Von Marian Behaneck
Virtuelle Realitäten (Virtual Reality, VR) schaffen eine computergenerierte Umgebung, mit der die Benutzer interagieren können. Dieses Gefühl, mitten im Geschehen zu stehen, ermöglichen sogenannte immersive Visualisierungsverfahren, die – entsprechend der vom Betrachter gewählten Blickrichtung oder Bewegung – das Gesehene kontinuierlich in der passenden Perspektive anzeigen. Kann der Nutzer zudem mit der künstlichen Umgebung, etwa über einen Datenhandschuh, interagieren und beispielsweise eine Tür öffnen, erhält er den Eindruck, Teil dieser virtuellen Welt zu sein. Mit preiswerten mobilen VR-Brillen, in die ein Smartphone als Anzeigedisplay eingelegt oder eingeschoben wird, sind virtuelle Realitäten erschwinglich geworden.
VR-Präsentationen sind quasi ein „Nebenprodukt“ der BIM- oder 3D-Planung. Immer mehr CAD-Anbieter offerieren daher diese Funktion. Die Grundlage bildet ein 3D-Modell, das mit einer CAD- oder Modellier-Software erstellt wird; etwa mit SketchUp, 3D Studio, Cinema 4D oder Maya. Für eine VR-Präsentation werden die Daten in den webfähigen Formaten VRML, WebVR und X3D exportiert. Zwei Arten von VR-Präsentationen gibt es: 360-Grad-Panoramen werden im Voraus berechnet und ermöglichen dem Träger einer mobilen VR-Brille per Kopfdrehung die räumliche Betrachtung von Objekten in einem Raum und das Heranzoomen von Details. Werden mehrere Panoramen zusammengeschaltet, lassen sich auch komplette Wohnungen und Gebäude auf diese Weise erkunden. Auf einen Cloud-Server geladene Panoramen kann der Kunde über einen Link zu Hause öffnen und auf einem Tablet, Smartphone oder im VR-Modus per mobiler VR-Brille anschauen. „Echte“ VR-Präsentationen werden dagegen in Echtzeit von leistungsfähigen PCs berechnet und auf „echten“ VR-Brillen angezeigt. Die Echtzeit-Berechnung ermöglicht eine freie Bewegung im Raum sowie Interaktionen, das Ändern von Farben, Oberflächen, Materialien oder das Konfigurieren von Objekten. Das setzt allerdings eine entsprechend leistungsfähige Hardware-Ausstattung voraus.
Welche Möglichkeiten bietet VR?
Neben der Möglichkeit, Bauherren oder beispielsweise auch Teilnehmer von Bürgerbeteiligungen „mitzunehmen“, für einen Gestaltungsvorschlag zu begeistern und dadurch Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, bietet die Vorwegnahme des Gebauten weitere Vorteile. Der wichtigste ist die Vermeidung von Missverständnissen und Enttäuschungen aufseiten der Auftraggeber, weil sich diese das Projekt anhand zweidimensionaler Pläne in der Regel räumlich nicht gut vorstellen können. Steht man aber bei einer virtuellen Objektbegehung unmittelbar vor dem Gebäude oder mitten im Raum, fallen unbefriedigende Proportionen, eine funktional ungeschickte Gestaltung oder ergonomisch ungünstige Platzverhältnisse deutlich früher auf. Alle Objekte sind zum Greifen nah und können – bei entsprechender Programmierung – sogar in ihrer Funktion überprüft werden: zum Beispiel das Öffnen und Schließen von Türen, Fenstern etc. Sogar Funktionsabfolgen, etwa eine behindertengerechte Nutzung von Bädern, können direkt am VR-Modell optimiert werden. Die Wahrnehmung virtueller Objekte ist dabei so unmittelbar, dass beispielsweise Stolperfallen oder zu geringe Kopfhöhen körperlich „spürbar“ werden: Man hebt den Fuß oder zieht den Kopf ein, obwohl die Objekte nicht real sind.
Welche Reality-Trends gibt es?
In der Küchen-, Sanitär-, Möbel- und Immobilienbranche haben sich VR-Techniken schon als Marketinginstrument etabliert. Per VR-Brille werden Produkte vor dem Kauf präsentiert, in Echtzeit konfiguriert, verschiedene Materialien, Texturen oder Wandfarben ausprobiert, in unterschiedlicher Umgebung oder Lichtstimmung verglichen und anderes mehr. In der Bauplanung sind VR-Präsentationen dagegen noch rar. Mit BIM reduziert sich dieser jedoch, weil 3D-Gebäude- und-Raumdaten inklusive Materialdefinition aus der Planung übernommen werden können.
Neben der Virtual Reality wird die Augmented Reality (AR) immer interessanter. Bei dieser Technik kommen spezielle, transparente AR-Brillen zum Einsatz, über die in das Realbild zusätzliche digitale Informationen holografisch projiziert werden. Einfacher und preiswerter sind AR-Anwendungen auf Smartphones oder Tablets, die eine Zusatzinformation oder ein virtuelles Objekt in das von der integrierten Kamera aufgenommene Umfeld in der richtigen Perspektive und im richtigen Maßstab einfügen. Damit kann man beispielsweise dem in einem Rohbau stehenden Bauherrn eine geplante Treppe einblenden oder sein Bad virtuell einrichten. Immer mehr Bauprodukthersteller nutzen diese Technik für die Präsentation und Konfiguration ihrer Produkte in der individuellen Umgebung des Kunden.
Einen Schritt weiter geht die Mixed Reality (MR). Diese Technik erkennt zusätzlich die jeweilige Umgebung und ermöglicht eine Interaktion mit den eingeblendeten digitalen Inhalten sowie zwischen mehreren Teilnehmern einer MR-Präsentation. Eingesetzt werden MR-Techniken, um sich etwa an einem virtuellen Modell unter allen Projektbeteiligten abzustimmen, die sich an unterschiedlichen Standorten befinden. Das beschleunigt die Planungs-, Kommunikations- und Koordinationsprozesse.
VR dient in erster Linie der Präsentation planerischer Ergebnisse. Ein echtes, interaktives Planen am VR-Modell, wie etwa in der Automobilbranche, ist eher die Ausnahme – nicht zuletzt wegen des technischen und zeitlichen Aufwands. Auch die Präsentationen und der Workflow von CAD zur VR und zurück sind teilweise noch holprig. Dennoch erhalten künstliche Realitäten im Baubereich eine immer größere Bedeutung. In Verbindung mit BIM werden sie zum Standard. Sie werden die Präsentationsmethoden von Planern verändern und in Verbindung mit AR- und MR-Techniken zunehmend auch zu einem Planungshilfsmittel werden.
Marian Behaneck ist freier Fachjournalist in Jockgrim (Pfalz)
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