Von Christoph Gunßer
Geld allein macht auch Städte nicht glücklich. Anstatt kommunale Liegenschaften an den Meistbietenden zu veräußern, geben die Kämmerer immer öfter Initiativen den Zuschlag, die keine kommerzielle Verwertung, sondern etwas für die Quartiere und Nachbarschaften Nützliches im Sinn haben. Konzeptvergabe heißt das neue Zauberwort, das zwar kurzfristig die klammen kommunalen Kassen leer lässt, aber schon mittelfristig eine lebendigere Stadt verspricht.
Bereits Jane Jacobs, die große Vordenkerin der behutsamen Stadterneuerung, erkannte, wie wichtig der Erhalt abgeschriebener Bausubstanz für städtische Quartiere ist. Oft sind es ja marode Altbauten, verlassene Fabriken, Kasernen, Bahnhöfe oder auch Wohnblöcke, die die Begehrlichkeiten von Investoren wecken. Eine schnelle Verwertung bedeutet dann oft Abriss und Verdichtung mit dem, was am Markt gerade die höchste Rendite verspricht. Oder es folgt erst mal jahrelanger Leerstand in Erwartung einer Wertsteigerung. Die hat bekanntlich in den letzten Jahren enorme Ausmaße angenommen und ist mit ein Grund für wachsenden Frust in der Bevölkerung: gut möglich, dass die Zustände auf den urbanen Miet- und Immobilienmärkten bald Wahlen entscheiden. Das schwant mancherorts auch der Politik.
Seit den spektakulären, doch oft erfolglosen Häuserkämpfen der Achtzigerjahre sind indes auch die Alternativen professioneller geworden. Heute treten Initiativen selbstverständlich mit eigenen Internetseiten, mit Rechtsbeistand und Finanzierungsplänen auf, sie sind bestens vernetzt und medial präsent. Das lässt selbst städtische Wirtschaftsförderer hellhörig werden, denn dass subkulturelle Locations oft Pioniere der Stadtentwicklung sind, hat sich herumgesprochen. Sie zählen längst zu den weichen Standortfaktoren und übernehmen informell Funktionen, die sonst teurer öffentlicher Fürsorge anheimfallen.
Dennoch prallen oft genug noch Welten aufeinander, wenn Basis-Aktivisten mit Bürgermeistern, Kreative mit Verwaltungsleuten, Non-Profit-Vereine mit Banken verhandeln. Und weder Rechts- noch Förderpraxis passen zu den alternativen Investoren. Einige Beispiele zeigen, wie der Spagat trotzdem gelingen kann.
Kunst und Kiezarbeit: ExRotaprint, Berlin
Die „Urmutter aller ‚Die Stadt gehört uns‘-Projekte“ (so die taz) liegt mitten im sozial schwachen Berliner Bezirk Wedding, der bis heute etwas im Windschatten der Gentrifizierung liegt. Nachdem die ehemalige Druckmaschinenfabrik zunächst kreativ zwischengenutzt worden war, wollte die Stadt das fast hektargroße, denkmalgeschützte Ensemble 2002 meistbietend verkaufen. Die Künstler Daniela Brahm und Les Schliesser mobilisieren daraufhin die Nutzer für eine Übernahme in Eigenregie mit einem Konzept, das Ateliers, lokales Gewerbe und Sozialarbeit für den prekären Kiez verbindet. Durch künstlerische Aktionen, Vernetzung und zähes Verhandeln gelingt es der Initiative 2007, einen spekulativen Verkauf zu verhindern und die Immobilie sehr günstig zu erwerben. Die Mieter gründen die gemeinnützige GmbH ExRotaprint, die die Stiftungen trias und Edith Maryon als Eigentümer einsetzt und mit diesen einen Erbbaurechtsvertrag für 99 Jahre abschließt, der das soziale Mischungskonzept festschreibt und einen späteren Verkauf ausschließt. Die günstigen und stabilen Mieten dienen (nach Abzug von zehn Prozent Erbpachtzins und geringen Verwaltungskosten) allein dazu, die weitläufigen Gebäude nach und nach zu sanieren – veranschlagt sind dafür 4,5 Millionen Euro.
Als Architekten verstärken Bernhard Hummel und Oliver Clemens das Bauteam. Inzwischen ist der weitläufige, architektonisch spannende Bestand (Aushängeschild: Klaus Kirstens brutalistischer Eckturm von 1958, der möglichst noch aufgestockt werden soll) zu einem Großteil renoviert und bietet rund 100 Mietern und Initiativen Raum, darunter Projekten für Migranten und Schulabbrecher. Handwerksbetriebe sind verpflichtet, auszubilden. „Wir suchen Mieter, die für den Wedding und unsere direkte Nachbarschaft Sinn machen“, heißt die Devise. Als Treffpunkt gibt es eine Kantine für alle. Den erfolgreichen Pionieren ist es wohl zu verdanken, dass an die Stelle der Ausverkaufspolitik inzwischen eine größere Offenheit für selbstverwaltete Projekte getreten ist – wenngleich die Immobilienpreise in der Stadt durch die Decke gehen.
Die Module spielen verrückt: ps wedding und andere
Bereits seit 2012 versucht die von den eben genannten Architekten Clemens und Hummel mit Sabine Horlitz ins Leben gerufene Nachbarschaftsinitiative ps wedding, das 2011 nach einem Umzug des Diesterweg Gymnasiums frei gewordene Schulgebäude vor dem Abriss zu retten und zu einem selbstverwalteten Quartierszentrum mit Wohnungen umzunutzen. Der orangefarbene Komplex von 1974 (Architekten: Pysall Jensen Stahrenberg) hat eine modulare Stahlstruktur und ist mit seiner „Schulstraße“ und nichttragenden Wänden sehr flexibel konzipiert. Die tiefen Grundrisse sollen durch Lichthöfe aufgebrochen werden. Derzeit befindet sich ps wedding in Verhandlungen mit Bezirk und Senat bezüglich des weiteren Vorgehens. Ziel der Abstimmungen ist es, in den nächsten Monaten mittels einer Anhandgabe das Konzept zu vertiefen, die Finanzierung zu sichern und schließlich den Erbbaurechtsvertrag mit dem Land Berlin abzuschließen. Durch die geplante Mitgliedschaft im Mietshäuser Syndikat sichert sich das Projekt langfristig gegen Spekulation und Weiterveräußerung ab.
Ganz zentral am Alexanderplatz wird seit diesem Jahr die Umnutzung im „Haus der Statistik“ konkret. Hier wollte der Bund die Betonrasterbauten von 1968 zunächst abreißen und den Boden meistbietend verkaufen. Kiez-Initiativen und Künstler verbündeten sich zur „Stadtentwicklungsgenossenschaft Zusammenkunft“ und erreichten, dass das Ensemble weitgehend erhalten bleibt und neben Verwaltung auch Wohnungen und günstige Ateliers Platz finden sollen. Den Anstoß gab auch hier eine provokative Kunstaktion im Jahr 2015.
München mal günstig: Bellevue di Monaco
Doch auch andernorts regt sich auf originelle Weise Protest, wenn öffentliche Hände untätig bleiben oder zu einseitig Kapitalinteressen vertreten. Im Münchener Glockenbachviertel, in Sichtweite des örtlichen Edelgastronomietempels Schranne, ließ die Stadt jahrelang drei große Wohnhäuser leer stehen. Ihr Abriss war, trotz guter Substanz aus den Fünfzigerjahren und aus der Frühzeit des Viertels, beschlossen.
2013, lange vor der Willkommenskultur, besetzen prominente Aktivisten aus der freien Kulturszene als Gorillas verkleidet eine der Wohnungen und renovieren sie demonstrativ. Die Medien kochten das Thema hoch. Ziel war und ist der Erhalt günstigen Wohnraums, ein Zentrum zur Unterbringung Geflüchteter und ein Kulturzentrum, das Einheimische und Fremde zusammenführt. Als Vorbild dient das Augsburger Integrationshaus „Grandhotel Cosmopolis“ (siehe hier).
Die von den professionell organisierten Aktionen und ihrem Medienecho zunehmend genervten Stadtpolitiker lenkten schließlich ein. Die von den Initiativen selbstverwaltete Sozialgenossenschaft „Bellevue di Monaco“ – wie in Augsburg nur ironisch-verbaler Luxus – konnte die Häuser 2016 für vierzig Jahre in Erbpacht übernehmen. Große jährliche Straßenfeste feiern seither den Erhalt des Ensembles samt Bolzplatz, der künftig noch durch einen Sportplatz auf dem Dach des Eckgebäudes ergänzt werden soll. In einem kleinen Wettbewerb entwickelten sechs Büros Ideen für den Umbau, wobei die örtlichen Architekten Hirner & Riehl mit einem behutsamen Konzept zum Zuge kamen, das bis vor Kurzem umgesetzt wurde – unter Beteiligung angelernter Migranten und Studenten der Hochschule München. Inzwischen ist die für Sprachkurse, Asylberatung, Näh- und Radwerkstatt, Film, Konzert und nicht zuletzt ein stilvolles Non-Profit-Café rege benutzte und bespielte Ecke in der City nicht mehr wegzudenken.
Ähnlich kühn gelang bereits seit 2009 die Rettung des Gängeviertels in Hamburg vor spekulativem Abriss, das nun mit günstigen Ateliers und selbstverwaltetem Kulturzentrum mitten in der City etabliert ist. Projektentwickler ist hier eine Kulturgenossenschaft, die die bis zu 350 Jahre alten Häuser mit den Architekten von Plan-R nach und nach saniert – als eine Art Kunstoase und Fenster in die Vergangenheit der Hansestadt.
Win-win in Wuppertal und im Osten viel Neues
Beachtliche Erfolge selbstverwalteter Gemeinwohl-Entwickler sind aber ebenso aus West und Ost zu vermelden. In Wuppertal übernahm eine lokale Initiative den leerstehenden Mirker Bahnhof. Da die Bahnstrecke inzwischen zum beliebten Radweg wurde, sind Café und Kulturräume in der alten Schalterhalle ebenso belebt wie die Urban-Gardening-Kulturen ringsum. Hier sprangen sogar Wirtschaftsförderung und Sparkasse ein, weil sie das marode Gelände zuvor nicht loswurden. Nun plant man gar einen Utopiastadt-Campus.
In Chemnitz fehlte ein Ort der Jugendkultur, was auch ein Grund für die Abwanderung gerade junger Leute war. Als die städtische Wohnungsgesellschaft in Innenstadtnähe einen halben Häuserblock verfallen lässt, bildet sich eine informelle Initiative und besetzt 2007 eines der Häuser. Als Zwischennutzer legalisiert, dehnt sich die Aktion zum „experimentellen Karree“ aus und entfaltet mit Umsonstladen, Lesecafé, Veranstaltungsraum, „Volxküche“ und Fahrradwerkstatt breite Kreativität unter dem Namen „Kompott“. Studentenwerk und Künstlerbund der Stadt steigen mit ein. Als Verhandlungen zur Übernahme der Häuser an der Stadtverwaltung scheitern, bekommt die Gruppe 2010 vier Ersatzhäuser in der Leipziger Straße, die sie drei Jahre kostenlos nutzen kann. Die Sanierung in Eigenleistung gelingt hier mithilfe von Zuschüssen und Fördermitteln (unter anderen aus dem ExWoSt-Programm „Jugend belebt Leerstand“). Seit 2017 ist das von der Gruppe zuvor als GmbH übernommene Ensemble Teil des Mietshäuser Syndikats, was einer späteren Privatisierung vorbeugen soll. Allein in Sachsen unterstützt das Syndikat auf diese Weise übrigens 22 seiner 130 Projekte.
Erfolgsgeschichten wie diese mehren sich. Damit sie es leichter haben und neue hinzukommen, gibt es seit 2017 das „Netzwerk Immovielien“, das die Rahmenbedingungen für eine gemeinwohlorientierte Immobilien- und Quartiersentwicklung verbessern will. Mehr als der Wohnbund oder das Mietshäuser Syndikat legt das Netzwerk den Schwerpunkt auf integrierte Konzepte in Quartieren. Nach Auskunft der Koordinatoren wächst das Interesse aufseiten der Architektenschaft. Es sind gewiss harte Zeiten für Non-Profit-Projekte, doch der Wunsch nach sinnvollem Tun, auch nach Selbstwirksamkeit, wird stärker. Und auch die Städte erkennen mittlerweile, wie wichtig solche Projekte für den urbanen Konsens sind. Die oft so verschiedenen Welten müssen nur zusammenfinden.
MEHR INFORMATIONEN
Wer sich einen weiteren Überblick über gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung in ganz Deutschland verschaffen möchte, findet auf der Website des im Juni gegründeten Vereins Netzwerk Immovielien e. V. eine ausführliche „Immovieliensammlung“. Sie porträtiert 34 Projekte in Wort, Bild und Film. Die „Immovielienkarte“ bietet eine stetig wachsende Übersicht aller „Immovielien“ bundesweit. Ein Selbsteintrag ist möglich, genauso wie die Mitgliedschaft im Netzwerk, das mit einem unregelmäßigen Newsletter über wichtige Projekte, Ausschreibungen und Kooperationsmöglichkeiten informiert.
Mehr Informationen und Artikel zum Thema „urban“ finden Sie in unserem Schwerpunkt urban
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