Interview: Brigitte Schultz
Zehn Jahre Bundesstiftung: Wo steht die Baukultur im Land?
Ettinger-Brinckmann: Die Stiftung ist ja aus einem Unmut herausgeboren, der Ruf nach Qualität war laut. Was sie in zehn Jahren erreicht hat, ist sensationell! Es ist eine breite Debatte entstanden mit einer Vielzahl von Kongressen, Werkstätten, Symposien und dem Baukulturbericht für den Bundestag. Überall in Deutschland machen sich Länder und Kommunen das Thema zueigen.
Nagel: Viele haben inzwischen zumindest eine grobe Vorstellung davon, was mit Baukultur gemeint ist. Man kann damit argumentieren.
Also alles gut?
Ettinger-Brinckmann: Die Gegenkräfte sind immer noch stark. Den ökonomischen Interessen, die das Bauen heute beherrschen, müssen wir ständig entgegensteuern und verdeutlichen, dass Architektur nicht nur ein kurzfristiges Investment ist.
Nagel: Bei dieser Verantwortung des Bauherrn setzen wir an, egal ob privat oder institutionell.
Ettinger-Brinckmann:</strong Man kann es nicht oft genug sagen: Eigentum verpflichtet, dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen. Jedes Bauen prägt den öffentlichen Raum. Leider haben wir wenige Instrumente, um auf diese Verpflichtung aufmerksam zu machen oder sie konkret einzufordern. In diese Lücke ist die Bundesstiftung gestoßen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie die Bauherren, die Investoren wirklich erreichen?
Nagel: Wir wissen, dass es genau diese Menschen erreichen muss. Zum einen finden wir immer mehr Gehör in der Immobilienwirtschaft, wir kennen uns in diesem Raum ganz gut aus. Zum anderen treten wir niedrigschwellig an die Häuslebauer heran, zum Beispiel in einer Kolumne in der Mitgliederzeitung der öffentlichen Bausparkassen mit über einer Million Lesern.
Ettinger-Brinckmann: Dass wir den Markt der „Häuslebauer“ als qualifizierte Architekten weitgehend verloren haben, ist ein großes und unübersehbares Problem. Genauso wie diePrivatisierungswelle des Baurechts.
Kann eine Stiftung bei solch grundsätzlichen Problemen etwas ausrichten?
Nagel: Die Frage ist: Wird man gehört oder nervt man? Deshalb muss man genau hingucken.Wir haben das Recht, den Baukulturbericht alle zwei Jahre dem Bundeskabinett und dem Parlament vorzulegen. Den nutzen wir nicht als Anklagepapier, sondern für strukturierte Überlegungen, die die Sache nach vorn bringen. Das hat jetzt zweimal stattgefunden, zu den Themen Großstadt und ländliche Räume. Und es findet Gehör: Die Abgeordneten nehmen sich dessen sehr an und vermitteln es an die Bürgermeister in ihren Wahlkreisen. So verfangen unsere Argumente, wenn viele sehen: Es geht besser.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Nagel: Gerade hat der Stadtrat von Dinkelsbühl einstimmig ein innerstädtisches Outlet-Center abgelehnt. Noch vor einem Dreivierteljahr sah das ganz anders aus. Wir konnten mit anderen zusammen Beispiele liefern, weshalb ein auf kurzfristige Rendite angelegtes Bauprojekt riskant ist für den Ort, und eine bessere bauliche Zukunft aufzeigen.
In welchen Bereichen haben Sie sich in den letzten Jahren besonders engagiert?
Nagel: 2015 haben wir uns sehr dafür eingesetzt, dass Provisorien für Geflüchtete nicht der Wohnungsbau der Zukunft werden. Das kam an und hat geholfen, das Schlimmste zu verhindern. Ein anderes Thema sind Infrastrukturbauten. Darüber reden wir seit zwei Jahren mit der Deutschen Bahn, die ja nicht nur Bahnhöfe, sondern auch Strecken, Brücken, Lärmschutzwände usw. baut. Das Gestaltungspotenzial dieser Ingenieurbauwerke mit der DB herauszuarbeiten, ist Ende letzten Jahres in Frankfurt erstmals gelungen.
Jetzt könnte man ketzerisch sagen: Kümmert sich um solcheThemen nicht schon die Bundesarchitektenkammer?
Ettinger-Brinckmann: In unseren Länderkammergesetzen steht natürlich auch die Förderung der Baukultur. Aber wenn wir dafür werben, kann man uns immer unterstellen, es ginge uns nur um uns selbst. Da ist die Neutralität und Unabhängigkeit der Stiftung sehrförderlich. Eine Bundesstiftung kann viel besser sagen: Lasst die qualifizierten Architekten ran! Und ihr Rederecht im Bundestag kann man nicht hoch genug bewerten. So einen Status haben die Kammern nicht.
Wie finanziert sich dieses Engagement?
Nagel: Gegenwärtig fördert der Bund die Stiftung jährlich mit 1,5 Millionen Euro. Hinzu kommen Projektmittel und Fundraising. Aber dauerhaft generieren wir Einnahmen aus der Mitgliedschaft im Förderverein, die zum Glück langsam anwächst. Derzeit haben wir etwa 1.100 Mitglieder.
Welche Rolle hat der Förderverein? Geht es vor allem um finanzielle Unterstützung?
Nagel: Nein. Man ist im politischen Umfeld nur so wichtig und wird gehört wie die Fachwelt, die hinter einem steht. Wenn Frau Merkel mit dem ADAC unterwegs ist, weißsie, dass dahinter 19 Millionen Mitglieder stehen. Oder der Mieterbund räuspert sich kurz und sagt „unsere drei Millionen Mitglieder“. Wenn wir sagen: „Wir haben 1.100 Mitglieder“, sagt Frau Merkel vielleicht höflich: „Das ist aber anständig“.
Ettinger-Brinckmann: Das sind noch viel zu wenig. Ich appelliere an alle Kollegen:Tretet dem Förderverein bei! Die Bundesstiftung ist ein unabhängiger Promoter auch unsererAngelegenheiten, den wir mit aller Kraft unterstützen müssen. Gerade jetzt, wo es bei den meisten ganz gut läuft, sollten wir daran mitwirken, dass gutes Bauen und Planen nicht gleich wieder vom Tisch gewischt werden kann, wenn es schwieriger wird.
Was bringt mir als Architekt die Mitgliedschaft im Förderverein?
Nagel: Man stärkt mit einem vergleichsweise niedrigen Beitrag die Arbeit eines Teams, das die eigenen Interessen voranbringt. Architekten sind ja häufig, zumal in kleinen Städten, Einzelkämpfer für gute Qualität. Da tut es gut, sich mit einem Verein rückzukoppeln, der das reflektiert. Der Förderverein ist ein inspirierendes Netzwerk aus allen Ecken des Bauens, das es an anderer Stelle meines Wissens nicht gibt. Und man kann natürlich, ganz pragmatisch, damit werben.
Ettinger-Brinckmann: Man kann das nicht in Euro messen. Je mehr die Baukultur ins öffentliche Bewusstsein kommt, desto deutlicher wird, dass man letztendlich gar nicht an qualifizierten Planern vorbeikommt. Und wenn sich die Qualität des Gebauten verbessert, nützt es auch uns Architekten. Unser Ruf ist nämlich gar nicht so toll. Wir werden mit jedem missglückten Bau, der herumsteht, identifiziert, egal, wie dieser entstanden ist. Wenn die Baukultur sich verbessert, bekommt auch unser Berufsstand ein besseres Ansehen.
Kann ich bei der Bundesstiftung anrufen, wenn ich in meinem Ort das Gefühl habe, die Baukultur geht den Bach runter?
Nagel: Das passiert ständig. Wenn es von bundesweitem Interesse ist, steigen wir in die Debatte ein. Im letzten Jahr habe ich etwa 80 Vorträge gehalten, um sozusagen über Bande etwas zu erreichen. Aber wir sind nicht nur als Troubleshooter unterwegs, sondern haben den Anspruch, selbst zu gestalten.
Welche Themen haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?
Nagel: Nachdem wir die räumlichen Perimeter Stadt und Land intensiv bearbeitet haben, kümmern wir uns stark um den Gebäudebestand. Da herrscht eine gewisse Einfalt. Daraus kann eine neue Architekturthematik entstehen. Und es führt uns auch zu der
Frage: Was ist eigentlich gute Gestaltung? Was ist Schönheit? Wir trauen uns inzwischen zu, das zu beschreiben. Gestaltqualität und emotionale Berührtheit durch Architektur werden in Zukunft eine größere Rolle spielen.
Ettinger-Brinckmann: Das ist auch mir ein wichtiges Anliegen, dass man über Schönheit sprechen darf und soll – ein ganz wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit. Vieles wird ja einfach irgendwo in den öffentlichen Raumgestellt: die ganze kleine Infrastruktur, Glas-, Papier- und sonstige Container, dieStadttechnik, Trafohäuschen, Postverteilerkästen, Schilder. Oder das Thema Verkehr: Sowohl mit der Autoinfrastruktur als auch mit U-Bahn-Eingängen und Haltestellen wird viel Stadtzerstörung betrieben. Soll heißen: Es gibt viel zu tun.
Nagel: Wir könnten beide gemeinsam ins Schwärmen geraten über die Möglichkeiten, die wir noch nutzen könnten. Aber dazu brauchen wir eben noch mehr Unterstützung durch diejenigen, denen das wichtig ist.
Förderverein
Der gemeinnützige Förderverein unterstützt die Ziele und die Arbeit der Bundesstiftung Baukultur. Die Mitgliedschaft kostet für Privatpersonen 90 Euro jährlich, für Studenten 20 Euro. Die Möglichkeit zum Beitritt, eine Übersicht der Mitglieder und weitere Informationen unter www.bundesstiftung-baukultur.de/foerderverein
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