Von Christina Gräwe
Kein Interview, keine Diskussion, keine Studie, die derzeit nicht die Verbindung zwischen den Vokabeln wachsende Stadt, Wohnungsmangel und Nachverdichtung herstellt. Die Rechnung ist zunächst einfach: Städte wachsen, teils rasant, Flächen sind knapp – was liegt also näher, als im bestehenden Gefüge nachzuverdichten und zugleich die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen?
So viel zur Theorie. Der Schritt in die Praxis zeigt bei aller Begeisterung seitens der Politiker und Planer häufig Skepsis oder gar Ablehnung bei den betroffenen Nachbarn. Auch wenn die Einsicht besteht, dass Wohnraum geschaffen werden muss: Es bleibt der Zwiespalt zwischen Raumgewinn ohne Flächenverlust, lebendigeren Quartieren durch neue Menschen (und nachziehende neue Läden und Cafés) und der Angst vor einer verschatteten Wohnung, einer anderen sozialen Mischung, der womöglich höheren Miete. Drei Projekte in Hamburg, Pforzheim und München haben diesen Zwiespalt ästhetisch und sozial beispielhaft gelöst.
Hamburger Baumkronen
Die „Treehouses Bebelallee“ stehen am nördlichen Stadtrand Hamburgs. Die Aufgabe des privaten Entwicklers Robert Vogel Immobilien zur Verdichtung einer sechshäusigen Siedlung von 1959 lautete: Wohnfläche verdoppeln, CO2-Emissionen halbieren. Die zwei- und dreigeschossigen zartgelben Klinkergebäude wurden durch die Architekten des ortsansässigen Büros blauraum um leichte, ein- und zweigeschossige Aufbauten in überwiegend Holztafel-Fertigbauweise ergänzt – es entstanden 47 Wohneinheiten. Für die neu gedämmten Bestandsfassaden blieben die Planer mit Sichtmauerwerk beim alten Material.
Die Aufbauten sind mit Zedernholzschindeln verkleidet; das schafft Bezug zum üppigen Baumbestand ringsum und hebt das Neue vom Alten klar ab. Die optische Anlehnung an Baumhäuser hatte die Behörden überzeugt, eine Befreiung des Aufstockungsverbots im Bebauungsplan zuzulassen. Der Vorfertigungsgrad war hoch, die Bauzeit blieb mit eineinhalb Jahren für die Bewohner zumutbar kurz. Dennoch waren Einschränkungen und Lärm unvermeidbar. Der Eigentümer griff zu einer ungewöhnlichen Besänftigungsmethode: Auf Vorschlag der Architekten entfiel während der Bauphase die Miete.
Münchner Hofhäuser
Nördlich und südlich des Piusplatzes, zehn Minuten vom Ostbahnhof entfernt, besitzt „Münchens größte Vermieterin“, die Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG, eine Siedlung aus den Dreißigerjahren. Diese unaufgeregten, hell getünchten Zeilen wurden von Allmann Sattler Wappner in zwei Bauabschnitten (2013 und 2014) um insgesamt vier kleine Riegel im Passivhausstandard ergänzt. Die 64 neuen Wohnungen sind Teil eines quartiersumfassenden Maßnahmenpakets zur Verdichtung eines Viertels, das zu zwei Dritteln aus Sozialwohnungsbauten besteht. Das Angebot hat sich nun um größere Wohnungen erweitert. Aber auch die alteingesessenen Bewohner mussten sich keine Sorgen wegen einer geringeren Aufenthaltsqualität machen: Die vier neuen Gebäude schließen die offenen Seiten der U-förmigen Anlagen und schaffen so geschützte grüne Innenhöfe.
Mit besser ausgestatteten Spielplätzen, Sitzgruppen und Pergolen werden die Bedürfnisse verschiedener Generationen erfüllt. Schlendert man heute durch die Siedlung, sind die „Neuzugänge“ als solche nicht sofort auszumachen, so selbstverständlich fügen sich die weißen Viergeschosser ein. Das blieb nicht unbemerkt: Die Jury des Preises für Qualität im Wohnungsbau urteilte, dass die Häuser „in beispielhafter Weise ein bestehendes Wohnquartier bautechnisch, energetisch, demografisch und sozial zukunftsfähig“ gemacht haben.
Pforzheimer Penthouse
Auch in kleineren Städten wird aufgestockt, so ein Hochhaus in Pforzheim von 1970 schräg gegenüber dem Bahnhof. Es ist nicht die Anzahl von zwei neuen Wohnungen, die hier beeindruckt. Es ist die Kombination aus städtebaulichem Signal, energetischer Sanierung, Komfort-Aufwertung und vor allem Sozialverträglichkeit, die vorbildhaft vonstattenging. Ursprünglich als Eisenbahnerhaus errichtet, wurde eine Generalsanierung unumgänglich. Das nahm die Wohnungsbaugesellschaft Pforzheimer Bau und Grund zum Anlass, die Schnittstelle zum nördlichen Stadtquartier baulich aufzuwerten.
Die Ludwigsburger Architekten Freivogel Mayer stellten fest, dass der robuste Bestand und gut geschnittene Wohnungen einen Abriss nicht rechtfertigten. Sie setzten dem achtgeschossigen Bau eine Penthouse-Etage auf, was den Proportionen und dem Gesamtbild des Hauses sehr guttat. Die kleinen Balkone verschwanden zugunsten regalartig vorgestellter Loggien; im Erdgeschoss entstand dadurch ein Arkadengang. Das Haus erhielt eine gedämmte Fassade aus hellem Betonwerkstein, die strenge Rasterfassade blieb, die Fensteröffnungen sind aber deutlich größer. Das ausgetüftelte Energiesystem senkte den bisherigen Verbrauch auf zehn Prozent – ein Grund, weshalb sich die Mieten nur sehr moderat erhöhten.
STUDIEN ZUR NACHVERDICHTUNG
Studie zu Wohnraumpotenzialen durch Aufstockung
Studie zu städtebaulicher Nachverdichtung im Klimawandel
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