Biodynamisches Licht kann unseren Tagesrhythmus in Kliniken und Büros unterstützen. In Verbindung mit dem Internet der Dinge tun sich so völlig neue Möglichkeiten auf.
Morgens putscht es auf, später am Tag beruhigt es. Unser Alltag wird von einer dezenten, uns meist willkommenen Droge gesteuert: Licht. „Es hilft im Einsatz gegen Depressionen“, sagt Herbert Plischke, „kann uns einen Dopamin-Schub bescheren, aber wie ein Medikament auch überdosiert werden.“ Der Professor an der Hochschule München forscht im Fachgebiet Licht und Gesundheit. Vor über 15 Jahren entdeckten Wissenschaftler Fotorezeptoren in der Netzhaut des Auges, die nicht dem Sehen dienen, sondern die innere Uhr jedes Menschen beeinflussen. Seitdem erscheinen weltweit regelmäßig neue Studien, die sich mit der „melanopischen“ Lichtwirkung befassen: Nachts wird im Körper Melatonin erzeugt, das den menschlichen Tag-Nacht-Rhythmus steuert. „Das Hormon macht müde, Körperfunktionen werden dadurch heruntergefahren, sodass man gut schlafen kann“, erläutert Plischke. „In dieser Phase schüttet der Körper Wachstumshormone aus, die nachts Zellen reparieren.“ Licht mit hohem Blauanteil, wie wir es am Morgen erleben, lässt den Melatoninpegel schnell sinken. Wir werden wach und für die nächsten Stunden aktiviert. Enthält Licht eher Rotanteile, wie es ab nachmittags der Fall ist, wird die Produktion des Hormons nicht mehr gehemmt – man ermüdet leichter.
Mit Blick auf diesen Effekt rücken Konzepte für Beleuchtungen in den Fokus, die mit Tages- wie Kunstlicht arbeiten und die biodynamische Wirkung bewusst nutzen. Diese werden als „dynamisches“ oder „biodynamisches“ Licht bezeichnet, als herstellerneutralen Begriff nutzen Wissenschaftler „Human Centric Lighting“ (HCL). Im Pflegebereich gibt es damit bereits breitere Erfahrungen aus der Praxis. „In Seniorenheimen zum Beispiel werden die Vorteile direkt deutlich und finanziell spürbar“, sagt Plischke. Weniger Stürze und besserer Schlaf steigern die Lebensqualität der Bewohner und reduzierten die Kosten für die Betreiber. „Und in Kliniken ist es erwiesen, dass sich Patienten in Räumen mit viel Tageslicht – natürlich oder künstlich ergänzt – schneller erholen.“
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Living Labs in der Klinik und im Büro
Solche Erkenntnisse sammelt das österreichische Ingenieurbüro Bartenbach unter anderem seit zwei Jahren im Tiroler Landeskrankenhaus Hall. Die Licht-Pioniere haben in der Klinik die Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie A mit biodynamischer Beleuchtung ausgestattet. Lichtintensitäten und Lichtfarben ändern sich permanent von selbst: in Patientenzimmern, Badezimmern, Fluren, Personalräumen und Aufenthaltsbereichen. Die wechselnden Lichtmilieus wurden an die sozialen Rhythmen wie Schlaf- und Essenszeiten und medizinische Behandlungen der Patienten sowie die Anforderungen des Stationsbetriebs angepasst. Mit dem Institut für Psychologie der Karl-Franzens-Universität Graz evaluiert ein Bartenbach-Team nicht-visuelle Wirkungen dieser Installation auf depressive und demente Patienten.
Hierfür wurden unter anderem standortbezogene Wetterdaten sowie Bewegungsdaten am Handgelenk und elektronische Patientenakten aller Patienten erhoben. Außerdem zeichneten die Forscher raumbezogene Zutrittsdaten von Personal und Patienten mit Hilfe eines neu installierten Türschließsystems auf und befragten Patienten, Angehörige sowie Ärzte. Eine vorläufige Datenanalyse zu Stürzen und Fixationen von 695 stationären Patienten der Gerontopsychiatrischen Station ergab: Obwohl keine signifikante Verringerung der Stürze feststellbar war, verringerte sich der Schweregrad der durch die Stürze verursachten Verletzungen deutlich. Darüber hinaus nahmen die Fixierungsraten ebenfalls nach der Sanierung deutlich ab.
Die Lichtplaner gehen über die Entwicklung von HCL-Konzepten für Bereiche wie Pflege, Produktion und Büros bereits hinaus. „Der 2013 geprägte Begriff HCL ist mittlerweile Grundstandard. Der neue Trend heißt ‚connected light‘ – Licht wird ein Teil der Informations- und Kommunikationstechnik“, sagt Wilfried Pohl, Leiter der Forschungsabteilung bei Bartenbach. „Leuchten mit zusätzlicher Sensorik – etwa für Temperatur, CO2 oder Bewegung – werden Teil des Internets der Dinge.“ Das Unternehmen hat sich in der eigenen Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung (F&E) an seinem Sitz in Tirol solch ein komplexes System installiert: Sowohl die Beleuchtung als auch die Lüftung reagieren dort auf Veränderungen des Tageslichts sowie die An- oder Abwesenheit von Mitarbeitern.
Die 2015 in der eigenen Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung (F&E) installierte HCL-Beleuchtung hat sich mittlerweile bewährt, und erste Erfahrungen im Langzeitbetrieb liegen nun vor. „Unter anderem zeigte sich, dass die exzessive Nutzung des Tageslichtes über längere Zeiträume selbst in fensterfernen Arbeitsplätzen ermöglicht und damit auch durch nichtvisuelle Wirkungen einen großen Beitrag zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter leistet“, so Pohl. „Gleichzeitig zeigte sich, dass dieses Tageslicht eine extrem hohe Akzeptanz im Vergleich zu Kunstlicht bei großen Helligkeiten aufweist.“ Der Beleg dafür: Die Mitarbeiter reduzieren die Helligkeit nicht, obwohl sie dies durch manuelles Dimmen und Verstellen der Tageslichtsysteme könnten.
Ein wichtiger Aspekt des Konzepts besteht darin, dass die einzelnen Arbeitsplätze individuell beleuchtet werden können und die Nachbarn vom Licht der Kollegen nicht gestört werden. Die Lichtfarbe ändert sich im Laufe des Tages automatisch, sie passt sich an das natürliche Sonnenlicht an: Morgens ist der Blauanteil stärker, zum Abend hin steigt der Rotanteil; die Lichtfarbe folgt dabei über einen Außensensor den Veränderungen des Tageslichtes. In jeder Leuchte befinden sich zwei verschiedene LEDs (warmweiß und kaltweiß), die durch Veränderung des Mischverhältnisses für einen stufenlosen Übergang sorgen.
Anfang 2019 startet Bartenbach ein Forschungsprojekt, in dem die Auswirkungen des Tages- und Kunstlichtsystems im F&E-Gebäude systematisch und wissenschaftlich untersucht werden. „So erlaubt etwa eine Analyse der Nutzereingriffe in die Lichtsteuerung ein stetes Lernen, wie biodynamische Lichtsteuerungen in Zukunft aufgebaut werden müssen“, berichtet Pohl. „Damit soll einerseits die Akzeptanz der Nutzer gewährleistet werden. Darüber hinaus wollen wir damit eine Steuerung etablieren, in welche Nutzer möglichst wenig eingreifen, sodass die längerfristigen biologischen und energetischen Wirkungen auch erzielt werden.“
Konkrete Vorgaben für die Planung fehlen noch
Der Forschungsbedarf zu den gesundheitlichen Auswirkungen biodynamischer Beleuchtung ist nach wie vor groß. In Deutschland sind noch keine rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Einsatz formuliert. „In den meisten Studien zum Thema steht viel zu Chancen und wenig zu Risiken“, gibt Jörg Feldmann zu bedenken. Der Sprecher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sieht Handlungsbedarf: „Steigende gesetzliche Anforderungen bei der Energieeffizienz veranlassen Unternehmen dazu, auch ihre Beleuchtungssysteme zu erneuern. Dynamische Beleuchtung wird am Arbeitsplatz also künftig stark zunehmen.“ Der Ausschuss für Arbeitsstätten befasst sich mit Risiken und Chancen dynamischer Beleuchtung, um arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse für konkrete Empfehlungen zu erarbeiten.
Schon 2013 wurde die DIN SPEC (Fachbericht) 67600 herausgegeben. Doch sie ist umstritten. Bei ihr fehlen „ausreichend gesicherte Erkenntnisse“, kritisierte im vergangenen Jahr die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN). Daher sei eine „Normung im Bereich ‚Anforderungen oder Empfehlungen für die Planung und den Betrieb künstlicher, biologisch wirksamer Beleuchtung an Arbeitsplätzen‘ aktuell nicht sinnvoll und außerdem nicht zulässig“. Deshalb, so die KAN weiter, „sollte nicht in anderen Normen oder Spezifikationen auf die DIN SPEC (Fachbericht) verwiesen werden“ und „dürfen die Inhalte der DIN SPEC (Fachbericht) 67600 grundsätzlich nicht für eine Konkretisierung der Technischen Regel ASR A3.4 ‚Beleuchtung‘ herangezogen werden“. Um unter „Berücksichtigung des Sehvermögens der Beschäftigten angemessene Lichtverhältnisse in Büroräumen“ zu erzielen, müssen „sieben lichttechnische Gütemerkmale“, so die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), „besonders beachtet werden“ (DGUV Information 215-442). Darunter fällt auch das Merkmal „Lichtfarbe und Farbwiedergabe“. Doch an Vorgaben oder Handlungsempfehlungen für HCL, die allgemein anerkannt sind, fehlt es bislang noch.
Für die Planung wird empfohlen
„Ziel einer biologisch wirksamen Beleuchtung am Büroarbeitsplatz sollte sein, Menschen ein natürliches Lichterlebnis und dessen positive Wirkung zu geben“, sagt Wolfgang Auber, Marketingleiter bei Waldmann. „Dazu können zwei unterschiedliche Wege gewählt werden, entweder die Orientierung am Tagesverlauf oder an der menschlichen Leistungskurve.“ Bei Letzterer wird eine aktivierende Beleuchtung bei Leistungstiefs – etwa am frühen Nachmittag – eingesetzt. Waldmann geht den ersten Weg. Zu den jüngsten Projekten des Familienunternehmens gehört die Firmenzentrale der Erber Group in Getzersdorf/Niederösterreich. Auf einer Bürofläche von 11.000 Quadratmetern arbeiten dort bis zu 400 Mitarbeiter. Die Intensität und die Lichtfarbe des indirekt von der Leuchte erzeugten Lichts variieren zwischen tageslichtähnlichen 6.500 Kelvin am Morgen zur Aktivierung und warmweißen 3.000 Kelvin für eine gemütlichere Atmosphäre am Abend. „Dieser Ablauf kommt natürlichem Licht am nächsten und beeinflusst positiv die Hormonproduktion und den biologischen Rhythmus der Mitarbeiter“, erläutert Auber. „Für den bestmöglichen visuellen Komfort ist der Anteil des direkten, neutralen Arbeitslichts mit konstanten 4.000 Kelvin Farbtemperatur individuell dimmbar.“
Um sicherzustellen, dass die Beleuchtungssysteme gesundheitlich optimal sind, sitzen bei Waldmann unter anderem Arbeitsmediziner mit am Tisch. Damit die Lichtkurve später im laufenden Betrieb nicht aus Versehen falsch justiert wird, ist sie werkseitig fest definiert. „Wer seine Mitarbeiter zum Abend hin mit künstlichem Licht ‚dopt‘, erzielt einen negativen Effekt“, warnt Auber. „Denn Mitarbeiter, die abends Licht mit hohen Blauanteilen ausgesetzt werden, können schlecht einschlafen – und sind morgens nicht fit.“
Lars Klaaßen ist freiberuflicher Journalist in Berlin
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