Wenn sich Philosophen damit beschäftigen, ist Schönheit eine schwierige Sache. Kant nennt ein Urteil über Schönheit ein subjektives Geschmacksurteil, das jedoch den Anspruch hat, für die Allgemeinheit gültig zu sein. Ein gültiges Urteil erfordere ein Wohlgefallen (oder ein Missfallen) ohne alles Interesse am Objekt. Jetzt mag jeder sein Gewissen erforschen, ob er bei seinen Beurteilungen immer diese Reinheit des Gemüts aufbringt. Wir Normalmenschen fällen äußerst freigiebig Geschmacksurteile. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, wenn man bescheiden zugibt, dass jedes Urteil subjektiv ist und zu unterschiedlichen Zeiten anders ausfallen kann. Sind wir doch vom Zeitgeist oder von Moden abhängig oder gehen, manchmal auch unbewusst, unseren Interessen nach.
Ein Beispiel: Der österreichische Architekt Adolf Loos erlaubte sich 1910, am Michaelerplatz in Wien ein Wohn- und Geschäftshaus zu bauen, dessen Obergeschosse er ganz glatt und in Weiß gestaltete, ohne jedes Ornament. Loos war der Meinung, die Evolution in der Kultur sei gleichbedeutend mit der Entfernung des Ornaments aus dem Gebrauchsgegenstand. So schrieb er es 1908 in seinem Aufsatz „Ornament und Verbrechen“. Leider hatten die Wiener nicht die „modernen Nerven“, die laut Loos keine neuen Ornamente mehr ertragen, und protestierten.
Das Bauamt verweigerte die Gebrauchsabnahme und Kaiser Franz Joseph, der dem Looshaus gegenüber in der Hofburg wohnte, drohte mit der Vernagelung seiner Fenster. Loos beruhigte die Volks- und Adelsseele, indem er Blumenkästen anbrachte. Heute ist das Looshaus eine Inkunabel der Weltarchitektur. Es leitete eine neue Epoche der Baukunst ein und Generationen von Architekten haben es besichtigt. Das österreichische Bundesdenkmalamt, das übrigens in Teilen der Kaiserwohnung in der Hofburg residiert, hat das „hässliche“ Haus bereits 1947 unter Denkmalschutz gestellt.
Nun habe ich Sie in die dünne Höhenluft der Philosophie und die Tiefen der Volksseele mitgenommen, aber nur wenig über die Position der Denkmalpflege zur Schönheit ausgesagt. Die kann man schnell zusammenfassen. Jeder darf ein Denkmal schön oder hässlich finden, und auch Denkmalpfleger tun das gelegentlich. Ein Denkmal wird aber nicht wegen seiner vermeintlichen Schönheit ein Denkmal. Denkmalpfleger sind enttäuscht, wenn jemand einem Bau- oder Gartendenkmal den Denkmalstatus aberkennt, weil es angeblich hässlich sei, genauso wie ein Architekt enttäuscht ist, wenn jemand sein Gebäude mit einem Geschmacksurteil abtut und übersieht, dass er sich auch um Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit, Materialgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit gekümmert hat.
Die Denkmalschutzgesetze verlangen die Bewertung eines Denkmals als Geschichtsdokument. Je authentischer es ist, umso besser kann es diese Aufgabe erfüllen. Es kann Zeugnis sein für Sozial-, Wirtschafts-, Architektur-, Technik-, Städtebau-, Wissenschafts-, Kunst- oder politische Geschichte. Diese kann als positiv oder gar als heroisch bewertet werden, aber auch als unbequem, schmerzhaft oder mörderisch. Alle Geschichtsphasen werden durch Denkmale repräsentiert. Die Denkmallandschaft spiegelt die ganze Vielfalt des Lebens oder der Kultur der Vergangenheit wider. Als Richter über die Schönheit wird sich kein Denkmalpfleger aufspielen, er wird seiner Aufgabe nachgehen, die Geschichte zu erforschen und im Interesse der Allgemeinheit ihre bedeutendsten materiellen Zeugnisse zu bewahren. Er ist Historiker, der von den Höhen und Tiefen der Geschichte weiß und auch Denkmale kennt, die beide Dimensionen gleichzeitig bekunden. Gerade aber am Beispiel jüngerer Denkmale, etwa aus der Nachkriegszeit, der 1960er- oder 1970er-Jahre wird deutlich, dass das Vorurteil, ein Denkmal habe schön zu sein, auch heute noch weitverbreitet und womöglich gar nicht nachhaltig auszuräumen ist.
Jüngst wurde so die 1977 fertiggestellte und neu in die Denkmalliste eingetragene Berliner Wohnanlage von Jürgen Sawade „Wohnen am Kleistpark“ (auch Pallasseum genannt) abqualifiziert. Eine Abgeordnete fragte den Berliner Senat: „Kann nachvollzogen werden, dass diese Entscheidung (gemeint ist der Denkmalschutz, B.K.) nicht wenige überrascht hat, da diese Gebäude weithin als das Stadtbild nicht gerade verschönernd angesehen werden?“
Die Presse griff das Thema gerne auf. Wie soll nun der Senat antworten? Soll er etwa das Corpus Delicti einziehen wie in dem Gedicht über einen Lattenzaun von Christian Morgenstern? „Es war einmal ein Lattenzaun, / mit Zwischenraum, hindurchzuschaun. / Ein Architekt, der dieses sah, / stand eines Abends plötzlich da / und nahm den Zwischenraum heraus / und baute draus ein großes Haus. / Der Zaun indessen stand ganz dumm / mit Latten ohne was herum, / ein Anblick gräßlich und gemein. / Drum zog ihn der Senat auch ein. / Der Architekt jedoch entfloh / nach Afri- od- Ameriko.“
Vielleicht sollte der Senat die kaum allgemeingültig zu definierende Schönheit oder die Poesie anders als der entflohene Architekt im Zwischenraum, zwischen den Zeilen belassen.
Bernhard Kohlenbach, Denkmalpfleger, Berlin
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