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Schön nachhaltig

Gemeinsames Ziel: Barbara Ettinger-Brinckmann und Alexander Rudolphi erklären, warum Nachhaltigkeit nicht ohne gute Architektur geht.

02.05.201710 Min. Kommentar schreiben

Wie passen Nachhaltigkeit und Gestaltqualität zusammen?

Durch die Mitgliedschaft der Bundesarchitektenkammer in der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen eröffnen sich dafür neue Perspektiven. Die BAK-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann spricht darüber mit ihrem Kollegen Alexander Rudolphi von der DGNB.

Interview: Roland Stimpel

Sie beide treten seit Jahren miteinander auf – etwa an einem gemeinsamen Stand auf der Immobilienmesse Expo Real. Jetzt ist die Bundesarchitektenkammer auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen geworden. Warum?

Ettinger-Brinckmann: Wir ergänzen uns inhaltlich einfach. Es geht nicht vorrangig um den Erwerb von Nachhaltigkeitszertifikaten, sondern vielmehr um den von BAK und DGNB verfolgten gesellschaftspolitischen Ansatz, Nachhaltigkeitskriterien bei Planung und Bau zu berücksichtigen. Wir Architekten sind angesichts des Klimawandels und der Endlichkeit der Ressourcen aufgefordert, nachhaltig zu bauen. Da ziehen DGNB und Architekten inhaltlich und fachlich an einem Strang. Bei beiden sehe ich hohe Kompetenz und großes Engagement für dieses zentrale Thema.

Rudolphi: Architekten haben bei der DGNB von Beginn an eine Schlüsselrolle gespielt. Insofern ist die Zusammenarbeit nur konsequent. Der Erkenntnisprozess, dass die technische Performance eines Gebäudes und dessen Gestaltqualität unmittelbar zusammengehören, ist in den letzten Jahren stark vorangeschritten. Dabei haben wir viel voneinander gelernt. So haben wir vor gut zwei Jahren gemeinsam mit der BAK und unter fachlicher Begleitung durch den Bund Deutscher Architekten ein Experiment gestartet: Wir wollten herausfinden, wie sich die gestalterische und baukulturelle Qualität von Gebäuden im Kontext mit der Nachhaltigkeit bewerten lässt. Lassen sich qualitative Bewertungen in das eher technisch geprägte Zertifizierungssystem überhaupt einbinden, ohne dass es zu falschen Aufrechnungen oder Konkurrenzen kommt? Hier sind viele kluge, kompetente und bedachte Menschen zusammengekommen und haben gezeigt, dass es geht. Das ist ein weltweit einzigartiger Ansatz im Rahmen einer Gebäudezertifizierung.

Finden Sie als Architektin, dass man Gestaltung zertifizieren kann?

Ettinger-Brinckmann: Ein rein technisches Zertifikat ist in meinen Augen nur wenig wert, wenn das Haus gestalterisch schwach ist und nichts zur Verbesserung seiner Umgebung beiträgt. Natürlich ist Qualität benennbar, wenn auch nicht durch die Addition von Zahlen, sondern mittels inhaltlicher Auseinandersetzung und Begründung. Wir begrüßen es außerordentlich, dass sich die DGNB diesem Thema geöffnet hat, und wir haben gemeinsam vier Kriterien definiert, mit denen sie die baukulturelle Qualität eines Gebäudes beurteilen kann: erstens seine Gestalt selbst, also vor allem Proportion und Komposition, Gesamtanmutung, Materialität und Detaillierung. Dann sein Inneres: Grundriss und Raumgestaltung, Orientierung und Raumbezüge. Als Drittes die Angemessenheit des Gebäudes für seine Aufgabe und seine Umgebung – vor allem seine Maßstäblichkeit, seine Einbindung, die Umsetzung der funktionalen Aufgabe und seine Beständigkeit. Und schließlich sein städtebaulicher Kontext, seine Erschließung und der Umgang mit Freiflächen. Das sind vergleichbare Kriterien und Bewertungsprozesse wie in Planungswettbewerben oder bei der Auszeichnung fertiggestellter Gebäude mit einem Preis.

Bisher haben Sie erst ein Haus nach diesen Maßstäben ausgezeichnet.

Rudolphi: Wir stehen ja ganz am Anfang, und das erste ausgezeichnete Gebäude ist ein sehr guter Anfang. Das 50hertz Netzquartier in Berlin erfüllt in hervorragender Weise alle technischen und funktionalen Nachhaltigkeitskriterien und ist darüber hinaus baukulturell hochambitioniert. Dafür hat es die Auszeichnung „DGNB Diamant“ verdient. Diese bekommen Gebäude, wenn sie ein DGNB Zertifikat in Gold oder Platin erhalten und darüber hinaus die genannten gestalterischen und baukulturellen Qualitäten erfüllen.

Bedeutet das: Technische Nachhaltigkeit ist für Sie die Basis, die Gestaltqualität dagegen nur ein Sahnehäubchen oben drauf?

Rudolphi: Nein, das ist sie definitiv nicht. Wichtig ist einerseits das sinnvolle Zusammenspiel der Themen und andererseits der Wille zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Es ist rein methodisch eine Herausforderung, beide Seiten zusammenzuführen. Aber wir sind hier auf einem guten Weg, weil wir jeweils den Kontext der verschiedenen Seiten verstanden haben. Was uns eint, ist das Streben nach Dauerhaftigkeit und Qualität.

Ettinger-Brinckmann: Jeder Euro für ein schlechtes Gebäude ist verschwendetes Geld, egal ob der Mangel nun ein technischer oder ein gestalterischer ist. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten; ein weitblickender Bauherr kann es auch nicht. Die Gestaltqualität sehe ich also als Conditio sine qua non. Tatsächlich wird ja gute Architektur auch die allerbeste Werbung für gute, nachhaltige Planung sein. Gemeinsam mit der DGNB setzen wir darauf, dass sich diese Erkenntnis bei Bauherren und Nutzern durchsetzt und damit auch Druck auf solche Investoren entsteht, die nur ein kurzfristiges Verwertungs- und Verkaufsinteresse haben.

Rudolphi: Wer billig baut, muss zweimal bauen – diese Erkenntnis verbreitet sich. Wir haben eine Phase reinen Investorenbaus hinter uns, bei dem das Kostenargument absolut im Vordergrund stand. Das hat sich ein Stück weit überlebt. Von Seiten der Öffentlichkeit gibt es höhere Ansprüche, und die Investoren merken, dass es sich lohnt, auf Nachhaltigkeit und Gestaltung zu achten. Unser Ziel ist es, hier frühzeitig Fehlentwicklungen zu vermeiden. Wir haben daher Handlungsempfehlungen entwickelt, um Architekten und ihren Bauherren bereits in einer frühen Planungsphase die Chance zu geben, Impulse von einer Expertenkommission zu erhalten und ihr Projekt zu optimieren. Das ist ein Schritt, der Architekten ganz nebenbei dabei hilft, ihrer gestalterischen Arbeit vor dem Bauherrn größeres Gewicht zu geben.

Ettinger-Brinckmann: In jedem Fall sind Bauherren der Schlüssel zur Baukultur – da können wir als Architekten und Ingenieure noch so qualifiziert und engagiert sein. Bauen bringt immer auch Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit mit sich, denn jedes Gebäude ist auch im Stadtraum wirksam. Manchmal muss man aber bei Bauherren intensive Überzeugungsarbeit leisten. Da setze ich auch auf die Kooperation mit Kommunalverwaltungen, zum Beispiel über Gestaltungsvorgaben und -satzungen und nicht zuletzt über Wettbewerbe. Ohne den Wert von Zertifikaten zu schmälern: Auch das Hervorgehen eines Gebäudes aus einem Wettbewerb ist bereits ein Gütesiegel, da hier kompetente Preisrichter sorgsam die beste Lösung für eine Bauaufgabe herausgefiltert haben.

Nach dem Start der DGNB gab es unter Architekten die Befürchtung, der Wunsch des Bauherrn nach einem Zertifikat führe zu Mehrarbeit, die im Zweifel nicht bezahlt werde. Auch neue Haftungsrisiken und die Zertifizierungskosten könnten das Budget für den Bau selbst schmälern.

Rudolphi: Genau das Gegenteil ist der Fall. Es war eine wichtige Leistung der DGNB, über das Zertifizierungssystem und die Benennung konkreter Kriterien viele Aspekte aus der Grauzone zu bringen. Eine konkrete Aufgabe lässt sich nun Punkt für Punkt formulieren und kann damit auch kostenseitig erfasst werden. Architekten können somit handfest begründen, welche zusätzlichen Leistungen sie möglicherweise erbringen müssen, für die sie dann ein Honorar abrechnen können. Mit anderen Worten: Unsere Arbeit hat nicht dazu geführt, dass jetzt für das gleiche Geld mehr geleistet werden muss, sondern sie hat Architekten und Ingenieuren zusätzliche Felder für ihre Wertschöpfung eröffnet.

Ist das nicht eine rosige Wunschvorstellung?

Rudolphi: Nein, ich erfahre es auch in meiner eigenen Ingenieurpraxis. Wenn ich früher mit Bauherren über höhere Qualität gesprochen habe, dann musste ich appellieren und grundsätzlich argumentieren, hatte aber oft keinen nachvollziehbaren Beweis in der Hand, dass es sich lohnte. Der Bauherr konnte das nicht rechnerisch nachvollziehen – er konnte mir nur glauben oder eben nicht. Wenn ein Bauherr aber heute das lebenszyklusbezogene System der DGNB anwendet und damit das Gebäude konkret bewertet, dann kann er sowohl die Sinnhaftigkeit seiner Investitionen als auch deren Auswirkungen auf die Betriebskosten oder die Werthaltigkeit beziffern. Das macht das Thema Bauqualität einfacher, transparenter und überprüfbarer.

Geht das auch mit Gestaltqualität?

Ettinger-Brinckmann: Natürlich kann man den Wert guter Architektur nicht einfach ausrechnen. Man kann aber auf Erfahrungen verweisen. Schön gestaltete Gebäude der Vergangenheit bleiben stehen und sind begehrt, auch wenn sie rein rechnerisch längst abgeschrieben sind. Quartiere mit hoher Architekturqualität sind begehrter; sogar für ganze Städte belegen Umfragen, dass diejenigen mit als stimmig und harmonisch empfundenen Stadtbildern am höchsten wertgeschätzt werden.

Rudolphi: Wir müssen darauf achten, dass wir die gestalterische Qualität nicht nur auf die Fassade reduzieren und die architektonische Leistung als reines Accessoire betrachten. Es geht ja genauso darum, die Nutzungsqualität und die technischen Komponenten in einem funktionierenden Entwurf zusammenzuführen. Es ist also viel mehr als das, was von außen sichtbar ist. Ein gutes Beispiel ist für mich das Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum Paul-Wunderlich-Haus in Eberswalde in Brandenburg. Es ist nicht nur mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit unserem Platin-Zertifikat, sondern es leistet auch städtebaulich viel: Eine Brache wurde gefüllt und belebt, neue öffentliche Räume definiert und die Aufenthaltsqualität im Stadtkern gesteigert.

Bietet die DGNB auch unmittelbar Tätigkeiten für Architekten?

Rudolphi: Neben der Zertifizierung haben wir mit der DGNB Akademie eine eigene Fort- und Weiterbildungsplattform. Über diese haben schon rund 3.000 Experten eine Zusatzqualifikation erwerben können. Darunter sind auch viele Architekten, die heute als DGNB Consultants oder Auditoren aktiv sind und neben ihrem Planungswissen das Know-how zum nachhaltigen Bauen und zur DGNB Zertifizierung einbringen. Im Rahmen der Fortbildung arbeiten wir im Übrigen bereits seit einigen Jahren eng und erfolgreich mit einigen Architektenkammern zusammen.

Können die DGNB und ihre Themen auf die Kammern auch zu viel Einfluss gewinnen?

Ettinger-Brinckmann: Ganz deutlich: Die DGNB hat keine exklusiven Rechte bei uns und akzeptiert das auch. Ich sehe nicht die Gefahr einer Vereinnahmung durch sie. Im Gegenteil: Es gibt auch Gebiete, wie etwa die Fortbildung, wo wir mit der DGNB, aber auch mit anderen Institutionen durchaus noch enger zusammenarbeiten und Doppelleistungen vermeiden können.

Die Nachhaltigkeits-Ansprüche werden auch durch Politik und Verwaltung immer höher. Wird die DGNB irgendwann überflüssig?

Rudolphi: Das wird sie sicherlich nicht. Ein Blick in den aktuellen Ressourcenbericht und die Nachhaltigkeitsziele der Bundesrepublik genügt, um zu sehen, dass wir insbesondere im Bestand noch vor enormen Aufgaben stehen. Die DGNB entwickelt sich kontinuierlich weiter, und so passen wir auch unsere Anforderungen immer wieder an. Das ist auch weiterhin notwendig, denn Ziele, die vor zehn Jahren noch ambitioniert waren, sind heute zur Regel geworden. Gleichzeitig stehen wir vor anderen, neuen Herausforderungen, wie der Frage nach der Effektivität. Pro Quadratmeter ist zum Beispiel vom Jahr 2000 bis 2014 der Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser in Wohngebäuden um 14 und 16 Prozent gesunken. Zugleich ist aber der Flächenanspruch pro Person um 18 Prozent gestiegen. Wir haben die Effizienz erhöht, haben aber am Ende effektiv nichts gewonnen. Das hat angesichts unserer Klimaschutzziele eine hohe Brisanz.

Ettinger-Brinckmann: Auch ich denke, dass wir mit reiner Effizienzsteigerung irgendwann nicht mehr weiterkommen. Zum einen verlieren wir das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Gebäudezwecken, wenn wir nur den Energieverbrauch in den Vordergrund stellen und darüber Nutzung, Wohlfühlen, technische Beherrschbarkeit und nicht zuletzt Gestaltqualität vernachlässigen. Zum anderen müssen wir jenem Phänomen mehr Aufmerksamkeit widmen, das Sie eben beschrieben haben – nämlich unsere architektonischen Mittel dafür einsetzen, dass wir ein nachhaltiges Optimum an Räumen haben und nicht einfach nur ein Maximum. Es geht nicht darum, Verzicht zu predigen. Sondern es geht darum, mit architektonischen Mitteln dafür zu sorgen, dass auch weniger Raum und Fläche mehr Lebensqualität und Nachhaltigkeit bedeuten kann.

INFO

Preiswürdig nachhaltig

Bereits zum fünften Mal ist der DNGB Preis „Nachhaltiges Bauen“ ausgelobt worden. Mit ihm werden Projekte ausgezeichnet, die in vielerlei Hinsicht nachhaltig sind: ökologisch, sozial und ökonomisch. Nicht zuletzt werden aber auch architektonische Gestaltung und technische Innovation bewertet. Mit dem Preis möchte die DGNB die besondere Stärke der deutschen Baubranche und deutscher Architekten auf dem Gebiet des nachhaltigen und gut gestalteten Bauens unterstreichen. Gefragt sind Neu- oder Umbauten, die in den letzten fünf Jahren in Deutschland fertiggestellt wurden. Eine DGNB-Zertifizierung ist keine Voraussetzung. Die Auszeichnung wird von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis in Kooperation mit der DGNB verliehen. Die Bewerbungsfrist endet am 26. Mai.
www.nachhaltigkeitspreis.de/bauen

Weitere Bilder des Stromnetzbetreibers 50hertz in Berlin finden Sie hier

 

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