargen Budgets Erstaunliches zu zaubern wusste.
Anders als die meisten Planer vermochte Hübner auch „normale“ Menschen mitzunehmen. Wo manche anderen Architekten nach gewonnenem Wettbewerb „den schlechten Geschmack der Leute“ fürchten und möglichst keine Kompromisse bei der Ausführung machen wollen, ging die Arbeit für Hübner erst richtig los: Der „Meister unordentlicher Häuser“, wie ihn der „Zeit“-Kritiker Manfred Sack einmal titulierte, schaffte es mit seinem Team immer wieder, Hunderte Kinder, Lehrer und Eltern in den Entwurfsprozess einzubinden und ihnen am Ende das Gefühl zu geben, „ihr Haus“ geschaffen zu haben.
Diese Häuser – oft sind es eher raffinierte „Häuserhäuser“ oder kleine Dörfer – werden in aller Regel geliebt und gepflegt. Vandalismus ist eigentlich nirgends ein Problem, und das nicht etwa, weil die Klientel rein bildungsbürgerlich wäre. Hübners Hauptwerke entstanden zuletzt in überaus rauen Kontexten in Gelsenkirchen und Moers.
Indes: Ein Projekt wie die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck mit ihren erst über die Jahre gewachsenen, gemeinsam mit den Schülern entwickelten Klassenhäusern „wäre heute nicht mehr denkbar“, meint Hübner. Das Verhältnis von Außenwandfläche zu beheiztem Volumen wäre aufgrund der Kleinteiligkeit nicht mehr EnEV-konform.
Wer in Schulen nur „Energiesparmaschinen“ sieht, verhindert solche offenen Konzepte. Dabei wird die Schule gerade wegen ihrer Offenheit als Quartiersmittelpunkt geschätzt und hat einen nachweisbar stabilisierenden Effekt auf diese „Bronx des Ruhrgebietes“. Die überaus vielgestaltige Anlage, von zwölf Mitarbeitern des Büros unabhängig voneinander betreut, vermittelt gerade deshalb eine dorfartige Geborgenheit, die einen „umarmt“, wie Hübner das unter Berufung auf neuere wissenschaftliche Studien nennt.
Unterstützung durch die Hirnforschung
Doch der Zeitgeist ging in eine andere Richtung. Ein bekannter und heute sehr erfolgreicher Münchener Architekt nennt die kleinteilig bunte, oft sägerau verbretterte Bauweise abschätzig „sehr Achtziger“. Die Architektur der kompakten „Klarheit“ setzte sich durch, sogar im Holzbau. Hübner, der durchaus auch Mies’ Werke bewundert, hält das für eine architektonische, nicht für eine bei anderen verbreitete Sichtweise. Der menschliche Sehsinn langweile sich einfach, sobald er zu viele gleiche Objekte – etwa gereihte Fenster – vor sich sehe, und verliere die Orientierung. Hübner versteht sich damit in der Tradition Hans Scharouns, Hugo Härings oder Rolf Gutbrods, zitiert aber auch Erkenntnisse der Hirnforschung, wonach Spiegelneuronen ein Gebäude als gestisch agierendes Gegenüber wahrnehmen. Und natürlich prägt ihn Hugo Kükelhaus mit seiner „menschengemäßen“ Lebensumwelt, die eine „Massenmenschenhaltung“ ausschließt. Trotz dieses Small-is-beautiful-Bauprinzips sind die Hübner’schen Schulen keineswegs teurer als die gängige Meterware.
Gleichwohl gibt er zu: „Wir sind auch strenger geworden.“ Die früher Hübner-typischen Holzfassaden finden sich nur noch selten. In ihrer Struktur bleiben die Konzepte aber über die Jahre ähnlich.
Still sitzen funktioniert nicht
Schuldig an der Misere sind in seinen Augen aber nicht nur enge Energie- und Schulbaurichtlinien oder allzu selbstverliebte Planer, die ihre Bauten übrigens bevorzugt menschenleer publizierten. Die stärkste Gegnerschaft im Schulalltag komme heutzutage oft von den Eltern, die eine strikte Vorstellung vom „richtigen“ Lernen hätten. Mit der Schulbürokratie seien sie sich einig: „Schule darf keinen Spaß machen.“
Die angeborene kindliche Neugier, der Erkundungseifer werde deshalb durch erzwungenes Stillsitzen frühzeitig gestoppt. „Kinder sind von Natur aus lernwillig. Das Eintrichtern von Wissen hat aber noch nie funktioniert.“ Hübner resümiert: Wir haben ein „miserables öffentliches Bildungssystem“ in „kalten, hässlichen Gebäuden“.
Viele Fachleute geben ihm recht: An den rund 40.000 Schulen in Deutschland gibt es nach aktuellen Schätzungen einen Sanierungsbedarf im zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich. Immer mehr Schüler werden für diese Art zu lernen künstlich ruhiggestellt – die Verordnung des Beruhigungsmittels Ritalin stieg seit 2000 um satte 700 Prozent. Unter den Pädagogen verdoppelten sich im gleichen Zeitraum die Krankheitstage: Dreißig Prozent klagen über psychische Probleme wie Burn-out. 5,5 Prozent der Schüler – das sind immerhin ein bis zwei pro Klasse – verlassen die Schule ohne Abschluss.
Woanders ist man weiter
Andere Länder glänzten daher nicht ohne Grund mit besseren Leistungen in den Pisa-Tests. Dort werde seit Jahren viel mehr Geld in bessere Lernbedingungen investiert und vor allem, das betont Hübner, auch räumlich experimentiert. Skandinavische Modellschulen schafften zugunsten von „Lernlandschaften“ Klassenräume ab; in Südtirol lasse man den öffentlichen Schulen seit einiger Zeit mehr Gestaltungsfreiraum und ermuntere sie so, ein individuelles Profil zu entwickeln.
Auch in Japan hat Hübner auf drei Reisen „extreme Anstrengungen“ erlebt, um dem wenigen Nachwuchs optimale Lernbedingungen zu schaffen. Auch hier baue man schon „Klassenzimmer ohne Wände“. Hübners kreatives Oeuvre wird dort durchaus wahrgenommen: Von seinem Buch „Kinder bauen ihre Schule“ wurden in Japan 2.000 Exemplare verkauft, mehr als hierzulande.
Wenn allenthalben über Apathie und Desinteresse von Jugendlichen geklagt wird, wäre es da nicht an der Zeit, ihnen mehr Freiraum bei der Gestaltung ihrer Lernumgebung einzuräumen? Sie einzubeziehen in eh’ nötige Sanierungen? Peter Hübner ist jedenfalls überzeugt: „Die Partizipationsprojekte sind unsere besten.“
Derzeit baut sein Büro nach langer Zeit wieder eine öffentliche Schule: In Oberursel war das Grundstück für die Ganztags-Förderschule „so schwierig, dass keine Kiste darauf passte“. Nun entsteht ein „gegliedertes Haus“ um einen zentralen Platz.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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