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Carbonbeton und Textilbeton: Forschung, Projekte, Begriffe

Frei formbar, hoch tragfähig, multifunktional, nahezu wartungsfrei: Carbonbeton ist auf dem besten Weg, das Bauen mit Beton zu revolutionieren. Ein Überblick, was sich davon bereits heute realisieren lässt und was Zukunftsträume sind

Von: Marion Goldmann
Marion Goldmann wählt für das DAB die wichtigsten Produktneuheiten aus....

03.04.20188 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Paradigmen-Wechsel“ im Deutschen Architektenblatt 04.2018 erschienen.

Es war ein Zufall, dass die Architektin Maren Kupke vor nunmehr fast zwölf Jahren eine Veranstaltung über den Einsatz von Textilien im Bauwesen besuchte. Dabei wurde auch über die Möglichkeiten informiert, die Materialien zur Bewehrung von Beton einzusetzen. Seitdem hat die Architektin von der AIB GmbH Architekten Ingenieure Bautzen das Thema nicht mehr losgelassen – „damit wollte ich unbedingt bauen“, sagt sie. Auf der Suche nach Partnern, die ihr das Know-how dazu vermitteln, gelangte sie zum Institut für Massivbau der TU Dresden, das ebenso wie die RWTH Aachen zu dieser Zeit an der Entwicklung von Textilbeton mit Bewehrungen aus alkaliresistentem Glas forschte. Die alternative Carbonbewehrung rückte erst in den letzten Jahren aufgrund der gesunkenen Preise für Carbon in den Fokus der Forschung. Daher bewarb sich die TU Dresden beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Projekt „C³ – Carbon Concrete Composite“ um Fördermittel aus dem Programm „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ – und erhielt den Zuschlag.

Das C³-Projekt (2014 bis 2021) umfasst ein Konsortium mit etwa 160 Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft und ist das weltweit größte Forschungsprojekt im Bauwesen. Auch Maren Kupke ist mit dabei und von den Möglichkeiten der Carbonbewehrung fasziniert: „Damit lassen sich enorm schlanke, hoch leistungsfähige Bauteile in praktisch jeder Form und zudem nachhaltig bauen.“ Denn es wird kein Stahl benötigt, die Betonmenge wird reduziert und die spätere Betoninstandsetzung entfällt ganz. Letzteres veranlasste die Forscher überhaupt erst, nach Alternativen für die Stahlbewehrung zu suchen. Bekanntlich beginnt das Material zu korrodieren, da der Beton im Lauf der Zeit sein den Stahl schützendes alkalisches Milieu verliert. Massive Bauschäden sind die Folge.

Abgespeckt: Diese Träger machen den Unterschied zwischen Stahlbeton und Carbonbeton besonders deutlich.

So vielversprechend, wie einst Stahl als Betonbewehrung war, ist es heute Carbon. Es ist nicht nur viermal leichter und fünf- bis sechsmal tragfähiger als Stahl. Aufgrund seiner Eigenschaft, nicht zu korrodieren, ist es zudem nicht mehr notwendig, die Bewehrung mit einer dicken Betonschicht zu schützen; die Betondeckung kann somit auf wenige Millimeter reduziert werden. Damit sind über 50 Prozent Materialeinsparung möglich. Fassadenplatten aus Carbonbeton sind nur noch zwei bis drei Zentimeter dick, statt sieben bis acht Zentimeter bei Stahlbeton. Es können auch ganz neue Betonzusammensetzungen zur Anwendung kommen. Beispielsweise sind ressourcenschonende Bindemittelsysteme zu nennen, aber auch Systeme, deren Herstellung mit einem deutlich reduzierten CO2-Ausstoß verbunden ist.

Neuer Denkansatz: Man muss sich dem Entwurf über die konstruktiven Optionen des Materials annähern

Was heute bereits realisierbar ist

Bauteile aus Textilbeton (Begriffe siehe Info-Kasten am Ende) werden bereits seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt – zunächst mit Glasfaserbewehrungen, die auch heute noch preiswerter als Carbonbewehrungen sind. Frank Schladitz, Forschungsgruppenleiter des C³-Projektes: „Carbon ist allerdings in vielen Bereichen wirtschaftlicher. Sein Elastizitätsmodul ist im Vergleich zu Glas höher, was geringere Verformungen des Bauteils bewirkt. Carbon kann zudem höhere Spannungen aufnehmen, daher wird weniger Bewehrung benötigt. Der Einsatz rentiert sich somit überall dort, wo dünne Konstruktionen mit hoher Tragfähigkeit benötigt werden.“ Und das ist stets von Fall zu Fall zu entscheiden. Hier ein Beispiel: Werden bei einer Deckenverstärkung statt vier Lagen Glasfasergewebe nur zwei Lagen Carbongewebe eingelegt, reduzieren sich neben der Aufbauhöhe auch die Kosten für die Ausführung.

Gerade beim Bauen im Bestand und speziell bei denkmalgeschützten Gebäuden, die ihr Erscheinungsbild beibehalten sollen, wurde diese Methode bereits oft gewählt. Ein aktuelles Beispiel ist die Sanierung eines etwa 100 Jahre alten Hochschulgebäudes. Frank Schladitz erzählt, dass hier die Menge der Stahlbewehrung und die Betondeckung der Stahlbetondecken stark variierten. „Deshalb hat man auf weitere aufwendige Untersuchungen verzichtet und wird viele Decken pauschal mit einem ein Zentimeter dicken Carbonbeton ertüchtigen. Das genügt, um die Tragfähigkeit deutlich zu erhöhen.“ Weitere typische Einsatzgebiete sind Dachschalen-Konstruktionen, gewölbte Decken und vor allem auch Brücken.

Für Altbauten: Textilbeton der Marke „Tudalit“ besitzt die abZ zur Verstärkung von Stahlbeton.

Für die weitere Verbreitung der Bauweise sind allerdings die allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen (abZ) entscheidend. Einige gibt es bereits. Zum Beispiel: Textilbeton der Marke „Tudalit“ zur Verstärkung von Stahlbetonbauteilen. Auch der Hersteller von nicht metallischen Bewehrungen Solidian aus Albstadt in Baden-Württemberg und Partner des C³-Projektes ist auf dem Gebiet sehr aktiv. Im vergangenen Jahr wurde dem Unternehmen die abZ für eine Sandwich-Fassadenwand aus Textilbeton erteilt. Gegenüber herkömmlichen Beton-Fertigteilen ist die Gesamtdicke geringer, das Element ist in Form und Optik aber frei gestaltbar. Weitere Zulassungen werden in Kürze erwartet.

Geschäftsführer Christian Kulas: „Wir bieten auch statische Berechnungen und Machbarkeitsstudien an. Das heißt, wir ermitteln für das gewünschte Bauteil die wirtschaftlichste Art der Bewehrung. Das kann Glas oder Carbon, aber auch eine Kombination aus beidem sein.“ Schlank und schön bauen sei das eine, optisch eher unspektakulär, aber technisch äußerst zukunftsweisend seien Straßenbrücken aus Carbonbeton, sagt Christian Kulas weiter. Da die Bewehrung nicht mehr korrodieren kann, entfällt jede weitere Oberflächenbeschichtung und damit auch die Wartung. Das trifft im Wesentlichen auch für Rad- und Fußwegbrücken zu, nur sind die statischen Belastungen hier geringer und der gestalterische Freiraum größer. Das zeigen verschiedene in den letzten Jahren realisierte Projekte, wie die mit 100 Metern derzeit längste textilbewehrte Fußgängerbrücke in Albstadt-Lautlingen oder die erste reine Carbonbrücke in Albstadt-Ebingen.

Für Neubauten: Für die Fertigteil-Elemente erhielt Solidian letztes Jahr die bauaufsichtliche Zulassung.

Was in Zukunft noch alles möglich ist

„Das Bauen mit Carbonbeton eröffnet Perspektiven, die bislang nicht möglich waren“, ist sich Maren Kupke sicher. „Unser Fokus ist auf die Entwicklung sehr schlanker und multifunktionaler Bauteile gerichtet, um beispielsweise energieeffizient zu bauen.“ So hat die Architektin innerhalb des vom BMBF geförderten Programms „autartec“ Wandelemente konstruiert, die aus zwei schlanken Außenschalen bestehen, die durch Stege miteinander verbunden sind. Dadurch lässt sich der Freiraum im Inneren für Energiespeicher nutzen. Die Wände sind hierbei nur ein Bauteil von vielen weiteren, aus denen demnächst am Bergheider See ein autarkes schwimmendes Haus entstehen wird.

Brücke Albstadt-Lautlingen: Mit 100 Metern ist diese textilbewehrte Brücke aktuell die längste ihrer Art.

Die AIB GmbH Architekten Ingenieure Bautzen ist auch Generalplaner des Modellhauses „Cube“, das im Rahmen des C³-Projektes in den nächsten zwei Jahren auf dem Campus der TU Dresden errichtet wird (siehe Info-Kasten auf Seite 39). Der Entwurf vom Architekturbüro Henn soll die gestalterischen Möglichkeiten und gleichzeitig die massentaugliche Anwendung zeigen. Partner Georg Pichler: „Die leichten und schlanken Eigenschaften des Carbonbetons haben wir durch zwei selbsttragende Schalenkonstruktionen dargestellt, die den Veranstaltungsraum und die Labore überwölben. Die Labore sind in Form einer Box mit einfachen, geraden Wänden daruntergeschoben.“ Bei Carbonbeton überzeugt Georg Pichler besonders das Filigrane, das man erzielen kann. ­Allerdings erfordere die Bauweise einen völlig neuen Denkansatz. Man müsse sich dem Entwurf über die konstruktiven Optionen des Materials nähern. Architekten, die sich dafür interessieren, rät Maren Kupke, mit dem Baustoff zuerst Möbel zu kreieren: „Tische, Spülen, Bänke – das Spektrum ist breit und man wird erstaunt sein, wofür sich nur wenige Millimeter dicker, textilbewehrter Beton alles eignet.“

Treppe: Bauteil zur Energiespeicherung, das im Rahmen des Forschungsprojekts „autartec“ des BMBF entwickelt wurde.
Ideen realisieren: Um ein Gefühl für das Material zu erhalten, kann man mit Möbeln üben.

„Cube“— Das Haus aus Textilbeton

Mit dem etwa 200 Quadratmeter großen Modellhaus des C³-Projektes „Cube“ entsteht das weltweit erste Gebäude aus Carbonbeton. Der Entwurf vom Architekturbüro Henn berücksichtigt die bisherigen Forschungsergebnisse und vereint zwei Ziele: Das gestalterische Potenzial der Bauweise soll dargestellt sowie ihre massentaugliche Anwendung nachgewiesen werden. Beim Cube sind daher frei geformte mit flächigen, modular strukturierbaren Bauteilen ­kombiniert. Zentrales Anliegen des Vorhabens ist es vor allem, einmal den kompletten Bauprozess abzubilden: von der Planung, Zulassung, Kalkulation und Vergabe bis hin zu Überwachung, Errichtung und Betrieb. Das Modellhaus soll bis Anfang 2020 fertiggestellt sein; bis 2025 soll die Bauweise in der Praxis etabliert sein. Das Nutzungskonzept umfasst einen etwa 70 Quadratmeter großen Präsentationsraum einschließlich vier Arbeitsplätzen für Wissenschaftler, Nebenräumen für sanitäre Einrichtungen sowie zwei zwölf Quadratmeter großen Laboratorien.


Carbonbeton und Textilbeton verstehen

Begriffe: Von Textilbeton spricht man, wenn für die Bewehrung Glas- oder Carbonfasermatten, auch Gitter oder Gelege genannt, eingesetzt werden. Der Begriff „Textil“ leitet sich hierbei nicht vom Material ab, sondern von der Art der Herstellung der Bewehrungsmatten. Sie werden mit Maschinen aus der Textil­industrie produziert. Neben Matten gibt es auch stabförmige Bewehrungen aus Glas- oder Carbonfasern. Bauteile mit Stäben als Bewehrung werden nicht als Textilbeton bezeichnet, sondern heißen Glasfaser- oder Carbonbeton.

Materialien: Für Glasfaser-Bewehrungen wird in der Regel AR-Glas (alkaliresistentes Glas) verwendet. Es weist gute mechanische Eigenschaften auf und ist vergleichsweise günstig. Die Carbonbewehrung besteht im Wesentlichen aus Carbonfilamenten, die sich aus Endlosfasern zusammensetzen. Als Ausgangsstoff kann so gut wie alles verwendet werden, was Kohlenstoff enthält. Das kohlenstoffhaltige Material wird dann durch Pyrolyse in grafitartig angeordneten Kohlenstoff umgewandelt. Die verwendeten Betone variieren in Abhängigkeit vom Einsatzzweck (Verstärkung, Neubau etc.) von ultrahochfestem Spezialbeton über hochfesten Feinbeton bis hin zu handelsüblichem Normalbeton.

Carbongarn

 

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