Von Rudolf Stumberger
Die rosa Kugel mit einem Durchmesser von gut 20 Zentimetern hat es in sich. Handelt es sich doch dabei um 3,9 Kilogramm PETN, einem Plastiksprengstoff. Die Kugel passt in einen Rucksack oder eine Tasche und könnte so für ein Attentat genutzt werden. Und um derartige Szenarien geht es hier, auf einem kahlen Sprengplatz inmitten der Kiefernwälder rings um Berlin. „Immergrüne Pflanzen können den Explosionsdruck deutlich mindern“, sagt Prof. Norbert Gebbeken von der Universität der Bundeswehr in Neubiberg / Oberbayern. Deshalb wird in einem weltweit einzigartigen Versuch getestet, wie man Gebäude oder öffentliche Räume durch Bepflanzung vor Anschlägen schützen kann. Und jetzt gibt es an diesem Donnerstag Vormittag einen dumpfen Knall – der Sprengstoff ist explodiert. In fünf Meter Entfernung von drei Testpflanzen: Thuje, Berberitze und Eibe.
„Bisher“, so der Professor, „gibt es in Deutschland keine Regelwerke oder Empfehlungen für den baulichen Schutz urbaner Räume. Regelungen und Zertifizierungen existieren bisher nur für klassische Poller und für andere Fahrzeugsperren.“ Die gesellschaftliche Diskussion in Deutschland zeige aber, dass man keine Verpollerung der Städte möchte und auch kein Zubetonieren. Gebbeken: „Also müssen wir diese neuen Möglichkeiten stadtplanerisch angepasster ‚unsichtbarer‘ Schutzsysteme umsetzen.“ Sogenannte Explosionsschutzpflanzen können im urbanen Raum sehr gut als unsichtbare Barrieren eingesetzt werden und zudem mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen: Als Schutz, als Begrünung, zur Kühlung der Städte sowie als Verbindung der Lebensräume. In Kombination mit Pflanzkübeln und eingefassten Beeten sind sie auch ein guter Durchfahrtsschutz.
Heute steht auf dem „Testgelände Technische Sicherheit“ der deutschen Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Horstwalde südlich von Berlin folgendes Programm auf der Tagesordnung: Zwei Mal „Pflanze Kat. 1 (Thuja)“ und zwei Mal „Pflanze Kat. 2 (Eibe)“. Durchgeführt werden die Sprengungen im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Früher, vor der Wende, hat sich das Bundesamt vor allem um Bunker und deren Zustand gekümmert. Heute geht es um neue Aufgaben, „um bauliche Fragestellungen bei Naturgefahren und um Explosionsschutz“. Der Hintergrund: Die Bedrohung durch terroristische Angriffe, wie sie in den vergangenen Jahren in ganz Europa geschahen. Deshalb hat man im BBK ein spezielles Programm („UGABE“ – „Untersuchungen von Gebäuden und Aufenthaltsstätten unter hochdynamischen Belastungen durch Explosionen mit Erprobung der vorgesetzten und eingebauten Sicherheitsmaßnahmen an unterschiedlichen Gebäuden“) mit einem Etat von rund 770.000 Euro ins Leben gerufen. Mit dabei: Professor Norbert Gebbeken vom Lehrstuhl für Baustatik. Sein Forschungsauftrag: Herauszufinden, wie sich Pflanzen bei Explosionen verhalten und ob sie in der Lage sind, die Druckwelle abzuschwächen.
Mit dabei ist auch sein Assistent Paul Warnstedt, der 33-Jährige schreibt an seiner Doktorarbeit über die „explosionshemmende Nutzung von Heckenpflanzen“ und kümmert sich jetzt um den Versuchsaufbau. Wissenschaftlich ausgedrückt geht das so: „Bei dem Versuchsaufbau handelt es sich um einen dreiachsigen Arenaaufbau. Die drei Versuchsachsen sind jeweils mit einem Winkel von 120 Grad zueinander darum herum angeordnet. Die Ladung befindet sich im Zentrum der Arena. Durch die Explosion entsteht eine Luftstoßwelle, die sich hemisphärisch ausbreitet. Bei einer Sprengung können bis zu drei Versuchsobjekte getestet werden. Werden nur zwei Versuchsobjekte getestet, dient die dritte Achse als Referenzachse, in der sich die Luftstoßwelle ungehindert ausbreitet. In jeder der drei Achsen werden in verschiedenen Abständen die Druck-Zeit-Verläufe ermittelt, die durch die Luftstoßwelle hervorgerufen werden.“
Konkret vor Ort sieht das so aus: Die rosa Sprengkugel wird in der Mitte auf einem Styroporblock abgelegt. Drumherum stehen in einem Abstand von fünf Metern die Pflanzen: Rechts die Eibe, in der Mitte die Thuje, links die Berberitze (siehe Foto). Während der Explosion wird vor und hinter den Pflanzen der Druck gemessen, so kann die explosionshemmende Wirkung der Hecken ermittelt werden.
Jetzt ist es 11 Uhr vormittags und das Warnsignal für die Sprengung ertönt. Längst haben sich Prof. Gebbeken und die Mitarbeiter zu ihrem Schutz in den Bunker begeben und verfolgen von dort aus durch Fenster mit Sicherheitsglas die Explosion. Dann ist es soweit: Ein dumpfer Knall, ein Feuerball und anschließend eine aufsteigende Rauchwolke.
Zehn Minuten später: „Die Berberitze hat es kräftig erwischt“, urteilt Sicherheitsexperte Gebbeken und deutet auf die vielen Blätter am Boden. Gut weggekommen sind hingegen Eiben und Thujen. Was lässt sich nach den Sprengtests als Ergebnis festhalten? „Die Versuche haben gezeigt, dass immergrüne Pflanzen einen Explosionsdruck signifikant reduzieren können. Bei den Versuchen haben Nadelpflanzen, also Thuja oder Eibe, besser abgeschnitten als Blattpflanzen wie Berberitzen, Bambus oder Kirschlorbeer“, so Gebbeken. Die Nadelpflanzen reduzieren den Explosionsdruck immerhin um bis zu 60 Prozent, die Blattpflanzen um bis zu 35 Prozent.
Getestet wurden nicht nur Pflanzen, sondern auch Kettengeflechte. Gebbeken: „Ringgeflechte werden seit einiger Zeit gerne in der Architektur, Innenarchitektur und im Design eingesetzt. Sie sind landläufig auch bekannt als ‚Kettenhemden‘, die im Mittelalter Soldaten vor Stich- und Hiebwaffen schützten. Wir stellten uns somit die Frage, inwiefern sie auch vor Explosion und herumfliegenden Gegenständen schützen können.“ Versuche mit Bombenfragmenten bestätigten die Annahme, dass Ringgeflechte durch Explosion beschleunigte Gegenstände und Splitter sehr gut auffangen können. Allerdings wurde der Explosionsdruck nur sehr wenig reduziert.
„Inspiriert durch ein europäisches Forschungsprogramm zum Herunterkühlen von Städten, die sich zunehmend infolge des Klimawandels aufheizen, kamen wir auf die Idee, an den Kettenvorhängen Wasser herunterrieseln zu lassen, das einerseits kühlt und andererseits einen möglichen Explosionsdruck reduziert. Da die Zerstäubung des Wassers infolge einer Explosion noch nicht numerisch simuliert werden kann, wurden weltweit erstmals Versuche dazu durchgeführt. Sie zeigten, dass die Ringgeflechte kombiniert mit einem Wasservorhang den Explosionsdruck um bis zu 50 Prozent reduzieren“, so der Neubiberger Professor. Damit könnten Ringgeflechte multifunktional eingesetzt werden. Als Fassaden, Skulpturen, Wasserspiele, Durchfahrts-, Splitter- und Explosionsschutz. Von den Bürgern würden sie nicht als Terrorschutzelemente wahrgenommen, sondern als urbane Gestaltungselemente
Jetzt sollen diese Ergebnisse aus den Tests mit den Pflanzen und den Kettengeflechten für die Städte brauchbar gemacht werden. Gebbeken: „Hierfür ist es sinnvoll, dass systemische Masterpläne für Kommunen erstellt werden, bei denen zumindest Polizei, Feuerwehr, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Sicherheitsingenieure zusammenarbeiten.“ Und für die Akzeptanz sei es auch wichtig, dass Bürger und die Wirtschaft beteiligt würden.
Dr. Rudolf Stumberger ist Privatdozent an der Universität Frankfurt am Main und arbeitet als freier Journalist in München für internationale Zeitungen und Magazine
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Das ist ja wirklich klasse, dass endlich mal solche Studien vorgenommen werden. Ich sehe sie schon vor mir, die bildschönen Kettenzäune und wundervollen Thuja-Hecken, die unsere Städte durchziehen, z.B. rund um den Viktualienmarkt in München oder rund um den Vorplatz des Doms in Köln oder entlang des Jungfernstiegs in Hamburg oder … Das ganze scheint mir so sinnvoll wie der Ratschlag in Filmen der 50er und 60er, in denen SchülerInnen zum Schutz bei einem Atombombenangriff empfohlen wurde sich unter den Schulbänken zu verstecken. Es wäre sicher effektiver sich auf die Geldgeber des Terrorismus zu konzentrieren oder besser noch dessen Ursachen: Unterdrückung, kulturelle Ignoranz …