Von Brigitte Schultz
Hingehen oder nicht? Diese Frage stellt sich alle zwei Jahre, wenn die wichtigste Architekturausstellung der Welt Venedig für sechs Monate mit Beschlag belegt. Gerade kleine Büros oder Einzelkämpfer scheuen die Reise. Aber ist das Ganze nur ein medialer Zirkus für große Büros und große Namen, ein Thema rein für die Feuilletons? Wer sich (oder andere) vom Gegenteil überzeugen will, hat 2018 gute Chancen: Für den Erstbesuch ist gerade die diesjährige Schau hervorragend geeignet. Denn während in den letzten Jahren die zentrale Ausstellung politische Aspekte betonte oder die leitende Hand von Star-Kuratoren wie Rem Koolhaas feierte, konzentriert sie sich diesmal unter dem vieldeutigen Motto „Freespace“ unaufgeregt auf Architektur.
Dafür haben die irischen Kuratorinnen von Grafton Architects im langen Raum des Arsenale sage und schreibe 65 Architekturbüros ein Plätzchen eingeräumt. Deren Arbeiten werden jeweils von ihnen und den Architekten kommentiert, was im Kleinen eine gute Orientierung bietet. Im Großen setzt die Zusammenstellung auf Vielfalt, nicht auf Zusammenhang. Die meisten Architekten zeigen, wenig verwunderlich, eigene Projekte – wer selbst eine Ausstellung plant, kann sich hier gebündelt über alle denkbaren Präsentationsformen fortbilden. Besonders Modellbaufans haben in diesem Jahr ihre reine Freude. Heraus stechen Arbeiten, die direkt auf den Ort eingehen, wie die virtuelle Öffnung der Arsenale-Fassade durch das mexikanische Büro Rozana Montiel, oder gesellschaftspolitische Installationen, wie die der Deutschen Anna Heringer zum „Freiraum“ bangladeschischer Textilarbeiter.
Angesichts der Größe und Vielseitigkeit der Schau greifen spätestens in den 61 Länderpavillons Rankings à la „Was man gesehen haben muss“ zwangsläufig zu kurz. Jeder findet seine persönlichen Favoriten: Von der barocken Materialschlacht zum Thema „Schönheit versus Funktion“ (Österreich) über die feinsinnige Hommage an die Architekturzeichnung (Japan) bis zur großen Leere (England) ist alles dabei (Eine Überischt über alle Länderpavillons finden Sie hier). Stadtplanerisch Interessierten seien die Pavillons von Uruguay, Albanien und Tschechien empfohlen: Während Uruguay ein eindrückliches Schlaglicht auf zwei sich gegenüberliegende Gefängnistypen wirft, thematisiert der leise Beitrag Albaniens die Öffnung der Erdgeschosszonen Tiranas nach dem Ende der Diktatur. Die kluge Aktion Kateřina Šedás, die mit der Vergabe realer Jobs für „normales Leben“ im tschechischen Pavillon die Frage nach der Identität und Lebendigkeit vom Tourismus geplagter Städte wie Venedig stellt, ist mein persönlicher Goldener Löwe (der echte ging an die Kollegen aus der Schweiz).
International gut aufgenommen wurde der deutsche Beitrag von Graft und Marianne Birthler über das räumliche Zusammenwachsen nach der Wende, nicht zuletzt wegen seiner plakativen, aber wirkungsvollen Inszenierung (u.a. mit Filmen aus internationalen Grenzregionen). Berechtigt viel Lob bekam auch das Debüt des Vatikans, für den elf internationale Architekten je eine Kapelle auf der Insel San Giorgio Maggiore bauten. Obwohl deren Qualität stark variiert, entfaltet die Architektur hier, fern von Trubel oder Alltäglichkeit, ihre (be)sinnliche Komponente. Bis Ende Juli lässt sich der Besuch dort mit der sehenswerten Ausstellung „Reinventing Frei Otto’s Multihalle“ zwei Bootsstationen weiter verbinden. Die Biennale selbst hat bis 25. November geöffnet.
Giardini mit Bambini
Biennale nur für Große? Mitnichten! Wer Kindern vielseitige Architektur- und Raumerfahrungen in entspannter Atmosphäre vermitteln will, ist in Venedig genau richtig. Sie werden staunen, wie sich der Nachwuchs die Ausstellung mit ganz eigenen Augen erschließt. Gute Tipps für die Reise mit Anhang liefert der Blog einer Münchner Architektin.
Mehr Eindrücke aus Venedig
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Eröffnung des Deutschen Pavillons und Architektenfrühstück von BAK und NAX
Die Meinung der Presse
Berliner Zeitung
SZ
FAZ
Marlowes
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