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Glas und Hass

Entgrenzung oder Verzerrung, Entspannung oder Lärm, Transparenz oder Transpirieren: ein kurzes Scherbengericht über Glashäuser.

01.02.20172 Min. Kommentar schreiben

Schlieren: Roland Stimpel

Angeblich ist es der Sichtbeton, der Freunde zeitgenössischer Architektur vom Rest der Menschheit trennt. Aber der Anblick von Beton wird längst allgemein toleriert, zumindest in Parkgaragen und Müllheizwerken. Schließlich ist er billig, praktisch und haltbar. Die wahre Trennwand zwischen den Architekturauffassungen ist auch hart, aber oft unsichtbar: Sie ist aus Glas.

Für die einen soll Glas den Widerspruch überwinden zwischen dem Offenen und dem Geschlossenen, zwischen Schutz und Freiheit. Es soll Schwerelosigkeit suggerieren und Räume weiten, wenn nicht entgrenzen. Die anderen fühlen sich hinter teurem Ganzglas den Blicken, den Sommerstrahlen und der Winterkälte von draußen ausgesetzt und von drinnen dem harten Echo aller Geräusche. Zwar bietet die Glasindustrie längst Gegenmittel, aber die machen es noch teurer.

Die Traditions-Avantgarde hält jedoch dran fest; schließlich war Deutschlands „Eröffnungsbauwerk der Moderne“, wie der Kritiker Manfred Sack es nannte, komplett verglast: Bruno Tauts Pavillon auf der Kölner Werkbundausstellung 1914. Taut war inspiriert von Paul Scheerbart, Dichter und Gründer des „Verlags deutscher Phantasten“, der „überall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur verdrängen“ wollte, auf dass sich „die Erde mit einem Brillanten- und Emailschmuck um­kleidet. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszudenken. Wir hätten dann ein Paradies auf der Erde.“

„Das bunte Glas zerstört den Hass“, reimte Scheerbart im Sommer 1914 über Tauts Pavillon – und irrte tragisch: Ein paar Wochen danach begann der Hass, nicht nur sehr viel Glas zu zerstören. Später sollte dieses dann wieder für Transparenz stehen, für Demokratie und Gerechtigkeit. Aber ach: Heute zocken Hegdefonds hinter Ganzglas, Donald Trump hat damit exzessiv gebaut und in Pjöngjang täuscht ein 330-Meter-Hotelturm seit sechs Jahren mit seiner Glasverkleidung vor, dass er auch innen fertig sei. Überall prallt der Blick des Volks zurück; im gefärbten, gebogenen Glas sieht man nur sich selbst, postfaktisch verzerrt und entstellt. Wer noch nie mit Ganzglas gesündigt hat (oder wer es bereut), der werfe jetzt den ersten Stein.

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