Von Matthias Kuplich und Barbara Christiane Schlesinger
Im ersten Teil dieses Beitrags wurde über die Änderungen der Bauordnungen und die Einführung der Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen (VV TB) durch die Länder berichtet. Dieser Teil zeigt nun, wie mit dem geschilderten Erklärungsdefizit bei harmonisierten Bauprodukten umzugehen ist, die nur noch ein CE-Kennzeichen tragen dürfen.
Defizite der harmonisierten Normen
Die Problematik der veränderten Bauproduktkennzeichnung besteht für den Bauherrn und damit auch für den Architekten darin, dass europäisch harmonisierte Bauproduktnormen die notwendigen technischen Spezifikationen zur Umsetzung einzelner, nationaler Anforderungen nicht oder nur ungenügend abbilden. Hierunter sind auch Anforderungen zur Errichtung eines gesunden, nachhaltigen und dauerhaften Bauwerks zu verstehen, wie sie aus den technischen Regeln der technischen Baubestimmungen folgen.
Dem Architekten bleibt zur Planung, Überwachung und Dokumentation der betroffenen harmonisierten Produktbereiche nur die CE-Kennzeichnung. Die inhaltlich weitergehende Ü-Kennzeichnung darf bei harmonisierten Bauprodukten nach den Vorgaben der Europäischen Kommission in Auslegung der Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO) ja gerade nicht mehr parallel verwendet werden. Da sich die CE-Kennzeichnung jedoch nur auf die Leistungserklärung
in Bezug auf eine harmonisierte Norm bezieht, bleibt sie häufig hinter den technischen Regeln der VV TB zurück. Ein alleiniges Vertrauen darauf, dass das Bauprodukt ein CE-Kennzeichen aufweist, kann damit gerade nicht gewährleisten, dass auch das Bauwerk den erforderlichen technischen Regeln entspricht. Die Praxis steht zunächst vor der Herausforderung, die Defizite zu erkennen. Dies betrifft insbesondere Planer, die mit der Ausschreibung und der Bauüberwachung beauftragt sind.
Die Prioritätenliste
Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat eine sogenannte Prioritätenliste erstellt. Auf ihr sind derzeit 84 harmonisierte Bauproduktnormen aufgelistet, die für bestimmte Produkte und deren Verwendungsbereiche keine Leistungsmerkmale enthalten, jedoch zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen erforderlich sind. Diese dynamische Liste sollte für Architekten Ausgangspunkt einer jeden Recherche im Umgang mit der hier dargestellten Problematik sein. Sie enthält nämlich auch Verweise auf die konkreten technischen Regeln der VV TB, die je nach Verwendungszweck eines Bauprodukts eingehalten werden müssen. Insofern lässt sich an ihr das Erklärungsdefizit gut erkennen.
Die Liste zeigt daneben auch Möglichkeiten im weiteren Umgang auf. So kann unter anderem auch auf ehemalige Dokumentationsunterlagen zurückgegriffen werden, soweit sich das Bauprodukt nicht verändert hat, oder es wird auf das Europäische Technische Bewertungsverfahren (European Technical Assessment, ETA) verwiesen, um sämtliche erforderlichen Leistungsmerkmale eines Bauproduktes belegen zu können.
Leistungssoll des Architekten
Der Architekt steht nun trotz allem vor der Pflicht, seinen Vertrag mangelfrei zu erfüllen. Schließlich ist es seine Aufgabe, eine Planung zu erstellen, die auf ein dauerhaft genehmigungsfähiges Bauwerk gerichtet ist. Damit muss er den Bauherrn in die Lage versetzen, die Anforderungen aus den Bauordnungen erfüllen und vor allem auch Nachweise und Unterlagen zu den verwendeten Bauprodukten vorlegen zu können (vgl. § 53 Musterbauordnung).
Bisher konnten diejenigen Leistungsmerkmale, die über die Anforderungen aus einer harmonisierten Norm (CE-Zeichen) hinausgehen, durch die Ü-Kennzeichen einfach abgefragt und kontrolliert werden. Ein solches öffentlich-rechtliches Kennzeichensystem steht dem Architekten aber heute nicht mehr zur Verfügung.
Allerdings können die Mitgliedsstaaten über ein in Artikel 18 ff. EU-BauPVO geregeltes Verfahren auf eine Änderung und Erweiterung von harmonisierten Normen hinwirken. Derzeit führt die Bundesrepublik beispielsweise in Bezug auf die EN 14904:2006 ein Klageverfahren gegen die Europäische Kommission, da nach dieser Norm für Sportböden aufgrund einer fehlenden Verpflichtung über den Nachweis bestimmter Schadstoffe eine Gefahr von zu hohen Schadstoffkonzentrationen in Innenräumen gesehen wird. Ob und wann solche Verfahren tatsächlich zu einer Änderung der harmonisierten Normen führen, kann jedoch nicht eingeschätzt werden.
Freiwillige Technische Dokumentation
Dem Architekten bleibt damit nur, sämtliche zur Erfüllung der technischen Regeln erforderlichen Leistungsmerkmale im Rahmen seiner Planung zu definieren. Damit muss aber zwingend auch ein Informations- und Nachweissystem bei der Bauwerkserstellung installiert werden, um die oben dargestellten Pflichten des Bauherrn erfüllen zu können.
Naturgemäß haben auch die Hersteller von Bauprodukten ein Interesse daran, ihre Produkte marktfähig zu halten. Dies gelingt nur dann, wenn über die CE-Kennzeichnung hinausgehend auch Aussagen zur weitgehenden Leistungsfähigkeit getroffen werden. Nunmehr entwickeln Verbände der am Bau Beteiligten sogenannte Anforderungsdokumente. Diese enthalten herstellerneutral für ein Bauprodukt sowohl die maßgeblichen harmonisierten Normen als auch die weitergehenden technischen Regeln und die national erforderlichen Leistungsmerkmale.
Der Planer kann so diese Anforderungsdokumente zur Grundlage seiner Planung nehmen, zum Beispiel bei der Erstellung der Leistungsverzeichnisse und bei der Bauüberwachung. Damit wird ein werkvertraglicher Erfolg in dem Sinne festgeschrieben, dass das zu liefernde und zu verwendende Bauprodukt auch den weitergehenden technischen Regeln entsprechen muss. Der Nachweis erfolgt durch eine Leistungserklärung oder eine Herstellererklärung des Bauunternehmers, dass seine Bauprodukte den Maßgaben aus den Anforderungsdokumenten entsprechen. Bei der Prüfung des Angebotes, spätestens jedoch bei der Abnahme der Werkleistungen, müssten diese Nachweise dann vorgelegt werden.
Das System der freiwilligen Herstellerangaben ist bereits in Abschnitt D 3 „Technische Dokumentation“ der von der Europäischen Kommission notifizierten Muster-VV TB angelegt. Über die länderspezifischen Verwaltungsvorschriften wird diese Möglichkeit derzeit in die Praxis eingeführt, sodass das System als Nachweismöglichkeit auch in Bauordnungsbehörden eine Akzeptanz finden muss.
Weitere Entwicklung
Die Bundesarchitektenkammer hatte sich bereits im Herbst vergangenen Jahres in einer gemeinsamen Erklärung mit verschiedenen Verbänden der Hersteller sowie der Bau- und Immobilienwirtschaft für ein System der Technischen Dokumentation ausgesprochen. Nach der gemeinsamen Erklärung ist unter anderem geplant, die Anforderungsdokumente auf der Webseite www.abid-bau.de zu sammeln und zu veröffentlichen. Diese Webseite soll damit neben der oben angesprochenen Prioritätenliste eines der zentralen Instrumente im Umgang mit den Erklärungsdefiziten sein.
Zudem hat das Deutsche Institut für Normung (DIN) als Hilfestellung Hinweistexte zur Ausschreibung entwickelt, die dauerhaft kostenlos über die Onlineplattform www.sichere-bauprodukte.de zur Verfügung stehen, die ein leichteres, übersichtliches Auffinden der derzeit 84 harmonisierten Bauproduktnormen mit zusätzlichen nationalen Anforderungen ermöglicht. Die Grundlage bildet auch hier die Prioritätenliste. Eine Verknüpfung zum Standardleistungsbuch Bau ist über die GAEB-Schnittstelle möglich.
Nun müssen sich diese Systeme und Hilfestellungen der Praxis stellen. Hier gilt es für alle am Bau Beteiligten, die weitere Entwicklung kontinuierlich zu beobachten.
Dr. Matthias Kuplich, LL. M., ist Rechtsanwalt und Partner der skbl :: Rechtsanwälte : Fachanwälte in Magdeburg sowie Justiziar der Architektenkammer Sachsen-Anhalt
Barbara Christiane Schlesinger ist Architektin und Referatsleiterin Architektur und Bautechnik der Bundesarchitektenkammer
Den ersten Teil des Beitrags lesen Sie hier
MEHR INFORMATIONEN
Sammlung von Anforderungsdokumenten: www.abid-bau.de
Hinweistexte zur Ausschreibung: www.sichere-bauprodukte.de
Prioritätenliste des DIBt: www.dibt.de/de/DIBt/DIBt-EuGH-Urteil.html
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