Unkompliziert umgebaut: Die Karlsruher „Fahrradstation Süd“ direkt unter dem Hauptbahnhof war früher ein Autoparkhaus. Die Umwidmung macht seit 2018 über 600 Radfahrer glücklich.
Von Christoph Gunßer
Knapp die Hälfte aller Autofahrten ist hierzulande kürzer als fünf Kilometer – eine Distanz, die sich zumeist auch gut emissionsfrei bewältigen ließe. Doch während die Zahl der Autos Jahr für Jahr um eine weitere Million wächst, stagniert der Radverkehr bei einem Anteil von elf Prozent. Zum Vergleich: In den Niederlanden liegt er bei 31 Prozent. Und dort ist das Wetter auch nicht besser.
Als Mittel gegen den Verkehrsinfarkt fördern darum immer mehr Kommunen – und zum Teil eher zaghaft der Bund und die Länder – das Radfahren. Vorbei sind endlich die Zeiten, als man zu diesem Zweck einfach die Bürgersteige mit einem Strich in Fuß- und Radweg halbierte. Heute geht es um breitere, sicherere (und darum am besten separat geführte) Radwege und entschärfte Kreuzungen. Noch werden innerorts jährlich 35.000 Menschen schwer verletzt, eine mittlere Kleinstadt.
Das hält viele vom Radfahren in der Stadt ab. Und diejenigen, die sich trauen, stehen oft vor der Frage, wo sie ihr Gefährt parken können, wenn sie es an einem Stück wieder nach Hause fahren wollen. Nach einer Zeit des Wildwuchses treten daher an die Stelle von mit Rädern zugeparkten Bahnhofsvorplätzen zunehmend ansehnliche Radhäuser und Rad-stationen am Rand – oder gar in der Mitte – dieser Plätze, wo sich auch wertvollere Modelle kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr unterstellen lassen und häufig auch Reparaturservices angeboten werden.
Fahrrad statt Auto
Noch immer beanspruchen Autos rollend wie ruhend den weitaus größten Teil des öffentlichen Raumes. Am Beispiel Berlins wurde berechnet, dass dieser Anteil sechzig Prozent beträgt, während dem Fahrrad nur drei Prozent gewidmet sind. Fast schon programmatisch kann man da den Umbau von Pkw-Park-häusern zu Radgaragen verstehen. In der „Fahrradstadt“ Karlsruhe, wo der Stadtrat schon 2005 die konsequente Förderung des Radverkehrs beschloss, bietet seit dem letzten Jahr die vom Auto- zum Radlerparkhaus umgebaute Fahrradstation Süd direkt unter den Gleisen des Hauptbahnhofes 662 Zweirädern Platz – zentraler geht es nicht. Das Angebot in der neuen Fahrradstation beinhaltet auch Stellplätze für Lastenräder, Räder mit Anhängern und E-Bikes. Besonderer Service für die vielen Ganzjahrespendler sind ein Umkleidebereich mit Sitzbänken, eine Trinkwasserstation und verschließbare Spinde, die auch das Laden von E-Bike-Akkus ermöglichen. Eine Werkstatt mit den wichtigsten Utensilien steht allen Nutzern der Fahrradstation zur Verfügung.
Der Umbau ließ sich ohne konstruktive Änderungen bewerkstelligen – eigentlich war es eine Umgestaltung. Die fiel aber heftig bunt aus: Die fünf Leitfarben finden sich auf Böden und Wänden als große Kreise, auf Türen und an den Griffen der Fahrradständer sowie auf den von der Decke abgehängten Leuchten-kästen wieder. Das erleichtert die Orientierung innerhalb der Fahrradstation. Auch auf dem Boden leiten Linien in den jeweiligen Farben den Besucher von der Einfahrt zum Abstellplatz und von dort aus weiter in den Bahnhof. So erinnert beim Betreten nichts mehr daran, dass dies einmal ein in die Jahre gekommenes Auto-Parkhaus war. Geplant hat den Umbau das Architekturbüro Tafkal aus Karlsruhe als Direktauftrag. Projektleiter Tobias Göttert berichtet, der Umbau habe „außer Farbe und viel Licht“ wenig benötigt. Er beobachtet eine wachsende Akzeptanz. Da eine Großbaustelle am Bahnhof die Garage für Pkw ohnehin blockiert hätte, machte die städtische Projektgesellschaft mit der Umwidmung aus der Not ei-ne Tugend. Vom ersten Gespräch bis zur Baufertigstellung vergingen nur neun Monate.
Schön der Reihe nach
Während solch ein Umbau noch selten vorkommt, ist die Bauaufgabe „Fahrradparkhaus“ im Neubau bereits erprobt: Gerade in Pendlerstädten wird die erste Generation dieser Bauten inzwischen schon zu klein. So auch in Oranienburg in der Nähe von Berlin, wo das bestehende Radparkhaus mit seinen 370 Plätzen seit Jahren überfüllt war. Im vorigen Sommer wurde deshalb ein größeres mit 1.056 kostenfreien Stellplätzen eingeweiht. Die Architektur von Leitplan Architekten aus Berlin ist konsequent seriell und robust. Geparkt wird platzsparend doppelstöckig und schlicht in langer Reihe, was das Gebäude erweiterbar macht, aber die Wege relativ weit. Von außen lässt ein Schirm senkrechter weißer Stäbe reichlich Tageslicht herein. Auch hier gibt es Extras wie kostenpflichtige Fahrradboxen, Gepäckschließfächer mit Lademöglichkeit für Elektrofahrräder, eine Luftpumpstation mit Werkzeugen und ein öffentliches WC. Die Kosten lagen bei 1,75 Millionen Euro (rund 1.500 Euro pro Stellplatz), die im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Aktive Stadtzentren“ zu je einem Drittel von Bund, Land und Kommune getragen wurden.
Auch in Erfurt planten Osterwold Schmidt Architekten aus Weimar 2016 bereits das zweite Fahrradparkhaus am Bahnhof. Um die Räder so nah wie möglich an den Gleisen abstellen zu können, wurde ein städtisches Rest-grundstück ausfindig gemacht. Auf dem dreieckigen Zipfel einer städtischen Grünanlage brachten die Planer in bemerkenswerter Engführung von Form und Funktion 200 Radpark-plätze unter, größtenteils in Doppelparkern. Der robust in Streckmetall gekleidete Stahlbau macht aus einem „Fahrradschuppen“ ein dynamisches Stadtmöbel.
Radhäusle als Aushängeschild
Größenmäßig sind diese Beispiele noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Das derzeit größte Fahrrad-Parkhaus der Welt steht in Utrecht und fasst 13.500 Fahrräder. Doch auch ganz kleine Angebote gibt es neuerdings: „Radhäusle“ nennt das Stuttgarter Büro Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten eine komfortable Kurzzeit-Fahrradaufbewahrung im Stadtzentrum von Sindelfingen, die aus einem kooperativen Verfahren für neue öffentliche Fahrradstellplätze hervorging, das die Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart mit der Stadt Sindelfingen angestoßen hatte. Das Radhäusle, dessen Prototyp derzeit auf dem Bahnhofsvorplatz getestet wird, ist im Prinzip ein Schließfach, dient indes zugleich als Stadt-möbel: Es gibt eine eingebaute Bank und Platz für Helme und Gepäck. Auch ein Stehtisch lässt sich integrieren. Größe und Anzahl der Stellplätze sind dank eines modularen hölzernen Aufbaus flexibel. Im ersten Schritt wurden zwei Radhäusle – am Sindelfinger Bahnhof und in der Fußgängerzone – gebaut; nach Abschluss der Pilotphase ist die Aufstellung unterschiedlicher Typen an weiteren Standorten geplant. „Wo sonst nur Autos intensiv beworben werden, ging es uns darum, auch für den Umweltverbund ein Aushängeschild zu schaffen: ein schönes Stadtmöbel von hoher Funktionalität“, so Alexandra Bading von der Wirtschaftsförderung Stuttgart.
Ein Zuhause für das Zweirad
Doch auch in den Quartieren gibt es im Zuge der Verkehrsberuhigung Angebote, eine begrenzte Zahl von Fahrrädern sicher unterzubringen. Oft handelt es sich um Pavillons, die in den öffentlichen Raum gestellt werden und dort zwischen all dem Blech einen willkommenen Blickfang abgeben. Um ihre Funktion sinnvoll zu erfüllen, müssen solche Konstruktionen allerdings nicht nur schick, sondern auch vandalismussicher sein. Der Stadt Mainz gefielen daher die verschiedenen vorgefertigten Fahrradhäuschen auf dem Markt nicht: zu hässlich und vor allem zu empfindlich, befand man, somit nicht für den öffentlichen Raum geeignet. Also entwickelten Schoyerer Architekten_Syra im Auftrag der Mainzer Stiftung für Klima-schutz und Energieeffizienz den Prototyp eines Fahrradpavillons. Dabei griffen die Architekten konsequent auf industriell vorgefertigte Massenprodukte zurück. Es gibt keine Sonder-bauteile, die Tragkonstruktion, die Fahrradaufhänger und auch die Edelstahldachkuppel sind von der Stange. Lediglich die Flachstahl-Fassadenstäbe wurden jeweils einmal um 90 Grad verdreht; dadurch entsteht oberhalb des Sockelbereichs je nach Blickwinkel ein interessantes Spiel von Transparenz und Geschlossenheit. Ein Stellplatz in dem zwölf Räder fassenden Rundling kostet monatlich zehn Euro. Der Prototyp auf dem Mainzer Hindenburgplatz soll für diese intelligente Lösung werben. Bei der auslobenden Stiftung, einer Tochter der Stadtwerke, ist man inzwischen allerdings ernüchtert, weil die Nachfrage auf sich warten lässt: Rund 30.000 Euro für das hochwertige Objekt scheinen im Vergleich mit den handelsüblichen „Verschlägen“ zu teuer, obwohl keinerlei Gewinnabsicht damit verbunden ist. Auch sei kaum jemand bereit, zehn Euro im Monat für die Unterbringung zu bezahlen.
Bequem vor der Haustür
Einfacher – und obendrein fast kostenlos – lassen sich natürlich Abstellmöglichkeiten schaffen, wenn Kfz-Stellplätze aufgehoben werden: „Parklet“ heißen diese neuen Freiräume in der Aktivistenszene, wo man schon lange darauf hinweist, dass Autos zu Unrecht umsonst oder gegen eine viel zu geringe Gebühr den wertvollen Stadtraum beanspruchen. Ein zwölf Quadratmeter großer Stellplatz, als Außen-gastronomie genutzt, werfe gut und gerne 200 Euro im Monat ab, zitiert Greenpeace e-ne Studie. Oder er lässt sich eben für viele ruhende Räder nutzen. Wer sein Rad direkt vor der Tür findet und das Auto erst weiter weg, wird oft aus purer Bequemlichkeit das Fahrrad nutzen. Denn Umweltbewusstsein allein motiviert kaum jemanden zum Radeln, das ergaben Befragungen selbst in der Fahrradhochburg Kopenhagen.
In manchen Neubauvierteln versuchen Planer längst, diese individuellen Abwägungsprozesse entsprechend zu steuern, indem sie das Parken von Autos vor oder gar auf den Grundstücken einschränken und dafür am Rand der Siedlung Quartiersgaragen anbieten (Pionier war hierzulande wieder einmal Freiburg-Vauban). Baukosten treibende Stellplatzschlüssel wurden so schon vielerorts heruntergeschraubt, die Wohnqualität wurde entsprechend gesteigert.
Die Landesbauordnung Baden-Württem-berg sieht beispielsweise die Möglichkeit vor, einen Pkw-Stellplatz durch vier Fahrradstell-plätze zu ersetzen. Für jede Wohnung waren zudem bislang zwei wettergeschützte Stellplätze für Drahtesel nachzuweisen. Auch pro Büro- und Ladenfläche wurden fixe Fahrrad-stellplätze vorgeschrieben. Hier gab es aber auf Druck der Bauwirtschaft im vorigen Jahr ein Rollback: Stattdessen werden die unteren Baurechtsbehörden künftig „nach dem jeweiligen Bedarf vor Ort“ entscheiden. Ähnliche Ermessensspielräume sehen auch die meisten anderen Länder vor.
Für eine andere Mobilität
Und die Städte? Neben den etablierten „Fahrradstädten“ Münster, Karlsruhe und Freiburg will sich gerade Berlin mit dem neuen Mobilitätsgesetz profilieren, das einem entsprechenden Volksentscheid zuvorkam. Es sieht jährliche Ausgaben von 51 Millionen Euro für den Radverkehr vor, was immerhin 14 Euro pro Einwohner entspricht (Kopenhagen: 36 Euro). Langsam spricht sich auch in der Geschäftswelt herum, dass Radfahren Kundschaft in die Stadt bringt: Einer Berner Studie zufolge generieren Radler rund 20 Prozent mehr Umsatz als Autofahrer. Ein Grund mehr also, dem Radverkehr mehr Platz in den Städten einzuräumen.
Der Nationale Radverkehrsplan der Bundesregierung führte in den 18 Jahren seines Bestehens indes eher ein Schattendasein. Man schuf ein „Fahrradportal“, kürte die „fahrrad-freundlichste Persönlichkeit des Jahres“, verlieh den Deutschen Fahrradpreis, gab diverse Leitfäden heraus und förderte einige Einzel-projekte, darunter auch Radschnellwege. Betrachtet man die Höhe der Ausgaben für den Radverkehr im Bundeshaushalt 2018, wird die Prioritätensetzung der Bundesregierung klar: Von den insgesamt fast 28 Milliarden Euro, die dem Verkehrsministerium zur Verfügung standen, flossen lediglich 130 Millionen Euro, also rund 0,5 Prozent, in den Radverkehr. Das Ziel, den Fahrradanteil im Modal Split bundesweit auf 15 Prozent zu steigern, hat der Plan weit verfehlt. Es gibt also noch viel zu tun, auch für Gestalter.
Sichere Radwege planen
Und wie kommt man unfallfrei bis zum Radparkhaus? Hierzu sei die Lektüre der Greenpeace-Studie „Radfahrende schützen – Klimaschutz stärken“ empfohlen. Auf 16 Seiten liefert sie kompaktes Hintergrundwissen zu deutscher Verkehrspolitik und der gefährlichen Situation auf unseren Straßen sowie praktische Planungstipps für sichere Radwege. Diese sind so einfach wie einleuchtend. Vergleicht man sie mit der bundesdeutschen Realität, kann man der Studie nur weitestmögliche Verbreitung wünschen. Kostenfreier Download hier
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