Von Christian Helms
Zum hundertjährigen Bauhausjubiläum 2019 erinnern zahlreiche Publikationen an die wegweisenden Leistungen des Bauhauses auf dem Gebiet der Architektur, der Gestaltung von Möbeln und Haushaltsgeräten, an seine Entwürfe für Tapeten und Möbelstoffe sowie an seine Neuerungen auf dem Gebiet der Typografie und der Reklame. Dagegen ist kaum bekannt, dass sich das Bauhaus zeitgenössischen Bewegungen verpflichtet fühlte, die auf politische, soziale und pädagogische Reformen drängten. Von links wurde es dafür gefördert; von rechts bekämpft.
Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges nahmen Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland zu. Der Direktor der Weimarer Kunstgewerbeschule, der Belgier Henry van de Velde, zog es vor, Deutschland zu verlassen. Für seine Nachfolge empfahl er den Architekten Walter Gropius. Mit seinen Vorstellungen zur Reform der künstlerischen Ausbildung stieß Gropius bei der Kunsthochschule und dem Hofmarschallamt jedoch auf wenig Gegenliebe. Anfang 1916 formulierte er sie in einer Denkschrift. Mit ihr wandte er sich an das Großherzogliche Staatsministerium. Wieder wurde er abgewiesen.
Drei Jahre später, geschwächt durch die Revolution, mussten die konservativen Reformgegner die Gründung des Bauhauses hinnehmen. Im April 1919 stimmten die USPD, SPD und KPD in der neuen Thüringer Landesregierung für die Einrichtung des Bauhauses als staatliche Institution. Als Grundlage für seine künftige Arbeit diente die Denkschrift von 1916. Inspiriert durch die sozialen, ästhetischen und pädagogischen Reformideen, beflügelt durch die kulturelle Aufbruchstimmung der frühen Weimarer Republik begann in Ausbildung und Praxis eine erfolgreiche Phase der Bauhausarbeit. Fünf Jahre später siegte die Deutschnationale Volkspartei bei den Wahlen in Thüringen. Nach einschneidenden Etatkürzungen der neuen rechtskonservativen Landesregierung sah sich die Leitung des Bauhauses gezwungen, die Arbeit zum 1. April 1924 einzustellen.
Umzug nach Dessau
Durch Ausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit weit über Weimar hinaus bekannt, erhielt das Bauhaus Angebote aus mehreren Städten. Darunter Frankfurt am Main, München und Hamburg. Mit seinen engsten Mitarbeitern entschied sich Walter Gropius für das kleine anhaltische Dessau. Für die weitere Arbeit der Schule erschien ihnen die Nähe zur weltweit führenden Industrie Mitteldeutschlands vorteilhaft: Der Braunkohlenbergbau und die Chemieindustrie setzten hier als Erste Elektromotiven ein, in Dessau bauten die Junckers-Flugzeugwerke das erste Ganzmetallflugzeug, in Bitterfeld gelang es, erstmals Aluminium industriell zu produzieren,…
In diesem innovativen Umfeld hofften die Bauhausmeister ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Sie reichten inzwischen von der Regionalplanung über die Stadtplanung bis zum industriell vorgefertigten Wohnhaus samt Möblierung und Hausrat. Ein Gebot der Zeit und des Ortes. Denn die Entwicklung des mitteldeutschen Raumes, der Bau von Fabrikanlagen und Wohnsiedlungen, forciert durch die Rüstungsproduktion im ersten Weltkrieg, war bisher mehr von kurzfristigen Notwendigkeiten bestimmt als langfristig sinnvoll geplant. Neben positiven Impulsen für die weitere Entwicklung der Stadt und der Region versprachen sich die Dessauer Kommunalpolitiker durch die Arbeit des Bauhauses die Linderung der Wohnungsnot. Wie in ganz Deutschland grassierte sie in den Nachkriegsjahren auch in Dessau. Mit der Stimmenmehrheit der Demokratischen Partei (DP), der SPD und der KPD beschloss der Stadtrat 1925 die Einrichtung des Bauhauses als städtische Institution. Dagegen stimmten die Rechtsnationalen und die Nationalsozialisten.
In Dessau entstanden nach Planungen des Bauhauses bis 1930 das Bauhausgebäude, die Meisterhäuser, die Siedlung Dessau-Törten, das Dessauer Arbeitsamt, das Konsumgebäude und die Laubenganghäuser in Dessau-Törten, die Siedlung Dessau-Ziebick sowie mehrere Experimentalbauten. Zur Verringerung der Kosten und zur Verkürzung der Bauzeit wurden für die Siedlungsbauten Methoden der Vorfertigung erprobt. Gleichzeitig wurde in den Ateliers und Werkstätten intensiv an Entwürfen und Prototypen für Lampen, Möbel, Hausrat, Textilien, Fußbodenbelägen … gearbeitet. Erklärtes Ziel war es, im Zusammenwirken mit der Industrie, funktionell und ästhetisch hochwertige Produkte zu entwickeln und sie in großen Serien preisgünstig für den Massenbedarf zu produzieren. Ungeachtet der dabei erzielten Erfolge hetzten die Bauhausgegner – allen voran die Nationalsozialisten – unentwegt gegen das Bauhaus. Dabei ging es ihnen weniger um die Institution „Bauhaus“ an sich, sondern vor allem um die Macht. Mit demagogischen Unterstellungen lehrten sie den braven Bürgern das Fürchten vor dem Bauhaus. Bei der ortsansässigen Bauwirtschaft, die fürchtete, durch die Vorfertigung Aufträge zu verlieren, schürten sie Neid. Indem sie den „Angst- und Neidbürgern“ die Liquidation des Bauhauses versprachen, gewannen sie Wählerstimmen.
Einige Zitate aus lokalen Zeitungen jener Jahre mögen das illustrieren: „Dessau unter dem Sowjetstern… Verbastardisierung und Vernegerung unseres Daseins durch die Vergewaltigung unseres Formwillens…verpulvertes Geld unserer Bürgerschaft“. Aber auch: „Wir betonen besonders, daß uns weniger das Institut noch dessen Ziele interessieren. Das ist uns völlig Gottlieb Schulze.“ So im März 1930 in der Anhalter Woche, dem Sprachrohr der Nationalsozialisten. Oder bereits im Juli 1926 im Anhalter Anzeiger: „Architekten können sich den Mund wischen. Auch den Dessauer Handwerkern wird es nicht anders gehen, denn lange wird es nicht dauern, dann wird man vor den Toren Dessaus eine Baufabrik entstehen sehen, welche die Typisierung und die Normalisierung vornimmt und die Häuser ohne Maurer errichtet. Die Ziegelei ist schon stillgelegt.“
Des zeitaufwendigen und kräftezehrenden Kampfes gegen die Anfeindungen müde, erklärte Gropius 1928 seinen Rücktritt. Für seine Nachfolge schlug er den Schweizer Architekten Hannes Meyer vor. Gleichzeitig erfasste die in ganz Deutschland eskalierende politische Polarisierung auch das Bauhaus. Linke Studenten waren dabei tonangebend. Durch die finanziell erfolgreiche Zusammenarbeit des Bauhauses mit der Industrie konnten Studiengebühren erlassen und Stipendien vergeben werden. Jungen Menschen aus unteren sozialen Schichten wurde so der Zugang zum Bauhaus ermöglicht. Die Deutschvölkischen und die Nationalsozialisten reagierten darauf zunehmend aggressiver. Um ihre Angriffe zu entschärfen, „opferte“ der Bürgermeister Hesse schließlich Hannes Meyer. Wohl in der Hoffnung damit das Bauhaus und sich selbst aus der „Schusslinie“ zu nehmen. Als Vorwand diente ihm eine Geldspende von Hannes Meyer für die streikenden Mansfelder Bergarbeiter. Ende Juli 1930 musste Hannes Meyer sein Amt zur Verfügung stellen.
Wenig später, im August 1930 wurde der Berliner Architekt Mies van der Rohe auf Vorschlag von Walter Gropius vom Dessauer Magistrat zum neuen Bauhausdirektor berufen. Für sein Amt empfahl sich van der Rohe als leitender Architekt der Weißenhofsiedlung in Stuttgart, des Barcelona-Pavillons sowie zahlreicher Wohnbauten.
Die Angriffe gegen das Bauhaus ließen dennoch nicht nach. In ihrer Studentenzeitung prophezeite die kommunistischen Studentenfraktion des Bauhauses 1931: „heute objektiv zu sein, wie es sich diese herren wünschen, ist ein unsinn, heute passiv zu sein ist ein verbrechen, denn diese heiß propagierte objektivität heißt faschismus“. Mit den „herren“ waren die Leitung des Bauhauses und der Magistrat der Stadt Dessau gemeint; mit „objektiv“ die immer wieder von diesen „herren“ beschworene politische Neutralität des Bauhauses.
1932 siegten die Nationalsozialisten bei den Wahlen in Anhalt. Im Dessauer Gemeinderat errangen sie zusammen mit den Deutschnationalen die absolute Mehrheit. Im Gemeinderat stellten sie den Antrag: „Der Lehrbetrieb am Bauhaus (Hochschule für Gestaltung) ist mit Wirkung ab 1.Oktober dieses Jahres einzustellen…“. Lediglich die vier Kommunisten im Gemeinderat und der Bürgermeister stimmten dagegen. Die SPD enthielt sich.
Weiter nach Berlin
In Berlin, in einem leerstehenden Fabrikgebäude, wurde bereits am 18.Oktober 1932 die Arbeit wieder aufgenommen. Der Direktor, die meisten Lehrkräfte und Studenten hatten dem Bauhaus die Treue gehalten. Doch schon am 11.Aprill 1933 – die Nationalsozialisten hatten in ganz Deutschland die Macht übernommen – drangen Polizei und SA in das Gebäude ein. Angeblich, um kommunistisches Material sicherzustellen, dass für die politisch inszenierten Prozesse gegen die Unterstützer des Bauhauses in Dessau verwandt werden sollte. An eine Weiterführung des Bauhauses war auch in Berlin nicht mehr zu denken. Auf Beschluss der Lehrerkonferenz vom 20.Juli 1933 wurde es aufgelöst.
Die Bauhausmeister, ihre Schüler und ihre Ideen, vertrieben vom nationalsozialistischen Ungeist, gingen in die Welt hinaus: Albers, Breuer, Gropius, Meyer, van der Rohe, Feininger, Itten, Kandinsky, Klee,… Als Lehranstalt hatte sich das Bauhaus demonstrativ den technischen, wirtschaftlichen aber auch sozialen Herausforderungen seiner Zeit gestellt. Meister und Schüler wollten im Zusammenwirken mit der Industrie Erzeugnisse der industriellen Massenproduktion – Häuser, Möbel und Hausrat kultivieren. Entsprach es doch dem Gebot sozialer Verantwortung, mit erschwinglichen und zugleich hochwertigen und langlebigen Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs breiten Schichten der Bevölkerung Alltagskultur zu ermöglichen.
„Volksbedarf statt Luxusbedarf“ hatte Hannes Meyer gefordert. Heute ist die vom Bauhaus angestrebte Massenproduktion ästhetisch und materiell langlebiger Gebrauchsgüter für den „Volksbedarf“ auch ein dringendes Gebot ökologischer Verantwortung. Die gegenwärtig in kleinen Stückzahlen handwerklich gefertigten Neuauflagen der in diesem Geist gestalteten Produkte erreichen jedoch bestenfalls das zahlungskräftige Publikum exklusiver Designerläden. Zum Gründungsjubiläum des Bauhauses werden seine ästhetischen Leistungen in den Vordergrund gestellt. Seine aktuelle soziale und ökologische Bedeutung tritt dabei in den Hintergrund. Nicht erwähnt werden die schwierigen politischen Bedingungen. Als es den Elfenbeinturm der reinen Künste verließ, mit seinen Ideen, mit seiner Architektur und seinem Design gesellschaftlich wirksam war, wurde es zwangsläufig zum Politikum.