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Was sind allgemein anerkannte Regeln der Technik?

Was ist der Unterschied zu Normen, welche Bedeutung haben sie für Architekten und auf welche Probleme kann man dabei stoßen?

31.01.20197 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Allgemein anerkannt“ im Deutschen Architektenblatt 02.2019 erschienen.

Von Martin Leuschner

Architekten müssen bei Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung jederzeit für ein mangelfreies Werk Sorge tragen. Dabei definieren die sogenannten „(allgemein) anerkannten Regeln der Technik“ (a. R. d. T.), welchen (Mindest-)Standard Bauunternehmer und Architekten schulden, sofern nichts anderes vereinbart ist.

„Anerkannte technische Regeln sind diejenigen Prinzipien und Lösungen, die in der Praxis erprobt und bewährt sind und sich bei der Mehrheit der Praktiker durchgesetzt haben“ (BVerwG, BauR 1997, Seite 291). Zudem muss eine technische Regel in der Wissenschaft als theoretisch richtig gelten. Damit ist also stets eine Anerkennung in Theorie und Praxis erforderlich.

Maßstab für Mangelfreiheit

Nach § 633 Abs. 2 BGB, der sowohl für den Bauvertrag (§§ 650 a ff. BGB) als auch für den Architektenvertrag (§§ 650 p ff. BGB) Anwendung findet, ist ein Werk frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken gleicher Art üblich ist und die der Besteller erwarten kann. Hier wird der Begriff der anerkannten Regeln der Technik zwar – anders als im ansonsten ähnlich lautenden § 13 Abs. 1 VOB/B – nicht genannt, wird aber von der Rechtsprechung vorausgesetzt. Insofern kommen die anerkannten Regeln der Technik beim VOB/B-Vertrag und beim BGB-Vertrag zum Tragen.

Geht es um Ausführungsdetails, wie etwa die Abdichtung der Gebäudesohle oder den U-Wert einzelner Bauteile, finden sich dazu in Bau- und Architektenverträgen selten konkrete Vereinbarungen. Auch eine im Vertrag vorausgesetzte Verwendung des Werks lässt sich nur in Einzelfällen bestimmen. Somit muss für die Bemessung des vertraglich geschuldeten Soll-Zustandes regelmäßig auf die „gewöhnliche Verwendung“ und die „übliche Beschaffenheit“ abgestellt werden. Hier kommen die anerkannten Regeln der Technik als – stillschweigend vereinbarter – vertraglicher Mindeststandard ins Spiel. Werden diese nicht eingehalten, liegt grundsätzlich eine mangelhafte Werkleistung vor.

Anerkannte Regeln der Technik verändern sich

Anerkannte Regeln der Technik sind dynamisch und verändern sich ständig. Sie müssen nicht schriftlich niedergelegt sein. Zu den anerkannten Regeln der Technik können unter anderem zählen: DIN-Normen des Deutschen Institutes für Normung; einheitliche technische Baubestimmungen (ETB) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt); allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C); Europäische Normen (EN) des Europäischen Komitees für Normung (CEN); Technische Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI); Bestimmungen des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE); Herstellervorschriften zur Verwendung oder Verarbeitung von Bauprodukten.

Vor allem DIN-Normen haben hohe praktische Bedeutung. Dabei wird nicht selten übersehen, dass diese nicht schon qua ihrer Existenz anerkannte Regeln der Technik sind und auch keinen Ausschließlichkeitsanspruch begründen. DIN-Normen sind keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter, die längst nicht die Meinung sämtlicher Fachkreise repräsentieren. Es besteht aber seitens der Rechtsprechung die Vermutung, dass kodifizierte Regelwerke wie DIN-Normen anerkannte Regeln der Technik sind. Will man eine DIN-Norm „zu Fall“ bringen, muss man die Vermutungsregel durch den Beweis des Gegenteils erschüttern. Dies kann gelingen, wenn eine DIN-Norm hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleibt oder sich in der Praxis nicht durchgesetzt hat. Ob eine DIN eine anerkannte Regel der Technik ist, muss im Streitfall durch Sachverständige beurteilt werden.

Problemfälle

Aus folgenden Gründen kann ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik entstehen:

1. Veraltete anerkannte Regeln der Technik

Da sich anerkannten Regeln der Technik über einen längeren Zeitraum in der Praxis bewährt haben müssen, können diese der neusten technischen Entwicklung hinterherhinken. So auch bei einem vom OLG Nürnberg zu entscheidenden Fall (Urteil vom 6. August 2015, Az.: 13 U 577/12), bei dem das Gericht die Leistung des Architekten als mangelhaft bewertete, weil der ausgeführte Beton in einem Parkhaus nicht tausalz- und frostbeständig war, obgleich sich der Planer an die einschlägige DIN 1045 gehalten hatte. Nach Auffassung des Gerichts durfte sich der Architekt nicht auf die DIN verlassen, da durch zahlreiche Publikationen Anhaltspunkte bestanden, dass die zum Zeitpunkt der Planung relevante DIN hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückblieb.

2. Abweichende Herstellervorgaben

Beim Umgang mit Herstellervorgaben ist darauf zu achten, dass diese oft keine anerkannten Regeln der Technik sind. Insoweit führt die Einhaltung einer Herstellervorgabe auch nicht zwangsläufig zur Mangelfreiheit eines Werks, wenn die anerkannten Regeln der Technik höhere Anforderungen stellen. Ein Mangel kann umgekehrt vorliegen, wenn die Herstellervorgaben über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehen und diese Vorgaben vom Architekten nicht eingehalten werden.

3. Änderung der anerkannten Regeln der Technik während der Bauzeit

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik ist der Zeitpunkt der Abnahme. Das gilt auch bei einer Änderung der anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme. Dabei drohen insbesondere bei langen Bauprojekten mit vorgeschaltetem Vergabeverfahren nicht unerhebliche Haftungsrisiken. Bevorstehende Änderungen der anerkannten Regeln der Technik müssen vom Planer durch das selbstständige Einholen von Informationen rechtzeitig erkannt und umgesetzt werden. Zwar kann das Bauvorhaben entsprechend den Vorschriften der ursprünglich erteilten Baugenehmigung fertiggestellt werden, allerdings kann die Einhaltung veralteter Vorschriften zivilrechtlich zu einer mangelhaften Leistung führen. Darüber hinaus müssen bei zu erwartenden höheren technischen Anforderungen auch etwaige Mehrkosten kalkuliert und dem Bauherrn rechtzeitig angekündigt werden.

4. Besonderheiten beim Bauen im Bestand

Beim Bauen im Bestand stellt sich die Frage, ob der technische Standard zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes gilt oder die beim Umbau geltenden – meist strengeren – anerkannten Regeln der Technik anzuwenden sind. Einige Gerichte fordern bei umfassenden Umbau- und Sanierungsmaßnahmen die Anwendung der aktuell geltenden anerkannten Regeln der Technik (OLG Schleswig, Urteil vom 27. März 2015, Az.: 1 U 87/10). Da die Grenze zwischen einfachen und umfangreichen Sanierungsmaßnahmen fließend ist, sollten Architekten unbedingt eine schriftliche Vereinbarung mit dem Bauherrn treffen und nötigenfalls eine Haftungsfreizeichnung diskutieren.

5. Abweichende Beschaffenheitsvereinbarungen

  • a) „Nach oben“: Vereinbaren die Bauvertragsparteien einen höheren technischen Standard, kommt es bei der Mangelbeurteilung nicht auf die anerkannten Regeln der Technik, sondern auf die vereinbarte Beschaffenheit an. Probleme entstehen jedoch, wenn der Architekt einen höheren technischen Standard ohne das Einverständnis des Bauherrn wählt. Für die nicht notwendigen Mehrkosten kann er haftbar gemacht werden.
  • b) „Nach unten“: Wollen die Parteien einen Standard unterhalb der anerkannten Regeln der Technik vereinbaren, ist Vorsicht geboten. Die Rechtsprechung stellt an eine wirksame Beschaffenheitsvereinbarung „nach unten“ sehr hohe Anforderungen. Es wird gefordert, dass Architekten ihre Auftraggeber deutlich auf das Abweichen vom üblichen Qualitätsstandard hinweisen und sie über die Risiken aufklären. Dies sollte aus Beweissicherungsgründen schriftlich erfolgen. Bei einer Beschaffenheitsvereinbarung „nach unten“ besteht ferner die Gefahr, dass der Architekt kein funktionstaugliches Werk erstellt und seine Leistung damit trotz wirksamer Vereinbarung mangelhaft ist.

6. Abweichende Vorgaben durch Baubehörde

Macht eine Baubehörde Vorgaben, die zu Abweichungen von einer DIN-Norm führen, kommt der Architekt zwar seiner bauordnungsrechtlichen Verantwortung nach, wenn er die behördlichen Vorgaben umsetzt. Zivilrechtlich kann seine Leistung jedoch mangelhaft sein, wenn er seinen Bauherrn nicht über die DIN-abweichende Bauausführung aufklärt (OLG München, Beschluss vom 18. September 2015, Az.: 27 U 4611/14 Bau).

Mangelhaft auch ohne Schaden

Selbst wenn ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik (noch) nicht zu einem Schaden oder einer Funktionsbeeinträchtigung geführt hat, kann eine Werkleistung mangelhaft sein. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 10. November 2005, Az.: VII ZR 137/04) reicht es aus, dass aufgrund des Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik eine Ungewissheit über die Risiken des Gebrauchs oder die Gefahr einer nachhaltigen Funktionsbeeinträchtigung besteht. Etwas anderes gilt nur, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Gebrauchstauglichkeit des Werks dauerhaft nicht beeinträchtigt ist.

Fazit: Architekten müssen die anerkannten Regeln der Technik kennen und einhalten. Dafür müssen sie aufmerksam technische Neuerungen verfolgen und die Veröffentlichungen von Regelwerken wie DIN-Normen im Blick behalten. Niemals sollten technische Normen einfach unreflektiert als anerkannte Regeln der Technik angewendet werden.

Martin Leuschner ist Syndikusrechtsanwalt bei der Architekten­kammer Niedersachsen.

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