Von Christoph Gunßer
Jessica Waldera hat Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften studiert. Ihre Leidenschaft für Architektur machte sie dann beruflich zum Programm. Um Wissen spielerisch und mit allen Sinnen zu vermitteln, engagierte sie sich zunächst beim Aufbau des MACHmit! Museums in Berlin, das Kindern Naturwissenschaft und Kunst vermittelt. Ihr Wunsch, solche pädagogischen Angebote auf die Architektur zu erweitern und den eigenen Kindern die gebaute Umgebung näherzubringen, ließ sie kleine Projekte in Kiez und Kitas beginnen. 2006 gründete sie schließlich die „kleinen baumeister“ – mit ihrem Mann Johannes, der als angestellter Architekt tätig ist.
Aus der Museumspädagogik, vor allem aber „aus eigener Faszination heraus entwickelte das Paar Programme, die bei Schülern und Kindergartenkindern das Interesse für Baukultur wecken sollen. Gemeinsam mit dem Nachwuchs gehen sie auf „Forschungsreisen“ in Stadtgeschichte, Architektur oder Design. Da erkunden Kinder erstmals mit Zollstock und Maßband ihre Kita, lernen einen Plan zu zeichnen, ein Modell zu bauen. Etwas älter, beginnen sie, Stadtpläne zu lesen und – zum Beispiel als „Stadtrebellen“ – in der Aktion „1 km² x anders“, ihr Viertel zu entdecken und spielerisch umzugestalten. Die Ergebnisse wurden 2015/16 parallel zur Ausstellung „Platz da! Kinder machen Stadt“ im Labyrinth Kindermuseum ausgestellt. Der Fachbereich „Architektur und Schule“ der Bauhaus-Universität Weimar war Kooperationspartner.
Mit Oberstufenschülern eines Steglitzer Gymnasiums begleitete das Team über zwei Jahre den Entscheidungsprozess zum Berliner Schloss. Als „Stadtschloss.Forscher“ interviewten sie die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und den Architekten Franco Stella, um sich selbst eine Meinung zu bilden. „Nur durch diese aktive Vermittlung einer kulturellen Bildung befähigen wir Kinder und Jugendliche zur Teilnahme an unserer Gesellschaft“, betonen die Walderas. Nicht weitere „große“ Baumeister sind also das Ziel, sondern selbstbewusste, kritische Bürger.
Dabei geht es im bunten Berlin zunächst oft um interkulturelle Teilhabe: Das Projekt „Wilhelm und Hedwig“ führte Kinder in die evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und die katholische Hedwigs-Kathedrale und brachte ihnen die Bauformen der Gotteshäuser näher. Für den Kinderkirchenführer „Wilhelm und Hedwig“ (Josef Fink Verlag), der die Ergebnisse präsentiert, bekamen die „kleinen baumeister“ 2016 den „Mixed-up-Preis“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung.
Verdienstvolle Aufgabe ohne viel Verdienst
Um solche Partnerschaften müssen sich die Macher indes ständig neu bemühen. Unermüdlich reichen sie Förderanträge bei unterschiedlichsten Stiftungen ein, um ihre Projekte realisieren zu können. Nur in einigen Fällen können Schulen und Kitas die Ideen mit Eigenmitteln umsetzen. Derzeit erarbeiten sie etwa mit Willkommensklassen in Charlottenburg-Wilmersdorf Stadtpläne, die Migrantenfamilien das Ankommen im Bezirk erleichtern sollen. Oft ist das Team in Brennpunktschulen engagiert, denn hier fließen Fördergelder. Projektwochen und Ferienprogramme sind andere wichtige Standbeine.
Bisher arbeiten eine Architektin und eine Sozialpädagogin als freie Mitarbeiterinnen für die „kleinen baumeister“. Sehr wichtig ist den Machern dabei der interdisziplinäre Ansatz. Auch bei den Schulprojekten beteiligen sie oft alle Fächer, von Mathe bis Sport. In ihrer kreativen Nische sind die „kleinen baumeister“ mittlerweile nicht mehr allein in Berlin. Der Bildungssektor gilt zudem als kompliziert. Im Bereich baukulturelle Vermittlung ist es inhaltlich schwierig, da man nicht uneingeschränkt zur Kunst gehört, in der Architektur aber bisher die Vermittlung keinen eigenen Stellenwert hat. Geplant ist daher, sich breiter aufzustellen, etwa Fortbildungen für Erzieherinnen anzubieten und weitere Bücher zu publizieren. Ihr Erstling aus dem Jahr 2013 „Häuser, Hütten und Paläste – Ideen für die Kita-Praxis“, der für Kinder ab fünf Jahren angelegt ist, wird viel gelobt. „Das Bewusstsein für unsere Arbeit ist gewachsen“, sagt Jessica Waldera zuversichtlich, denn sie „brennt“ für die Sache: „Wenn man die leuchtenden Augen der Kinder gesehen hat – da setzen wir etwas in Gang.“
Gewachsenes Bewusstsein
In diesem Sommer wollen sie auch wieder beim MakeCity-Festival („für Architektur und Andersmachen“) dabei sein und ein pädagogisches Begleitprogramm auf die Beine stellen – wenn sie Förderer finden. Viele neue Projekte sind geplant. Die Bundesstiftung Baukultur und einige Länderarchitektenkammern engagieren sich ja mittlerweile auch in Sachen Kinderbildung. Während dies bislang zum Teil noch ehrenamtlich geschieht, hoffen freie Anbieter wie die „baumeister“ auf eine Professionalisierung, die auch sie einbezieht.
Fast alle, die mitmachen, teilen die Neugier ihrer Begleiter, etwa für eine alte Ziegelmauer, verschiedene Säulenordnungen, Schinkels bröckelnde Bauten oder neue Brücken im Regierungsviertel. Weil das so gar nichts von gängiger Bespaßung hat, legen die Kinder gern das Handy weg und „lassen sich einfangen“, wie Jessica Waldera es nennt. Kinderfänger für die Baukultur – eine verlockende Aufgabe.
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