Serielles Bauen im Wohnungsbau ist das Thema der Stunde. Wohnungsknappheit, steigende Mieten und der anhaltende Bedarf an günstigem Wohnraum in den Groß- und Universitätsstädten haben der Idee kostensparender Standardisierungsverfahren neuen Auftrieb gegeben, unbeschadet der städtebaulichen Erfahrungen, die mit den ostdeutschen Plattenbauten der 1960er-Jahre und den späteren westdeutschen Großsiedlungen verbunden sind. Ob Serialität mit Monotonie gleichzusetzen ist, dies ist bei der Beurteilung des neuen Trends nur eine von mehreren offenen Fragen. Eine andere wäre, inwieweit die Leistungen von Architekten bei typisierten Wohnungen in großer Stückzahl Anerkennung erfahren.
Keine neuen Plattenbauten
Der Begriff des seriellen Bauens allerdings ist unscharf. Er beinhaltet zum einen das Produkt, historisch gesehen in Deutschland vor allem die Normierung von Wohnungsschnitten im Siedlungsbau der 1920-er- und 1930er-Jahre. Zum anderen trifft er eine Aussage über die Produktion von Bauteilen, von Fenstern bis zu Fertigbädern, heute zunehmend die von kompletten Raummodulen, deren Arrangement und Addition flexibel ist. Und er umfasst darüber hinaus auch Planungsprozesse, einschließlich Ausschreibung und Vergabe. Vor Kurzem haben das Bundesbauministerium und der Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen ein Angebotsverfahren zum seriellen Bauen initiiert, das die Ausschreibung eines Rahmenvertrags vorsieht, der Planung und Bau umfasst und sich an Bietergemeinschaften von Architekt und Bauherr beziehungsweise an die den Bau ausführende Firma richtet (vgl. „Ausnahmeverfahren statt Regelverfahren“). Innovative Konzepte für mehrgeschossige Wohngebäude werden gesucht, auf die dann als Grundlage für ein Projekt schneller zugegriffen werden kann. Was das in der Zukunft konkret bedeutet, darüber wird derzeit diskutiert. „Wir sind gefordert, unseren Beitrag zum Bau kostengünstiger Wohnungen zu leisten, die möglichst schnell auf den Markt kommen. Vielleicht gelingt dies mit seriellen Baumethoden. Das muss jedoch mit hoher gestalterischer Qualität einhergehen. Es wird keine neuen Plattenbauten geben!“, so die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, zu den Zielen der BAK in dem Verfahren. Sie knüpft den Erfolg des Vorhabens auch an die Beantwortung städtebaulicher Fragen. Doch wo stehen wir eigentlich hierzulande beim architektonisch anspruchsvollen seriellen Bauen? Die Antwort fällt heterogen aus, wie der Blick auf einige jüngere Beispiele zeigt.
Mikroapartments in Hamburg
Ein größeres Projekt steht in Hamburg- Wilhelmsburg kurz vor der Fertigstellung.
In der Nachbarschaft des IBA-Geländes haben Sauerbruch Hutton 371 Mikroapartments aus komplett vorgefertigten Modulen entwickelt, die als Studentenwohnungen genutzt werden, später aber auch flexibel zu Wohnungen unterschiedlicher Größe für andere Zielgruppen kombiniert werden können. Die Fassade eines in der Mitte leicht geknickten Gebäuderiegels mit einer kammartigen Struktur besteht aus dunkel getöntem Lärchenholz. Auch im Inneren dominiert Holz; die konstruktiven Holzwände und Decken blieben sichtbar. Hersteller der Holzmodule ist das österreichische Unternehmen Kaufmann Bausysteme im Bregenzer Wald. Nach dem Bau der Betonsockelkonstruktion wurde der Bau in nur vier Monaten errichtet; der Quadratmeterpreis betrug lediglich 1.400 Euro pro Quadratmeter, obwohl, so der verantwortliche Direktor Jürgen Bartenschlag, das Projekt im Hinblick auf Ausstattung und Gestaltung der einzelnen, bezugsfertig angebotenen Wohnungen durchaus anspruchsvoll gewesen sei. „Vom Wasserhahn bis zur Steckdose haben wir hier alles inklusive Montage realisiert.“ Ein Vorbild für Form und Niveau der Modulbauweise war für die Architekten das BMW Alpenhotel in Tirol, das 2009 eröffnet wurde. Dessen in Massivholz- Modulbauweise vorgefertigte Zimmer aus heimischen Hölzern verbinden geringe Kosten mit Nachhaltigkeit und einer natürlichen Wohnatmosphäre. „Allerdings“, so Bartenschlag, „kann man Wohnungen in serieller Bauweise auf diesem Niveau in Deutschland an den Fingern einer Hand abzählen.“
Bremer Punkt
Aus einem Ideenwettbewerb, den die Bremer Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA
zur „Innenentwicklung“ (statt Nachverdichtung) einer Gartenstadtsiedlung der 1950er-Jahre ausgeschrieben hatte, sind in der Hansestadt inzwischen drei kompakte vierstöckige Punkthäuser (Grundriss 14 mal 14 Meter) in Modulbauweise entstanden, die eine exibel ausbaufähige Reihe von unterschiedlichen Wohnungstypen erlaubten. Ursprünglich sollten die bestehenden Siedlungen nur saniert und modernisiert werden, erzählt Projektleiter John Klepel von LIN Architekten. Erst im Lauf der Zusammenarbeit von Architekt und Bauherr sei die Idee gereift, die Prototypen zur Serie weiterzuentwickeln, mit einer sukzessiven Ausweitung der Zahl der Varianten von Wohnungstypen.
Schließlich erstellten die Architekten einen dierenzierten Grundriss- Atlas von Wohnungstypen, die durch eine geschickte Anordnung von Loggien und Fenstern den Eindruck von Monotonie erkennbar vermeiden.
Über den Quadratmeterpreis schweigt man, doch soll der Entwicklungsaufwand relativ hoch gewesen sein. Als Vorteil des großen Anteils an Vorfertigung (die tragenden Teile sind in Holzrahmenbauweise ausgeführt) wird die durch die kurze Bauzeit ermöglichte geringere Belastung für die Anwohner gesehen.
Aktuell benden sich sieben „Bremer Punkte“ in verschiedenen Ortsteilen der Stadt in Planung und Realisierung. Allerdings, so Klepel, diskutieren die Architekten im Büro ganz offen das neue serielle Verfahren: Der Bedarf sei sicherlich vorhanden, das Konzept widerspräche für manche letztlich aber doch der klassischen Vorstellung der individuellen Aufgabe des Architekten.
Bochumer Punkte
Ganz ähnliche Projekte wie in Bremen entstehen derzeit auch für das größte deutsche Wohnungsunternehmen Vonovia. Das Essener Büro Koschany & Zimmer Architekten hat Anfang dieses Jahres in Bochum – und inzwischen auch in Dortmund – Punkthäuser innerhalb bestehender Siedlungen in Holz- beziehungsweise Stahlskelett-Modulbauweise realisiert, bei denen die Vorfabrikation eine extrem kurze Bauzeit vor Ort von nur drei Monaten ermöglichte (Quadratmeterpreis circa 1.800 Euro). Auch hier wird eine umfangreiche Serie von Wohnhausprojekten avisiert.
Mindestens zehn weitere Projekte befinden sich bereits im Planungs- oder Genehmigungsverfahren. Das für Bochum entwickelte Modulsystem wird jeweils auf den Standort adaptiert. „Ich sehe durch diese neue Systembauweise den Architektenberuf definitiv nicht abgeschafft“, sagt Nina Bendler, Direktorin des Essener Architekturbüros. „Mit Bezug zum Standort ergeben sich immer wieder individuelle Modikationen – sowohl bei der Erschließung des Gebäudes als auch bei der Fassadengestaltung oder der Grundrissfigur.“ Auch die Wahl des Materials ergebe sich immer projektspezifisch, unter Berücksichtigung standortbezogener Kriterien. „Dabei spielen neben Brandschutzbestimmungen – die in den verschiedenen Bundesländern auch noch variieren – vor allem statische und logistische Zusammenhänge eine Rolle.“ Der Architekt habe in diesen Planungsprozessen unter anderem die Aufgabe, notwendige Qualitätsstandards sicherzustellen.
Allerdings sind die Bedarfe enorm. Auf 10.000 Wohnungen schätzt beispielsweise
Berlin den Jahresbedarf an Neubauten mindestens bis zum Jahr 2026; in Hamburg sind es zwischen 5.000 und 6.000 Wohnungen. Welche Flächen hierfür vorgesehen sind und wie variabel und standortbezogen letztendlich die Lösungen sein werden, wird wohl über ihre Qualität entscheiden. Professor Christian Schlüter von der FH Bochum sieht daher die Vorteile des seriellen Bauens eigentlich in erster Linie in einer durch die zunehmende Digitalisierung erhöhten Ausführungsqualität der Bauteilproduktion. Ob hingegen durch die geringe Bauzeit die Gesamtkosten maßgeblich reduziert werden, bezweifelt er: Die Bauzeit sei zwar verkürzt, dafür aber die Phase der Vorplanung ausgedehnt. Serialität in der Planung sieht er kritisch. Hier sei die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass versucht werde, an den Planungskosten, sprich den Honoraren der Architekten und Ingenieure, zu sparen, die im Schnitt 20 Prozent eines mittleren Bauprojekts ausmachen.
Container-Wohnungen in Berlin
Dass serielles Bauen manchmal auch Designqualitäten erreichen kann, beweist hingegen ein Berliner Projekt mit dem Material Stahl. „Deutschlands erstes Studentendorf aus Frachtcontainern“ nennt sich das Studentendorf EBA von Holzer Kobler Architekturen im Berliner Plänterwald, das nach Fertigstellung aus drei Gebäuderiegeln mit insgesamt Single- und Doppeleinheiten (25 bis 50 Quadratmeter) bestehen wird. Der erste Riegel ist bereits bezogen.
Der Hingucker sind die rostbraunen Cortenstahl-Fassaden, die mithilfe von Bolzen und Stahlschuhen fest miteinander verbunden sind sowie nach außen und innen versetzt, zu Teilen aufgeschnitten und raumhoch verglast wurden. Der Zugang zu den Wohnungen erfolgt über vorgelagerte Außentreppen.
Während der Kopfbau des ersten Riegels aus echten Frachtcontainern besteht, entschied man sich aus Kostengründen beim zweiten Bauabschnitt für eine serielle Vorfertigung der Container-Module. „Der Quadratmeterpreis“, so der Leiter des Berliner Büros Philip N. Peterson, „konnte von 2.000 Euro auf circa 1.600 Euro reduziert werden.“ Die nächsten beiden Riegel sollen außerdem noch durch Stege miteinander verbunden werden.
Die Lage in einem weitgehend grünen Umfeld und die gut angenommenen Kommunikationszonen der Laubengänge, auf denen man sitzen kann, stoßen auf großes Interesse. „Wir können nicht schnell genug bauen“, so Peterson, dessen Erfahrungen mit dem Metall ausgesprochen positiv sind. „Die Langlebigkeit und die Pegeleichtigkeit sind klare Vorteile des Materials.“ Hinzu kommt der „industrielle Charme“, der ein Grund dafür ist, dass Containerboxen immer wieder in Ausstellungs- und anderen künstlerischen Kontexten auftauchen.
Ein zweites, in ähnlicher Weise von Holzer Kobler Architekturen entwickeltes Projekt, ein preiswertes Hostel mit 188 Zimmern aus 25 Quadratmeter großen High-Cube-Seecontainern, ist im Frühjahr dieses Jahres eröffnet worden, thematisch passend in Sichtweite der Hafenkräne des Osteseehafens Warnemünde.
Frank Maier-Solgk ist Publizist zu Architektur- und Kulturthemen; er lebt in Düsseldorf.
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