Von Stefan Kreitewolf
Von drei Seiten einsehbar sitzt Sebastian Schott an seinem Schreibtisch am Rand der Stuttgarter Innenstadt. Dass er in seinem „Studio“ im Erdgeschoss wie im Schaufenster arbeitet, ist Prinzip. „Wir wollen wahrgenommen werden“, sagt der 39-Jährige, der vor der Selbstständigkeit für renommierte Architekturbüros tätig war, „Transparenz ist unser Geschäftsmodell.“ Gemeinsam mit seiner Frau Iris, die zuvor in verschiedenen Architekturbüros in Niedersachsen arbeitete, führt er das Büro „sesa“.
Transparenz bedeutet für beide digitales Arbeiten. Anders als viele Berufskollegen, die die Digitalisierung als notwendiges Übel betrachten, sehen die zwei darin eine riesige Chance. Schott malt begeistert eine Zukunft aus, in der Bauherr und Architekt gemeinsam auf der Baustelle digital Wände einziehen und auf dem Tablet in Sekundenschnelle zwischen verschiedenen Innenausbauten springen können. „Ein Wisch und alles sieht anders aus“, sagt Schott, der an der ABK Stuttgart in der Klasse für innovative Bau- und Raumkonzepte/Digitales Entwerfen lehrt. „Wir wollen durchschaubare Prozesse, die den Bauherrn am Schaffensprozess teilhaben lassen. Das lehre ich auch“, sagt Schott, der zu der ersten Generation von Architekten gehört, die mit digitalen Entwurfswerkzeugen aufgewachsen ist.
Die sesa-Architekten nutzen selbst das Programm Rhinoceros. „Es unterscheidet sich von herkömmlichen CAD-Programmen, da man einfach komplexe Geometrien erzeugen kann“, sagt Schott. Diese ließen sich wiederum exakt kontrollieren. „Wir erarbeiten uns den Raum quantitativ und qualitativ durch räumliches Konstruieren“, berichtet der Architekt. Dabei arbeite er nicht mit Bibliotheken oder Bauteilen wie im CAD. „Die Software nutzen wir als konzeptionelles Entwurfswerkzeug – alle gestaltungsrelevanten Informationen werden im 3D-Modell getestet, weiterentwickelt und dann in die Planung integriert“, führt Schott aus. „Wir bewegen uns ständig zwischen den Welten. Parallel skizzieren wir mit der Hand und am Rechner und bauen auch physische Modelle – oder lassen sie mittels 3D-Drucker herstellen“, erläutert Schott seine Arbeitsweise. So überprüfe und hinterfrage er sich immer wieder selbst. Die Technik zur Erzeugung der Inhalte sei dabei zweitrangig. Die Qualität sei das Wichtigste.
Büro- und Ehepartner
Das kleine Büro hat sich auf die Leistungsphasen 1 bis 5 spezialisiert. „Unsere Bauherren wissen es inzwischen zu schätzen“, sagt Schott. Zu Beginn seien potenzielle Bauherren skeptisch gewesen und wollten „am liebsten alles aus einer Hand von einem Architekten ausgeführt bekommen“. Mit Überzeugungsgeschick räumten sie diese Bedenken aus. Mittlerweile zählen Wohnungsbau ebenso wie Ausstellungskonzepte, Innenausbau und -umbau sowie Neubauten für kulturelle Einrichtungen und Produkt- und Möbeldesign zum Portfolio.
Das habe alles aber einige Zeit gedauert, berichtet Schott. Als er 2012 eine Professur in Trier vertrat, nutzte er die Chance, die ihm das sichere Einkommen bot, und machte sich „nebenher“ selbstständig. Seine Frau zog mit und arbeitete parallel weiter in Teilzeit für andere Büros.
„Die ersten Monate haben wir nur an Wettbewerben gearbeitet“.
Daraus seien zwar zunächst keine Aufträge entstanden, „aber wir hatten den Kontakt zu potenziellen Bauherren und waren im Gespräch“. Das sei ein guter Startpunkt gewesen. Den ersten Auftrag des Büros, den Entwurf für ein Quartier mit 30 Wohnungen in Wesel am Niederrhein, sicherte sich sesa über einen direkten Kontakt zum Bauträger. Heute füllt sich das Auftragsbuch, das Büro trägt sich. „Wir haben uns mittlerweile ein gutes Netzwerk erschlossen“, sagt Schott optimistisch.
Privat- und Berufsleben zu teilen, ist für die beiden kein Problem. „Wobei wir natürlich durch Entscheidungen im Job auch die Konsequenzen im Privaten zu spüren bekommen“, sagt Schott. Prinzipiell freut ihn aber nach Jahren in anonymen Großraumbüros das familiäre Umfeld. „Bei uns ist es ganz normal, dass auch mal die Kinder durchs Büro rennen“, erläutert er. Das habe den Vorteil, dass die Familie trotz Selbstständigkeit und der Berufstätigkeit beider Elternteile viel Zeit miteinander verbringe.
Augmented Reality – „das nächste große Ding“
In Zukunft soll das Büro wachsen, wenn es das Auftragsvolumen zulässt. Mitarbeiter wollen die Stuttgarter erst einstellen, wenn sie sie auch anständig bezahlen können. Bis dahin sind sie froh, ihre eigenen Chefs zu sein. „So können wir neue Ideen viel schneller und besser umsetzen.“
Künftig möchten die beiden mehr mit Augmented Reality (AR) arbeiten. Sebastian Schott erklärt: „AR erlaubt es, ein reales Bild mit digitalen Informationen mittels Smartphone oder Tablet zu überlagern – in Echtzeit und vor Ort.“ In der Technik sieht Schott die Chance, digitale, dreidimensionale Darstellungen bei der Planung komplexer Bauprojekte direkt auf der Baustelle zu nutzen – der bisherige Medienbruch von oft dreidimensionalen Computermodellen zu zweidimensionalen Plänen, die zum Bau eines wiederum dreidimensionalen Gebäudes dienen, könnte so überwunden werden. Auch bei der Präsentation von Modellen ist das Verfahren nützlich, um schnell Änderungswünsche umzusetzen. „Zum Beispiel könnten so digitale Modelle mit physischen Gebäuden kombiniert werden, um den Auftraggebern direkt am Haus Gestaltungsmöglichkeiten zu zeigen“, erläutert Schott. Um die Zukunft Realität werden zu lassen, testen er und seine Frau derzeit passende Programme und technische Infrastrukturen. Aktuell sehen sie in AR einen großen Wettbewerbsvorteil. Deswegen arbeiten sie fieberhaft an der Erweiterung ihrer technischen Möglichkeiten. „AR ist das nächste große Ding“, ist sich Schott sicher. „Und wir werden dabei sein.“
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