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Verbindlich mit der HOAI

Die HOAI ist durch die Klage der EU-Kommission bedroht. Zeit für eine Reflexion: Was bedeutet die Honorarordnung eigentlich für das Bauwesen hierzulande? Und wo käme die Architektur ohne sie hin?

28.02.20186 Min. Kommentar schreiben

Von Klaus Wehrle

Eine so regional ausgeprägte und vielfältige Unternehmensstruktur wie in der deutschen Bauwirtschaft gibt es fast nirgendwo in Europa. Eine Vielzahl von unabhängigen kleinen und mittleren Unternehmen sorgt für einen erheblichen Wettbewerbsdruck, bei dem Baukonzerne nur bei sehr großen Projekten eine Rolle spielen. Das stützt auch die kleinen und mittleren Unternehmen im Bauhandwerk, die sich im Wettbewerb regelmäßig gegen Baukonzerne durchsetzen. Diese kleinteilige Struktur ist ein Bestandteil gelebter Demokratie in der Ökonomie, da viele Menschen und Unternehmen am Wirtschaftsprozess und an geschäftlichen Zusammenhängen beteiligt werden. Gerade beim baulichen Klimaschutz wird es auf eine leistungsfähige und vielfältige Bauwirtschaft in der EU ankommen. Neben den großen Bauaufgaben gibt es insbesondere im Bereich der energetischen Sanierung viele kleine Projekte, für die kleinere und mittlere Unternehmen prädestiniert sind. Die vielfältigen deutschen Unternehmensstrukturen dürfen nicht dadurch gefährdet werden, dass man mit dem Wegfall eines angemessenen Vergütungsrahmens wesentliche Akteure, wie Architekten und Ingenieure, aus dem Spiel nimmt.

HOAI garantiert fairen Wettbewerb

Das Leitprinzip des deutschen Vergabewesens ist die Trennung von Planung und Ausführung, die bis in die 1880er- Jahre zurückreicht und zu unserem wirtschaftskulturellen Erbe gehört. Den Erfindern dieses Prinzips war es wichtig, dass Planung und Vergabe von Bauleistungen unabhängig von den Lieferinteressen von Bauproduktherstellern oder am Bau agierender Unternehmen stattfinden – ausschließlich zum Vorteil des Auftraggebers.

Die Vorbereitung des Wettbewerbs in der Bauwirtschaft um die beste Leistung zu einem angemessenen Preis beginnt in der Planung durch Architekten und Ingenieure. Ihre von Lieferinteressen unabhängigen Leistungsverzeichnisse, die sie technisch und wirtschaftlich auswerten, ermöglichen die Vergleichbarkeit von Angeboten. Architekten und Ingenieure sind so ein systemimmanenter, unverzichtbarer Bestandteil des deutschen Vergabewesens und sichern die unabhängige Vergabe von Bauleistungen. Dieses System funktioniert nur, wenn eine wirtschaftlich unabhängige Grundlage jenseits der am Bau agierenden Unternehmen garantiert ist. Dazu sind für die Vergütung der Planer die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI ein verlässliches Instrument, das Wettbewerb und Verbraucherschutz sichert. Entfiele die Verbindlichkeit, wäre das System nicht mehr stimmig. Es bestünde die Gefahr der Einflussnahme durch Bauindustrie und Hersteller: Das setzt die Unabhängigkeit der Vergabe aufs Spiel.

Besondere Verantwortung als Sachwalter

Eine weitere Besonderheit im deutschen Bauwesen ist die unabhängige Stellung von Architekten und beratenden Ingenieuren, die als Sachwalter für ihre Auftraggeber agieren. Um dieses besondere Verhältnis im Sinn eines hervorragenden Verbraucherschutzes zu gewährleisten, ist die Vergütung innerhalb der Mindest- und Höchstsätze der HOAI wesentlich. Sie sichert die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Profession. Dem deutschen Architekten oder beratenden Ingenieur ist es aufs Strengste untersagt, Provisionen von Lieferanten oder Bauprodukteherstellern anzunehmen. Korrumpierbarkeit ist zum einen ein wesentlicher Ausschlussgrund aus der Berufskammer und zum anderen ein beruflich besonders verachtetes Verhalten.

Aus der Stellung als „Sachwalter“ gegenüber dem Auftraggeber hat der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahrzehnten eine besondere Sorgfaltspflicht formuliert, aus der eine Haftung resultiert, die über die eines Dienstleisters oder Werkleistenden deutlich hinausgeht. Die gesamtschuldnerische Haftung sorgt dafür, dass ein Architekt oder Ingenieur auch bei sehr geringem Verschulden (es reicht eine Verschuldensquote von einem Prozent!) zur Haftung für den Gesamtschaden herangezogen werden kann. Da von dieser Regelung oft Gebrauch gemacht wird, ist die Versicherungsprämie der Architekten und Ingenieure entsprechend hoch. Diese richtet sich nach den Sätzen der HOAI. Bei Unterschreitung der Mindestsätze kann der Versicherungsschutz entfallen. Ein Wegfall dieser Haftpflichtversicherung wäre eine deutliche Einbuße für den Verbraucherschutz. Die Vergütungsfrage kann also nicht losgelöst von der besonderen Stellung des Architekten und Ingenieurs, seiner Haftung und Verantwortung betrachtet werden.

HOAI sichert kleinteilige Bauwirtschaft

Die Abwägung für oder gegen einen verbindlichen Honorarrahmen geht mit der Frage einher, welche wirtschaftlichen Strukturen man für die gesamte deutsche und europäische Bauwirtschaft schaffen möchte. Will man die vorhandene kleinteilige Struktur in Deutschland erhalten, ist eine verbindliche HOAI zwingend, da sie eine vergleichbare Vergabe sichert. Die Abschaffung verbindlicher Mindest- und Höchstsätze fördert unweigerlich einen Konzentrationsprozess, der insbesondere der Industrie und den Konzernen zugutekommt, wie es in anderen Ländern zu beobachten ist. Zugleich geht ein solcher Prozess mit dem Verlust von Know-how und damit verbundenen Strukturen einher, etwa bei der Ausbildung junger Menschen.

Das Handeln der EU in Bezug auf die HOAI erscheint widersprüchlich: Zum einen werden durch verschiedene Programme kleine und mittlere Unternehmen gefördert. Zum anderen wird die Existenz vieler Unternehmen im Bereich Architektur und Ingenieurwesen durch die angestrebte Abschaffung des Vergütungsrahmens der HOAI bedroht. Damit verfolgt die Kommission im Kern rein neoliberale Absichten und zerstört die bauwirtschaftliche Struktur in Deutschland. Für den Verbraucher- und Klimaschutz sowie die Qualitätswahrung wäre das ein essenzieller Verlust.

Volkswirtschaftliche Relevanz

Schlussendlich stellt sich die volkswirtschaftliche Frage, ob durch die sukzessive Reduktion von Marktteilnehmern, die durch den Wegfall des Preisrahmens der HOAI erfolgen würde, der Preis für Bauleistungen für den Verbraucher nicht unnötig erhöht wird. Von dieser Entwicklung würden insbesondere Branchenriesen oder Konzerne profitieren. Damit ein System funktioniert, sind immer auch Regeln und Vorgaben notwendig. Die HOAI ist eine solche Vorgabe, um Marktwirtschaft im Baubereich mit der jetzt in Deutschland vorhandenen Struktur zu ermöglichen. Der binnennationale deutsche Markt bleibt im Baubereich mit der Honorarordnung für Marktteilnehmer aller europäischen Mitgliedsstaaten offen; jedes zugelassene Unternehmen kann sich ohne Restriktionen am innerdeutschen Wettbewerb beteiligen.


MEHR INFORMATIONEN

Die HOAI vor Gericht

Im Juni 2017 hat die EU-Kommission die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt, weil sie die verbindliche Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) aufrechterhält. Anfang September 2017 hat die Bundesregierung in der Beantwortung der Klage den Vorwurf, die HOAI sei europarechtswidrig, in vollem Umfang zurückgewiesen. Am 1. November 2017 hat die EU-Kommission beim EuGH ihre Erwiderung eingereicht. Die Bundesregierung wiederum hat die Möglichkeit genutzt, bis zum 11. Dezember 2017 eine Gegenerwiderung einzureichen. Das schriftliche Verfahren ist damit beendet. Die nächsten Schritte sind eine voraussichtlich mündliche Verhandlung und die Stellungnahme des Generalanwaltes, sofern der EuGH hiervon nicht absehen sollte. Wann mit einer Entscheidung des EuGH zu rechnen ist, ist derzeit offen.

Wir berichten regelmäßig über das Vertragsverletzungsverfahren gegen die HOAI. Alle Beiträge finden Sie hier

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