Text: Dr. Volker Schnepel
Dass die EU-Kommission die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI lieber heute als morgen abgeschafft sehen möchte, ist bekannt. Das gegen die Bundesrepublik eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen angeblichen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsrichtlinie hat bislang dazu geführt, dass die Kommission im November 2016 beschlossen hat, Klage beim EuGH einzureichen. Dass dieser Klagebeschluss notwendig war, ist – so zynisch dies zunächst klingen mag – bereits ein großer Erfolg und der Standhaftigkeit der Bundesregierung zu verdanken. Bislang konnte sich die Kommission nämlich fast immer darauf verlassen, bereits mit ihrem durch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens ausgeübten Druck gerade bei Honorarordnungen freier Berufe früher oder später erfolgreich zu sein – um dann denjenigen, die weiterhin über eine verbindliche Honorarordnung verfügen, vorzuhalten, andere hätten diese schon abgeschafft. Aus welchen Gründen die Kommission die Einreichung der Klage gegen die HOAI zwar beschlossen, sie bislang aber noch nicht eingereicht hat, ist offiziell unbekannt. Dem Vernehmen nach ist der juristische Dienst der Kommission wegen des Brexits voll ausgelastet. Darüber, ob auch andere Gründe eine Rolle spielen, kann nur spekuliert werden.
„Solange der EuGH die von der Kommission behauptete EU-Rechtswidrigkeit der HOAI nicht festgestellt hat, ist sie als geltendes deutsches Recht anzuwenden.“
Bekannt ist hingegen, dass die deutschen Gerichte die HOAI bislang für EU-rechtskonform halten. In aller Eindeutigkeit hat vor Kurzem das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 13.4.2017 (Az.: 1 U 48/11) dies bestätigt. Wichtig ist diese Entscheidung aber vor allem deshalb, weil sie – an sich selbstverständlich – klarstellt, dass die endgültige Entscheidung nur der EuGH treffen kann. Dies bedeutet vor allem: Solange der EuGH die von der Kommission behauptete EU-Rechtswidrigkeit der HOAI nicht festgestellt hat, ist sie als geltendes deutsches Recht anzuwenden. Ein Vertragspartner kann sich auch nicht darauf berufen, zunächst das Ende des Vertragsverletzungsverfahrens abzuwarten und bis dahin die Anwendung der HOAI auszusetzen. Diese wichtige Aussage bestätigt die Einschätzung der meisten Fachleute und sorgt bis auf Weiteres für Klarheit bei einer wichtigen Frage: Selbst ein „negatives“ EuGH-Urteil hätte lediglich feststellenden Charakter, aber keine rückwirkenden Folgen für laufende Verträge. Die Bundesrepublik müsste lediglich nach angemessener Zeit für die Zukunft die EU-Rechtskonformität herstellen, wie immer diese aussehen mag.
Dieses Ergebnis des OLG Naumburg ist nicht nur juristisch sachgerecht, sondern auch politisch zwingend: Die Kommission ist an keinerlei Fristen gebunden. Sie könnte die Klage gegen die HOAI zum Beispiel auch erst in zwei oder fünf Jahren oder gar nicht einreichen, ohne dass das Recht hierzu durch den Zeitablauf etwa „verwirkt“ wäre. Würde die Aussetzung geltenden deutschen Rechts also bereits aufgrund der bloßen Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren (oder gar aufgrund einer bloßen Rechtsmeinung der Kommission) möglich sein, könnte die Kommission sich noch leichter durchsetzen als vorher, ohne eine eigene Niederlage vor dem EuGH riskieren zu müssen. Die BAK und die Länderkammern haben im Zusammenwirken mit der BIngK, dem AHO und allen Planerverbänden die Bundesregierung von Anfang an sowohl argumentativ als auch politisch unterstützt und darin bestärkt, an ihrer Rechtsauffassung festzuhalten. Unabhängig vom sowohl zeitlich als auch inhaltlich offenen Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens gilt es daher zu prüfen, ob und inwieweit die HOAI 2013 im Einzelnen angepasst, aktualisiert und inhaltlich verbessert werden kann. Das schließt zum Beispiel auch die Frage ein, in welcher Weise die durch digitalisierte Arbeitsmethoden (zum Beispiel BIM) entstehenden neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen in die HOAI zu integrieren sind.
Dr. Volker Schnepel ist Leiter der Rechtsabteilung der Bundesarchitektenkammer.
UPDATE
EU-Kommission verklagt Deutschland
Die Europäische Kommission geht den letzten Schritt in dem bereits 2015 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren und verklagt die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Aus Sicht der Kommission behindert die HOAI die Niederlassungsfreiheit durch ihre verbindlichen Mindestsätze. BAk-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann wies darauf hin, dass dieser Schritt der Kommission zwar bedauerlich, aber zu erwarten war: „Wir bleiben bei unserer Linie. Die Bundesregierung ist auf das Klageverfahren gut vorbereitet. Wie vor kurzem das OLG Naumburg gehen auch wir davon aus, dass die HOAI auch vor dem EuGH bestehen wird.“
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