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Zurück Architekten und BIM

„Der digitale Zwilling ist nicht kreativ“

Warum reden eigentlich alle über BIM? Und geht das wieder vorbei? BAK-Vizepräsident Martin Müller über Interessenlagen, die richtige Strategie und die Rolle der Architekten in der Planung der Zukunft

03.01.20197 Min. Kommentar schreiben


Interview: Brigitte Schultz

Viele haben das Gefühl, dass die Digitalisierung im Bauwesen eine neue Dynamik bekommen hat. Insbesondere BIM ist in aller Munde. Warum?

Die neue Dynamik ist politisch begründet und wird daneben von interessierten Kreisen protegiert. Der Meilenstein war hier die Reformkommission Großprojekte. Sie hat 2015 zu einem Maßnahmenkatalog geführt, der auch BIM beinhaltet. Der Tenor: Wenn wir das verstärkt angewandt hätten, wären viele Desaster von Kosten- und Terminüberschreitung so nicht passiert. So wurde BIM zu einer Art Heilsversprechen.

Besteht beim Fokus auf BIM die Gefahr, dass man das große Ganze übersieht?

Das glaube ich nicht. BIM ist der planerische digitale Zwilling eines Bauwerks, der entsteht, bevor es gebaut wird. Dafür werden erprobte Mechanismen zusammengeführt. 3D-Planung gab es schon, als noch mit der Feder gezeichnet wurde. Ob eine Stütze mit einer Leitung kollidiert oder welche Eigenschaften ein Bauteil hat, hat man früher händisch oder im CAD geplant und geprüft. Jetzt fließen diese geometrischen Daten nebst Attributierung in dem Digitalzwilling zusammen, der bestenfalls über die gesamte Lebenszeit des Gebäudes nutzbar sein soll.

Was ist neu an BIM?

Richtig spannend wird es, wenn man Kosten und Zeit als vierte und fünfte Dimension neben den geometrischen Dimensionen im Modell vereint. Konkret: Wenn das einfache Glas zu Panzerglas wird, sehe ich sofort die Mehrkosten. Oder man pflegt logistische Abläufe wie Lieferzeiten so ein, dass sich die Terminkette optimiert. Daran arbeitet unser Baukosteninformationszentrum BKI gerade. Unsere planerische Verantwortung wird dadurch nicht größer oder kleiner, aber eindeutiger zugeordnet.

Als CAD aufkam, war man sich nicht sicher, ob das alle brauchen. Heute fragt sich keiner mehr: Rapi oder Programm? Ist die Einführung von BIM damit vergleichbar?

Theoretisch ja, praktisch nein. Weil die Einführung von CAD nicht politisch aufgeladen war. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es ist elementar, darauf zu achten, welche Interessen gerade etwas bewegen. Derzeit wird BIM von vielen als Steigbügel für ihre eigenen Interessen gesehen und dementsprechend verklärt.

Ändert sich durch BIM etwas an der Rolle und den Aufgaben der Architekten?

Nein, das sollte es nicht. Und das sollten die Architekten auch einfordern. Es mag Stimmen geben, die sich Änderungen wünschen, Stichwort: Aufhebung der Trennung von Planung und Ausführung. Aber an ihrer Rolle als Generalisten, die das große Ganze steuern, sollten die Architekten festhalten.

Welche Chancen birgt die neue Methode?

Wir haben die Chance, uns über die Rollen des BIM-Koordinators und des BIM-Managers in die Mitte des Geschehens zu bringen und dadurch wieder in die Funktion des klassischen Baumeisters zu rücken. Das ist sozusagen mithilfe neuer Werkzeuge die Wiederbelebung guter alter Traditionen.

Wie bleiben Architekten konkret am Ball?

Es geht sicher nicht darum, den Heilsversprechen der Industrie hinterherzulaufen. Also: Ruhe bewahren. Sich ein Bild von der Metaebene aus machen. Nachvollziehen, was die Architektenkammern berufspolitisch diskutieren, Veranstaltungen besuchen, Pro und Kontra abwägen, sich mit Kollegen austauschen. Schauen, wie das eigene Büroportfolio mit der neuen Methode vereinbar ist. Die Politik und der öffentliche Auftraggeber, der von ihr am ehesten zu steuern ist, müssen das übrigens gerade genauso üben wie die Architekten.

Können kleine Büros sich zurücklehnen und warten, bis der Kelch vorübergeht?

Den Tipp würde ich nicht geben. Die Masse der kleinen Baumaßnahmen wird zwar zunächst ohne BIM ablaufen. Aber selbst im Bestand können auch kleine Bauaufgaben schnell BIM-lastig werden. Ein Beispiel: Hauptbahnhof Berlin; aus einem der Shops soll ein Bäcker werden. Schon muss ich für 50 Qua­dratmeter auf einmal mit BIM arbeiten, weil der Bauherr Deutsche Bahn das vorgibt. Man weiß nicht, welche Anfrage einen morgen erreicht. Deswegen muss man sich nicht verrückt machen, aber man sollte mit offenem Visier auf das Thema zugehen und sich fortbilden. Und an Netzwerke denken! Selbst wenn mein Büro nicht BIM-fähig ist, mag es ein Nachbarbüro geben, das mich unterstützen kann, sodass wir als Arge den Auftrag annehmen können.

Müssen Architekten Bedenken haben, dass sie wegrationalisiert werden, wenn man das System so gut füttert, dass alles „automatisch“ funktioniert?

Nein. Diese Hilfsmittel und Methoden sind doch, wenn sie funktionieren, eine dankbare Möglichkeit, die eigene Kreativität wieder nach vorn zu schieben. Der digitale Zwilling ist nicht kreativ. Der ist so intelligent wie ein Stück Brot. Die Daten müssen die Planer zuliefern.

Ist es realistisch, dass man digital schon vor dem ersten Spatenstich fertig baut?

Idealtypisch wären zu Baubeginn alle Prozesse abgearbeitet. Aber baubegleitende Planung hat immer schon stattgefunden. Dies soll die Methode BIM optimieren. Doch unser Sachverstand und die tägliche Praxis sagen uns, dass es so reibungslos wahrscheinlich nicht laufen wird, weil Menschen eben immer – auch zwischendurch – Wünsche haben.

Was bedeutet das für Bauherren?

Wenn der digitale Zwilling tatsächlich fertig sein soll, bevor gebaut wird, müssen sie sich früh festlegen. Das kann auch überfordern. Damit tauchen für die Architekten am Horizont neue Berufsbilder auf, wie der BIM-Koordinator. Egal, wie charmant sich diese neuen Namen anhören: Der Architekt sollte derjenige sein, der dem Bauherrn sagt, was er für ihn leisten kann, und ihn am Anfang beraten und festlegen, wie das BIM-Projekt ablaufen kann. Denn nichts wäre schlimmer, als wenn sich neue Berufsgruppen auftun, die alle ihren Teil vom Kuchen haben wollen und nur zur Verwirrung beitragen.

Wie ist die BAK bei BIM politisch aktiv?

Wir versuchen einerseits, die Architekten mit dem nötigen Wissen zu versorgen. Und andererseits alle, die von außerhalb des Berufsstands vorpreschen, so weit einzufangen, dass sie die Architektenschaft nicht belasten können. Im Sommer 2017 haben wir mitbekommen, dass die Zertifizierung von Schulungen anstand. Darauf haben wir mit dem BIM Standard Deutscher Architektenkammern reagiert. Wir sind in den Branchendialog „Digitaler Hochbau“ eingebunden. Durch die Teilnahme an einer Ausschreibung der Bundesbauverwaltung haben wir 2018 erreicht, dass wir nun Fortbildungen für die öffentliche Hand durchführen, die den gleichen Inhalt haben wie unsere Schulung für die Kollegen. Das war ein großer Erfolg, denn es ist wichtig, dass sich am Ende alle mit dem gleichen Vokabular über das gleiche Thema unterhalten.

Die Schulungen sind für Hochbauer?

Nein. BIM ist ein Instrument. Was ich damit plane, ist egal. Im Gegenteil, wenn die Fachrichtungen in den Schulungen schon zusammenkommen, gibt es ein Verständnis aller, vom Architekten über die Innenarchitektin und den Landschaftsarchitekten bis zur Stadtplanerin, nicht zu vergessen die Ingenieure, sich später auch digital verzahnen zu müssen.

Wie sieht die Zukunft von BIM aus?

Entscheidend ist, dass wir als Architektenschaft rechtzeitig auf die Lokomotive kommen, um die Entwicklung zu beeinflussen und ihr nicht hinterherzurennen. Wir möchten Treiber und Systemführer sein. Das kostet viel Kraft, weil alle auf diesem Feld versuchen, ihre Duftmarke zu hinterlassen. Die Bauindustrie, die Politik, die Softwareindustrie – jeder hat sein berechtigtes Interesse. Ich kann da keinem böse sein. Nur: Warum sollten wir uns zurückhalten? Warum sollen Architekten zum Beispiel zum TÜV laufen, um sich in BIM schulen zu lassen? Das wollen wir machen. Es soll sich jeder interessierte Architekt an seine Heimatkammer wenden und sich gemeinsam mit anderen schlaumachen können. Ich glaube, das ist ein guter Weg, die Architektenfamilie zusammenzuhalten.


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