Text: Christoph Gunßer
Nicht nur Kleidung, auch die Architektur bedient das Distinktionsbedürfnis des Menschen, und zwar, allen Nachhaltigkeitsdebatten zum Trotz, in offenbar zunehmendem Maße. Immer rascher folgen die baulichen Bekenntnisse zum Anderssein heutzutage aufeinander, wenn auch nicht zweimal jährlich wie bei den Textilien. Doch dafür halten die zementierten Statements wesentlich länger.
Von Schwarzsehern und weißen Wänden
Wie etwa Schwarz: Was Architekten bislang bevorzugt am Körper trugen, tüncht man seit einigen Jahren plötzlich an die Bau-Körper. Ganze Fassaden und Dachlandschaften – anthrazit. Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen beeilten sich, ihre Putze mit Pigmenten vollzupumpen und die dunkelheitsbedingten thermischen Verformungen in den Griff zu kriegen. Bereits in den Siebzigern hatte es ja Ähnliches aus (anfangs asbesthaltigen) Schindeln und (giftigen) Holzschutzmitteln gegeben, doch daran wollte sich irgendwie niemand erinnern. Waren zuvor noch populäre Rot-Töne signalhaft im baulichen Einheitsbrei aufgetaucht, so galt nun unbunt als „cool“.
Schwarz hat tatsächlich das Zeug zur Avantgarde, wie hundert Jahre zuvor Corbus Weiß. Beide vereint die strikte Negation des Bisherigen als wesentlicher Zug des Modischen. Beide schockierten das Publikum. Damals wie heute beeilten sich Deuter, zeitgeistige Bezüge zur „neuen Gesellschaft“, zur Stimmungslage der Nation herzustellen, doch dürften die Beweggründe in Wahrheit ästhetischer Natur gewesen sein.
Schwarze Objekte verschwinden vor dunkler Kulisse, etwa am Waldesrand. Diesen Effekt kultivierten die Japaner seit Langem mit ihren rußgeschwärzten (und dadurch haltbar gemachten) Holzverschalungen. Tendenziell wirken schwarze Dinge kleiner, unaufdringlicher. Wenn heute allerdings ganze Baublöcke Schwarz beziehungsweise Dunkelgrau tragen (Beispiel L40 von Roger Bundschuh und Cosima von Bonin in Berlin), wirkt es nur noch so bedrohlich, trist und schwer, als lebten lauter graue Männer darin.
Für Le Corbusier war das Weiß hingegen Sinnbild der Dematerialisierung. Es stand für die Entkoppelung von Konstruktion und Fassade und eine – bautechnisch noch keineswegs realisierte – Leichtigkeit. In seinen fünf Punkten zur Architektur von 1923 erwähnt er zwar das Weiß nicht. Erst sein Exeget Sigfried Giedion sah darin die Emanzipation des Menschen von der Natur repräsentiert. Le-Corbusier-Forscher vermuten heute, dass ihn die in Weiß gehaltene Gesundheitsmode des Fin de Siècle dazu inspirierte. Bekanntlich war Corbu sehr modebewusst und nutzte die Möglichkeiten der Werbung: Vor seinen Häusern ließ er zum Fototermin elegant gekleidete Damen in aktuellen Automodellen vorfahren.
Es ist bezeichnend, dass Le Corbusier sich schon bald vom reinen Weiß abwandte und andere, skulpturalere Schwerpunkte setzte. Bereits in den 1920ern im „International Style“ kodifiziert, überdauern die weißen Villen indes bis heute als „zeitlose“ Uniform der Neureichen.
Konjunkturen: Mode und Technik
Im Bemühen, als Anbieter von Distinktion die Nase vorn zu haben, greifen Baumeister gern neue technische Mittel auf. Mag Le Corbusier bildsprachlich weiter gewesen sein als bautechnisch – seine so entmaterialisiert wirkenden Villen wurden bekanntlich noch konventionell gemauert –, viele seiner Nachfolger benutzten avancierte Materialien.
Eero Saarinen erkannte Ende der 1950er-Jahre Reiz und Nutzen von Corten-Stahl. Architekturfirmen wie SOM verhalfen ihm in den Sechzigern zum Durchbruch. Dann verschwand er wieder von der Bildfläche. In den letzten Jahren erlebt er unter den Distinktionsbedingungen des körperlosen Cyberspace eine gewisse Renaissance als lebendiges Material mit Bodenhaftung.
Holz kam in den späten Siebzigern als Konstruktions-, aber vor allem auch als Verkleidungsmaterial in Mode. Als „kritischer Regionalist“ zeigte man damit seine Abneigung gegen die sterilen Industrieprodukte, zu denen die Masse der Bauten geworden war. Die bald einsetzende silbergraue Patina galt als ökologisch und naturverbunden.
Dies war bald darauf gar nicht mehr schick. Ökologisches Bauen wurde zur Spielwiese der High-Techniker. Ästhetisch hielt eine kühle Glätte Einzug in die Baugebiete. Rebelliert wurde nun mit billigem Low-Tech-Material wie etwa Polycarbonat-Platten, die eigentlich im Gemüsebau zu Hause sind. Dass sie nicht lange halten, wiegt ihr geringer Preis wieder auf. Vermutlich wird unsere Neu-Gier danach eh etwas anderes bestaunen wollen.
Fruchtbare Zerstörung, wie sie das Bauen ja letztlich in Gang hält, hatte zuvor schon der Dekonstruktivismus zum Thema. Leider, aber verständlicherweise war das nur symbolisch-semantisch gemeint: Richtige Rempeleien oder gar Rückbau blieben aus. Die spießig-pompöse Postmoderne mit ihren pseudohistorischen Giebeln, Erkern und Säulchen blies man so immerhin vom Parkett. Stilistisch blieben die Decons eine Kurz-Episode.
Sowieso galt fortan das neoliberale Credo: „Anything goes“ – solange es sich verkauft. Und dafür sorgten immer mehr Kanäle und Gazetten: Architektur war plötzlich Teil des „Lifestyles“, sie taugte als medialer Aufreißer und Party-Gespräch.
Immer kürzer bis zum Sattsehen
Medienfassaden waren in den Neunzigern der letzte Schrei. Bei Tage sahen sie oftmals furchtbar banal aus, aber nachts bestanden sie aus nichts als Licht – wunderbar. Nur hatte man sich an dem Geflimmer irgendwann sattgesehen. Derart dekorierte Schuppen sind für Architekten ohnehin etwas unbefriedigend – das Flüchtige ist ihre Sache nicht. Dann schon lieber Steintapeten, wie sie Berlins Senatsbaudirektor Stimmann und die Investoren mögen. Beständigkeit und Solidität sind hier jedoch in vielen Fällen auch nur Zitate.
Die Launen von Architekten treiben seltsame Blüten: Seit einigen Jahren darf ein Dach ja keinen Überstand mehr haben, auch wenn das bauphysikalisch durchaus sinnvoll wäre. So wittert und trieft es halt allerorten, weil die Tradition ja nur „zeichenhaft“ zitiert wird. Bei der Verteilung der Fenster scheint Strenge dagegen oft gar nicht wichtig – die Öffnungen tanzen dann wie besoffen aus der Reihe, viele wirken geradezu hingekleckert, auch wenn das mit der inneren Organisation überhaupt nichts zu tun hat. Die Fensterlaibungen pflegt man nun oftmals nach alter Manier breit und zuweilen wulstig zu rahmen – die Welt scheint voller picture windows. Zuweilen schießen Teile des Bauvolumens gar, Schubladen gleich, weit aus der Bauflucht heraus – die Statik zeigt dann ihre Muskeln. Nur Laien wird es darunter mulmig.
Zu reden wäre noch von den Promotern der Blobs und von den Parametrikern. Dass die Rechner per se einen Sinn für Sinnhaftigkeit und Beständigkeit hätten, lässt sich kaum behaupten. Bislang scheinen die flüchtigen elektronischen Wunderwerke sich, von ein paar modischen Hinguckern abgesehen, eher wenig in Architektur niederzuschlagen.
Aktuell ist mehr ein sehr langlebiges Material im Kommen, der Dämmbeton: Er entspricht dem Wunsch nach – zumindest vermeintlich – einfacheren Konstruktionen und möglichst „brutaler“ Beton-Ästhetik im Stile der Sixties und verspricht Distinktion – vielleicht auch wegen der hohen Kosten.
Bei jedem dieser Trends wird das Sich-Abheben von der Masse so lange funktionieren, bis die Magazine das Thema hinreichend hochgepusht haben, mehr Bauherren auf diese Weise bauen, die Stückzahlen also die Preise sinken lassen. Dann ist es wieder Zeit, „eine neue Sau durchs Dorf zu jagen“, wie der Volksmund zu sagen pflegt. „Grün ist das neue Schwarz“, hieß es schon vor Jahren, um nach den trist-trüben Kisten begrünte Hochhäuser als das neue Nonplusultra zu propagieren.
Wohin mit der Mode von vorgestern?
Was pure Mode, was eine wichtig bleibende Entwicklung ist, lässt sich allerdings im Einzelfall schwer bestimmen. Problematisch wird es jedenfalls, wenn andere Trends an den vermeintlichen „Modellen“ vorbeiziehen. Wo das Neue nur an der Oberfläche blieb, lässt es sich im Zweifelsfall beheben: Die „Schwarzbauten“ von heute lassen sich zur Not umtünchen, rostige Stahlhüllen durch Edelstahl ersetzen. Bei Betonbauten ist das aufwändiger – siehe die Sanierungen von Bauten aus den schwer bausüchtigen Sixties. Dass Bauschutt heute den Löwenanteil unseres Mülls ausmacht, liegt an der Inflexibilität vieler Modelle von einst – sie werden lange vor der Zeit abgerissen.
Richtig kompliziert wird es, wenn die Mode ganze Raumcluster und Siedlungsmuster prägte: Die aufgrund ihrer extremen Raumtiefe fast lichtlosen Großraumbüros, ein Trend der Siebziger, sind nur schwer neuen Standards und Vorlieben anzupassen. Für angeblich zukunftsträchtige Autobahnlandschaften rissen Stadtplaner damals halbe Stadtviertel ab, die heute sehr begehrt wären. Dass der suburbane Häuslebau nun trotz „Landlust“ etwas aus der Mode gekommen ist, wird viele Kommunen noch teuer zu stehen kommen – wenn nicht zuvor eine neue Stadtflucht einsetzt.
Was also hilft gegen die Neu-Gier?
Eine Erkenntnis aus vielen Moden und Fehlprognosen könnte jedenfalls sein, flexibler, nutzungsneutraler und im Erscheinungsbild weniger zeitgeistig zu planen. Wird das langweilig? Langeweile kommt beim gewöhnlichen Stadtbenutzer und -betrachter weniger aus Zeitgeist-Mangel auf, sondern wegen zu viel Monotonie von Formen und Nutzungen. Oder man strebt gleich das Gegenteil an, plant den ästhetischen und technischen Verschleiß von Bauten gleich ein und sieht von vornherein eine niedrige Lebensdauer seiner Bauten vor. Auch das war ja um 1970 schon mal Mode. Allerdings schienen damals die Ressourcen noch unbegrenzt.
Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).
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