Von Brigitta Bartsch
Die Aufgaben der Gegenwart können nicht von einzelnen Mitgliedstaaten gelöst werden. Die Europäische Union ist ein wesentlicher Impulsgeber, und hierbei hat das Europaparlament eine wichtige Rolle als Mitgesetzgeber. Für die planenden Berufe ist eine ausgewogene Politik, die die verschiedenen Zuständigkeiten berücksichtigt, im Binnenmarkt, in der Energie- und Klimapolitik und der Baukultur von besonderer Bedeutung. Um diesen Themen angemessene Aufmerksamkeit zu verschaffen, hat das BAK-Verbindungsbüro in Brüssel sechs Parteien zu zehn Schwerpunktthemen befragt. Die Auswertung der Antworten schafft Orientierung hinsichtlich der Prioritäten der Parteien.
Freiberuflichkeit im Binnenmarkt stärken
Architekten, Stadtplaner und Ingenieure sind nicht nur ihren Auftraggebern verpflichtet, sondern auch dem Gemeinwohl. Wir fragten die Parteien, wie sie die freien Berufe im Binnenmarkt stärken wollen. Die Mehrheit der Parteien bekennt sich ausdrücklich zur Freiberuflichkeit. CDU/CSU wollen gegenüber der Europäischen Kommission und der OECD die Vorteile der beruflichen Selbstverwaltung durch Kammern offensiv verteidigen. Die SPD sieht in den freien Berufen eine wichtige Säule der Gesellschaft. Auch die FDP will sich auf europäischer Ebene für die berufliche Selbstverwaltung einsetzen und bekennt sich, wie auch die CDU/CSU, zur HOAI. Sie kritisiert, dass die freiberufliche Selbstverwaltung durch Kammern auf europäischer Ebene zunehmend infrage gestellt werde. Die Grünen fordern ein modernes, transparentes Kammerwesen. Die AfD betont, sie sei eine freiheitliche Partei, sie fühle sich nicht speziellen Interessengruppen verpflichtet.
Ausbildung
CDU/CSU bekennen sich zur Berufsbezeichnung der Architekten und Ingenieure und sprechen sich für mindestens drei Studienjahre bei Ingenieuren aus. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei der Titel „Ingenieur/-in“ ein Aushängeschild. Die Grünen, SPD und FDP treten für einen Standard von fünf Jahren, mindestens für vier Jahre Studium mit einer zweijährigen Praxiszeit bei Architekten ein. Die AfD meint, Ausbildungszeiten in Deutschland seien eher zu lang als zu kurz.
Vergabe und Marktzugang von kleinen und mittelständischen Planungsbüros
Die Mehrheit der Parteien unterstützt das Anliegen, Marktzugang sowie den Zugang zu öffentlichen Aufträgen von KMU, insbesondere von jungen und Kleinstbüros, zu verbessern. Aus Sicht von CDU/CSU und SPD bietet das bestehende EU-Vergaberecht hierzu viele Möglichkeiten, die jedoch in der Praxis von öffentlichen Auftraggebern stärker genutzt werden sollten. Die Grünen und die Linke setzen sich für vereinfachte Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe ein. Die Parteien sprechen sich mehrheitlich für qualitative Vergabekriterien ebenso wie für Planungswettbewerbe aus. Die AfD fordert beim Bau öffentlicher Gebäude Investoren- statt Architektenwettbewerbe.
Energie- und Klimaschutzziele
Ein Kernbereich im Klimaschutz ist der Gebäudebestand. Die SPD betont, Stadtplanung, Mobilität und Nutzung erneuerbarer Energien sollten ganzheitlich betrachtet werden. Grüne und die FDP setzen sich für ein “grünes Europa“ in der Förderpolitik ein, einschließlich Maßnahmen zur Klimaanpassung und zu grüner Infrastruktur. Die FDP lehnt den verpflichtenden Einsatz von erneuerbaren Energien ab. In einer Kreislaufwirtschaft, so Grüne und SPD, sollen langlebige Materialien eingesetzt und recycelt werden.
Digitalisierung und intelligente Technologien im Gebäudebereich
Alle Parteien sehen im Einsatz digitaler Arbeitsmethoden und künstlicher Intelligenz hohe Chancen für die Planungs- und Baubranche. Es ist allen ein Anliegen, geistiges Eigentum zu schützen. Die FDP tritt dafür ein, kleine Büros hierbei zu unterstützen und leistungsfähige Kommunikationsnetze zu schaffen. Dahingegen meint die AfD, die Steuerung von Wirtschaftsprozessen sei keine staatliche Aufgabe. Die Linke will architektonische und technische Lösungen kombinieren. Die SPD fordert, Nutzer und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen, wichtig sei auch der Datenschutz.
Nachhaltige Stadtentwicklung und Baukultur fördern
EU-Kohäsionsfonds und EU-Städteagenda bieten Möglichkeiten für eine integrative und nachhaltige Politik der Stadtentwicklung. CDU/CSU fordern, bei der Vergabe von Fördermitteln aus den Fonds auf Qualitätskriterien wie die Qualität der baulichen Umwelt zu achten. Alle Parteien, bis auf die AfD, setzen sich für eine Förderung der Baukultur ein. CDU/CSU, SPD, FDP und AfD betonen die Verantwortung für die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Die AfD sieht für Baukultur und Stadtentwicklung keine Zuständigkeit der EU. Die FDP fordert die Einführung eines Kulturfonds nach dem Vorbild des „National Trust“.
Bessere Rechtsetzung durch mehr Transparenz und Beteiligung
Alle Parteien setzen sich für eine transparente, das Subsidiaritätsprinzip beachtende Rechtsetzung und den Abbau von Bürokratie ein. Hierfür wollen CDU/CSU einen unabhängigen Normenkontrollrat schaffen. Grüne, FDP und die Linke wollen das Europäische Parlament stärken. Es soll in allen Bereichen gleichberechtigt mit dem Rat entscheiden können. Für die SPD ist das Europäische Parlament, in dem Ausschusssitzungen generell öffentlich sind, Vorreiter. SPD, FDP und die Grünen fordern, auch der Rat der Europäischen Union solle diesem Standard folgen. Der Rat arbeite – so die SPD – wie ein diplomatisches Geheimforum, nicht wie eine gesetzgebende Kammer in einer Demokratie. Laut SPD, CDU/CSU, den Grünen und FDP sollen Gesetzesinitiativen mit allen Betroffenen erörtert werden.
Brigitta Bartsch ist Leiterin des Verbindungsbüros der Bundesarchitektenkammer in Brüssel
Im Wortlaut und in voller Länge
Die Wahlprüfsteine der Planenden Berufe mit den Fragen an die sechs Parteien finden Sie hier
Die vollständigen Antworten der Parteien finden Sie hier
Als ich in der Printversion des DAB die Zusammenfassung der Positionierungen einer getroffenen Auswahl von Parteien aus deren Wahlprogrammen zur Europawahl 2019 zu themenbezogenen Fragestellungen der Berufsinteressen unserer Architektenschaft gelesen hatte, war ich ob der Unausgewogenheit bei der Repräsentierung der Aussagen der genannten Parteien im Vergleich zutiefst verärgert. Dass die Wahlprogramme der ehemaligen Volksparteien und traditionell auch das der FDP im Vordergrund stehen würde, war mir nicht auffällig. Die Positionierung der Linken wurde allerdings lediglich zweimal beiläufig erwähnt.
Nachdem ich allerdings hier im Portal die vollständigen Antworten der Parteien im Vergleich nachlesen konnte, bin ich umso empörter darüber, dass in Ihrem Artikel zu jedem Fragekomplex einer dem Humanismus in keiner Weise zuzuordnenden Partei völlig unverhältnismäßig Raum zur Selbstdarstellung geboten wird, die zudem mit ihrem Programm für unsere fachliche Diskussion inhaltlich kaum relevant sein dürfte.
Mit kollegialen Grüßen