Von Christoph Gunßer
Die Wanderjahre waren für Jan Dechow und Julia Buschlinger 2013 vorbei. Nach dem Studium an der FH Wiesbaden und Stationen in namhaften Großbüros in Holland, Belgien, der Schweiz und China (er) und als Projektleiterin eines Kindergartenneubaus in Frankfurt (sie) machte sich das Paar in Bischofsheim bei Mainz als MIND Architects Collective selbstständig. Den Anstoß dazu gab ein Investor, der sie ein hölzernes Apartmenthaus in Berlin planen ließ, später aber wegen schlechter Vermarktung einen Rückzieher machte. Ein weiterer Anlass für die Gründung war, dass sich das Duo ein Leben in China nicht vorstellen konnte. Dort war Dechow zuletzt bei Ole Scheeren beschäftigt.
Nun also Bischofsheim: Das eigene Büro- und Wohngebäude planten sich die Heimgekehrten mit Hilfe der Verwandtschaft selbst. Wo zuvor eine Doppelgarage stand, wuchs ein subtil eingefügter Holzmassivbau. Der eigentümliche Duktus mit großzügig fließenden Innenräumen machte rasch die Fachwelt aufmerksam. Die Architektenkammer Hessen reihte den Erstling 2016 unter die vorbildlichen Bauten ein; beim Deutschen Architekturmuseum und dem BDA stand er auf der Shortlist. Ein Iconic Award, ein German Design Award und der best architects Award wurden verliehen, die dafür üblichen hohen Kosten dem jungen Büro erlassen. Doch so lang die Liste der Ehrungen und Publikationen auch ist – größere Aufträge fehlen.
Entwürfe für kostengünstige Häuser fertigt das Architektenpaar derzeit viele, aber von solchen Aufträgen kann das Büro nicht leben, meint Dechow, das sei dann eher wie ein Hobby. „Je höher der Aufwand für die Kosteneinsparungen, desto geringer wird nach HOAI unser Honorar“, klagt Buschlinger. „Eine Beauftragung über alle Leistungsphasen ist meist nicht gegeben. Mitarbeiter können wir uns bisher nicht leisten, da die Einnahmen nicht kalkulierbar sind.“
Ein Teufelskreis
Gerade nach der intensiven Publicity kämen reichlich Anfragen potenzieller Bauherren: „Wir können uns die Akquise sparen.“ Ohne weitere Referenzen trauten diese dem jungen Büro dann oft doch nicht genug, klagt Dechow – ein Teufelskreis. Wer keine reiche Verwandtschaft habe, könne diese Referenzen einfach nicht bauen.
Öffentliche Aufträge für kleine Büros? Im Ausland geht das!
Bei öffentlichen Aufträgen versperrt die fehlende Erfahrung ohnehin den Zugang zu Bewerbungsverfahren. Selbst in Kooperation mit dem etablierten, international tätigen Büro COBE hat es MIND AC vor einiger Zeit nicht in die Auswahl für einen Wettbewerb in Mainz geschafft – „provinziell“ findet Jan Dechow das. Und offene Wettbewerbe mit hundert Teilnehmern, das tue man sich nicht an, sagt er. Große Büros wie OMA könnten Wettbewerbe über lukrative Großaufträge quersubventionieren und zahlten ihren jungen Teams kaum Salär – der Architekt hat es selbst erlebt. In der Schweiz gebe es bei Wettbewerben hingegen generell eine Aufwandsentschädigung durch den Auslober.
Dank seiner Auslandserfahrung ist Dechow gut vernetzt mit jungen Büros andernorts. In Belgien und Skandinavien kämen Newcomer leichter an öentliche Bauaufträge und könnten sich so profilieren, berichtet er. Dort genieße eine innovative Baukultur mehr Wertschätzung. Büros wie BIG, COBE oder ADEPT sind aus solchen Starterprogrammen hervorgegangen. „Der Teamgeist zwischen den etablierten und den jungen Büros ist dort viel ausgeprägter“, ergänzt Julia Buschlinger. „Es entstehen spannende Kollektive. In Deutschland ist das Konkurrenzdenken dagegen viel zu hoch. Jeder hat Angst, zu kurz zu kommen.“ Buschlinger und Dechow sind davon überzeugt, dass die heutigen Anforderungen in einem Kollektiv von Architekten und Spezialisten viel effzienter zu lösen sind – und tragen den Begriff daher im Büronamen.
Idealismus und Freiheit
In dieser eher prekären Situation blieb den Partnern vorerst nur, als zweites Standbein einen Lehrauftrag an der Hochschule RheinMain (sie) und eine Assistenz an der TU Darmstadt (er) anzutreten – sie brauchen das Geld. Also wechseln sie sich unter der Woche im Büro ab und arbeiten oft die Wochenenden durch. Den geräumigen Neubau teilen sie sich einstweilen mit einem Maklerbüro. „Hätte ich gewusst, wie stressig die Selbstständigkeit ist, hätte ich es vielleicht bleiben lassen“, meint Dechow heute. „Letztendlich lieben wir es aber, unser Büro zu führen“, insistiert seine Partnerin, „gerade dass wir unserem Idealismus folgen und die Freiheit haben, nur das zu verwirklichen, wo wir zu 100 Prozent dahinterstehen.“
Tatsächlich registrieren die Architektenkammern seit Jahren einen Rückgang bei den Büro- Gründungen. Als Start-up fühlten sich die beiden von der Architektenkammer anfangs auch ziemlich allein gelassen. So sei die Regelung, dass Absolventen nur vier Jahre lang Ermäßigungen bei Fortbildungen bekommen, realitätsfern, denn die meisten Abgänger machten sich erst nach einigen Jahren selbstständig:
„Als Gründer hatten wir in den ersten Jahren weniger Geld als im Studium“, erinnert sich die Chefin. Seit der Prämierung durch die Architektenkammer 2016 läuft es besser: „Momentan arbeiten wir mit der hessischen Architektenkammer sehr gut zusammen und werden unterstützt“, betont Buschlinger. So wurden sie zum DAM-Preis vorgeschlagen und in Vorträge einbezogen. „Das ist die beste Akquisearbeit, die wir uns vorstellen können. Es bietet die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit ein Gesicht zu bekommen.“
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