Von Rosa Grewe
Frau Burgdorff, Sie haben als Raumplanerin über 20 Jahre Erfahrung in der Stadtentwicklung. In der Zeit hat sich viel getan. Städte wie Frankfurt oder Berlin haben lange auf eine Aufwertung vernachlässigter Stadtteile gehofft. Aber genau die bringt jetzt neue Probleme?
Wir verzeichnen nicht nur in den größten Städten einen zunehmenden Einfluss internationaler Pensions- und Immobilienfonds. Das sind Anleger, die sich nicht für die Nutzung interessieren, sondern nur für die Rendite. Das hat in den 1990er-Jahren begonnen, als wir glaubten, dass dieses Kapital die Städte nach vorn brächte und ihre Konkurrenzfähigkeit verbesserte. Diese Geister, die wir riefen, kriegen wir nicht mehr raus aus unseren Städten.
Wie äußert sich das?
Die Bodenpreise sind in den letzten 20 Jahren um das Zwei- bis Dreifache gestiegen, in manchen Lagen bis um das Zehnfache. Dieser verteuerte Boden und die in der Folge verteuerten Mieten und Kaufpreise erzeugen am Ende eine Verdrängung nicht nur der Wohnungsmieter, sondern auch der Geschäfte und Gewerbemieter aus innerstädtischen gemischten Lagen. An deren Stelle treten zum Beispiel internationale Marken, die irre Preise für Flagship-Stores in Toplagen zahlen können.
Aber eine Aufwertung ohne Verdrängung gibt es kaum, und der städtische Raum reicht nicht für alle.
Stadt ist Veränderung! Jede Veränderung bringt Verschiebungen mit sich. Aber wann wird Aufwertung absurd? Wenn ein Käufer einer Wohnung in guter Lage das Fünfzehn- bis Zwanzigfache der Jahresmiete ansetzt, ist das in Ordnung. Aber es gibt Lagen, in denen das 40- bis 50-fache der Jahresmiete für eine Wohnung bezahlt wird. Das ist keine normale Aufwertung mehr. Das sind absurde Dynamiken. Ein Investment hat sich dann erst in 50 Jahren refinanziert. Diese Zeit kann nur verkürzt werden, wenn die Mieten steigen – und das tun sie auch. Stadt ist Veränderung, aber Veränderung und Verdrängung sind unterschiedliche Prozesse. Wenn unsere Städte nur noch Schauplätze für große Konzerne und Hotels sind, wenn in ihnen Nachbarschaft nicht mehr stattfindet, dann reden wir nicht mehr über die europäische Stadt.
Wer bestimmt denn heute, wer an der Stadtentwicklung teilhaben darf?
Da greift die alte Regel: „Wer zahlt, bestimmt die Musik“. In dem Moment, wo die Kommunen es geschafft haben, den Boden wieder in ihre Hände zu bekommen, können sie steuern und bestimmen. Das gelingt einigen durchaus.
Aber es sind noch zu wenige?
Ja, deshalb müssen wir die Richtung neu justieren. Die Haltung in den 1980er-/90er-Jahren war, dass Fläche besser durch die Privatwirtschaft als durch das Gemeinwesen entwickelt würde. Dem folgte oft der Verkauf der kommunalen Bestände – was zu fast irreparablem Schaden führte. Wir brauchen wieder Boden für das Gemeinwesen, für Kommunen, für Genossenschaften oder gemeinnützige Träger – und müssen diesen Stück für Stück zurückerobern.
Sie waren als Expertin im Rahmen der Tagung der DASL „Den Boden der Europäischen Stadt!“ an der Ausarbeitung von Lösungen zur Bodenfrage beteiligt. Es gibt verschiedene Ansätze, unter anderem eine andere Bewertung des Bodens. Wie würde die funktionieren?
Der Grundgedanke ist, dass die Gemeinschaft den Wert eines Grundstücks produziert und nicht der Eigentümer. Ein Stück Land, ohne die Immobilien darauf, ist deswegen etwas wert, weil es drum herum eine Infrastruktur gibt. Darum ist eine Bodenwertsteuer absolut fair. Selbst die bayerische Landesverfassung sagt das übrigens im Paragrafen § 161: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“
Wie funktioniert die Berechnung dafür?
Die Bodenwertsteuer besteuert nicht die Immobilie, sondern die Möglichkeit, das Grundstück zu bebauen. Das hat folgenden Effekt: Wenn Boden daraufhin besteuert wird, was für ein Potenzial er hat, bebaut zu werden, dann möchte der Steuerzahlende die Gewinne, die eine Bebauung ermöglicht, auch realisieren und nicht warten. Damit hat die Bodenwertsteuer mittel- und langfristig eine aktivierende Wirkung.
Also ein langfristiges Instrument, um Brachen und Baulücken zu aktivieren …
Ja. Und klug, weil es die Besteuerung in der Praxis vereinfacht: Die Gutachterausschüsse bestimmen den Wert eines Grundstücks nach Lage und Umgebung. Die viel aufwendigere Bewertung einer Immobilie entfällt.
Sie sprechen sich auch für eine andere Vergabe von Land aus. Was fordern Sie?
Kommunen sollten ein generelles Vorkaufsrecht haben, wenn neues Baurecht geschaffen wird. Oder – so wie es zum Beispiel die Stadt Ulm macht – Bebauungspläne nur entwickeln, wenn die Stadt die Grundstücke besitzt. Je mehr Grundstücke eine Kommune hat, desto besser. Die Kommune kann dann die Entwicklungsgewinne selbst abschöpfen oder sie kann das Land per Konzept, das heißt gebunden an einen bestimmten Zweck, im Erbbaurecht vergeben oder verkaufen. Die Konzeptbindung über das Erbbaurecht kann eine hohe Steuerungswirkung entfalten, weil man die Bedingungen, was entwickelt wird, nicht nur an einen städtebaulichen Vertrag koppelt, sondern an den Boden selbst. Die Kommune kann entscheiden, ob sie Land mit einem definierten Konzept und zu einem hohen Preis abgibt, oder ob sie es zu einem festen Preis und an das beste Konzept abgibt.
Aber wenn der Bodenpreis schon so hoch wie in München ist, gibt es ein Problem: Die Kommune muss aufgrund des geltenden Gemeinderechtes den Verkehrswert zur Bewertung ansetzen. Wenn der Verkehrswert aber sehr gestiegen ist, müssten am Ende selbst Genossenschaften 20 Euro pro Quadratmeter nehmen. Da muss es dann Preisnachlässe und Sonderregelungen geben.
Weil sonst soziale Konzepte einfach hintenüberfallen?
Genau. München löst das im Moment sehr gut: Man nimmt den Verkehrswert und organisiert Abschläge dafür, dass man eine langfristige Mietpreisbindung hat oder dass man im Quartier Infrastruktur schafft. Trotzdem ist das Problem so nicht bei der Wurzel gepackt. Dafür müssten wir an rechtliche Grundlagen für die Gemeinde ran.
Das Problem kann also nicht die Kommune selbst, sondern nur der Bundestag mit einer entsprechenden Gesetzgebung lösen?
Bund, Länder und Gemeinden müssen Hand in Hand arbeiten. Das Problem kann man nicht über die Ebenen verschieben. Eigentlich ist mittlerweile alles geschrieben, es gibt den Münchner Ratschlag , die Papiere des Städtetags, die Roadmap von Difu und vhw und das Papier der DASL. Jetzt müssen die zuständigen Institutionen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sich bewegen, zum Beispiel bei den aktuellen Beratungen in der Expertenkommission für nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik.
Viele Kommunen haben kaum mehr Boden. Wie kann man kommunale Flächen zukünftig vor Privatisierung schützen?
Da lohnt der Blick auf Basel, wo 2016 ein Volksentscheid stattgefunden hat, „Boden behalten – Basel gestalten“. Die Initiative forderte erfolgreich, dass kein kommunaler Boden mehr verkauft wird – 67 Prozent der Baslerinnen und Basler haben zugestimmt.
Das heißt, der Boden geht als Wert raus aus dem kommunalen Haushalt?
Der kommunale Boden muss als Vermögen behandelt werden, das man nicht antasten darf. Dieses Vermögen sollte langsam gemehrt und auf keinen Fall geschmälert werden. Hier das Vermögen einer Kommune, dort ihre Investitionen und laufende Kosten: Das sollte man getrennt behandeln.
Aber durch die Konsolidierungshilfen steht bei vielen Kommunen der ausgeglichene Haushalt über allem.
Darum ist es wichtig, dass Bund und Länder Fonds unterstützen, in denen Kommunen ihr Vermögen mehren können und mit denen sie langfristig Einnahmen generieren – statt sie zu zwingen, das wenige, das sie haben, auch noch zu verkaufen. Wir plädieren für kommunale Bodenfonds und dafür, dass gerade die Kommunen, die es sich nicht leisten können, unterstützt werden, solche aufzubauen.
Das Erbbaurecht ist ein zentraler Punkt, damit der Boden in kommunaler Hand bleibt. Hierzulande hat es aber mit vielen Vorurteilen zu kämpfen: die Angst vor unkalkulierbar steigenden Pachtzinsen, vor vorzeitigen Landrückforderungen oder vor schwierigeren Baufinanzierungen …
Diese Einwände sind nicht gerechtfertigt. Weder sachlich noch in der Praxis. Viele Kommunen vergeben seit hundert Jahren im Erbbaurecht und haben kein Problem. Die meisten Flächen in kirchlichem Besitz sind unverkäuflich, werden aber laufend neu verpachtet. Kein Investor hat ein Problem damit, von der Kirche ein gutes Grundstück in Toplage im Erbbaurecht zu übernehmen. Und Bauherren, die teure Bodenpreise nicht direkt zahlen können, können ein Grundstück über den Erbbauzins langsam finanzieren. Die Anfangsinvestitionen sind geringer.
Der Punkt ist: Wir dürfen den Bodenmarkt nicht behandeln wie den Markt mit Getreide. Boden wächst nicht nach. Wir brauchen dafür andere Spielregeln, und das Erbbaurecht ist eine gute Form, um die Langfristigkeit der Bodenentwicklung mit der eher kurzfristigen Gestaltung von Immobilien zu koppeln.
In kleineren Großstädten ist die Nachverdichtung oft ausgereizt, sodass man im Umland neue Flächen suchen muss. Wie kann diese interkommunale Flächenverteilung gerecht und nachhaltig aussehen?
Eine einfache Lösung gibt es nicht. Wir brauchen eine Regionalentwicklung, die dynamisch mit Zukunftsperspektiven arbeitet. Die Region Köln-Bonn versucht das gerade. Es entsteht ein regionales Agglomerations-Konzept, in dem verhandelt wird, wo sich welche Nutzungen und Infrastrukturen mit welchen Qualitäten für alle Beteiligten am besten entwickeln lassen. Das könnte eine Basis sein für einen regionalen oder sogar interregionalen Ausgleich. Dazu braucht man nicht nur eine Vorschrift, sondern vor allem Aushandlungsprozesse und strategische Kommunikation. Wir müssen darüber verhandeln, welche Region welche Talente hat und wie sich diese Talente so im Raum verteilen lassen, dass wir unnötigen Verkehr und Flächenfraß vermeiden. Das ist ein zähes Geschäft, das kriegt man nicht nur mit einem Gesetz organisiert.
Teile der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft fordern eine „Bodenschwemme“. Aber die Ausweisung neuer Flächen im großen Stil ist keine Antwort auf die Bodenpreissteigerung. Das bedeutet Flächenfraß und Beschneidung von Natur- und Klimaschutz.
Wie sollten Kommunen sich positionieren?
Sie sollten ruhige und gelassene Partner eines aufgeregten Marktes sein. Diese Gelassenheit hat man nur mit viel Erfahrung, Personal und einer gewissen Stärke. Die Stärke fehlt vielen Kommunen, besonders denen, die gerade nicht von Wachstumsdruck betroffen sind – die jetzt aber die Chance hätten, zuzugreifen und Bodenportfolios aufzubauen. Wenn diese Kommunen ausreichend Ressourcen hätten, könnten sie ihr Vermögen jetzt groß machen. Wenn die Märkte anziehen, ist es zu spät.
Ressource heißt Geld? Müssen Bund und Länder die Kommunen mehr unterstützen?
Die Kommunen können eine ganze Menge allein. Die, die substanziell ausgehöhlt sind, benötigen eine finanzielle Überbrückung. Da braucht es jetzt wirklich konstruktive Gespräche bei den Landes- und Bundesministerien.
Gibt es Forderungen an die EU, Immobilienfonds zu limitieren oder zu verbieten?
Das ist die Grundsatzfrage: Wie binden wir die Investition und den Handel mit Boden wieder an den Zweck, für den der Boden da ist? Die Entkoppelung zwischen Art des Investierenden, Zweck und Vergabe ist ein Riesenproblem, da brauchen wir einen anderen gesetzlichen Rahmen aus Europa.
Gesetze fehlen, Geld ebenso: Wie können die Kommunen trotzdem handeln?
Dazu gehören ganz viele Instrumente, aber vor allem politischer Rückenwind. Den müssen wir organisieren und unsere Kommunen in ihrer Rolle als Vermögensbewahrer stärken, als Bewahrer der Werte der europäischen Stadt. Ein lebendiges und demokratisches Gemeinwesen und der Boden, auf dem es sich entwickeln kann, gehören dazu.
Wir haben jetzt eine Richtung, das ist ein guter Anfang. Bis vor fünf Jahren machte man sich mit den Stichworten Gemeinwohl und Erbbaurecht und der Frage nach der gerechten Verteilung der Renditen des Sozialismus verdächtig. Aber wir wollen einfach, dass es gerecht zugeht. Wer hat den Wert geschaffen und wer schöpft ihn ab? Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wir fordern den Boden als Fundament des Gemeinwesens zurück. Das ist im Kern ein sehr konservatives Projekt.
Frauke Burgdorff ist Raumplanerin und Inhaberin der Agentur für kooperative Stadtentwicklung BURGDORFF STADT. Sie engagiert sich seit 15 Jahren für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungs- und Bodenpolitik, unter anderem hat sie das Netzwerk Immovielien gegründet und an der bodenpolitischen Agenda von Difu und vhw mitgeschrieben. Aktuell leitet sie gemeinsam mit Stephan Reiß-Schmidt den Vorsitz des Ausschusses für Bodenpolitik in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, DASL.
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In der aktuellen politischen Debatte (u.a. ausgelöst durch die Enteignungsforderungen gegenüber großen Wohnungskonzernen) wird immer wieder die Prämisse als gegeben hingestellt, dass mehr Wohnungen zu günstigeren Wohnungen führen, mehr Angebot durch Befriedigung der Nachfrage zu günstigerer Ware.
Ich frage mich: Bei einem globalen Nachfragemarkt, der aktuell auf die Metropolregionen und Schwarmstädte einwirkt, macht es doch keinen Unterschied, wie viele Wohnungen gebaut werden? Die Nachfrage nach „Betongold“ ist aktuell virtuell unendlich, und praktisch jede neu entstehende Wohnung dadurch aktuell eine maximal teure.
Wenn 10.000 Käufer bereit sind, einen absurd hohen Maximalpreis zu zahlen, ist es doch für den Preis völlig unerheblich, ob nun 10, 100 oder 1.000 Wohnungen auf den Markt kommen, sie alle werden zum Maximalpreis gekauft.
Wie teuer Wohnen wirklich ist, wenn man diesen Spekulationsfaktor aus der gesamten Wertschöpfungskette ausschließt, zeigen die alte Miethäuser-Syndikatsprojekte in Tübingen (in den 90er Jahren für 7 DM pro m² Kaltmiete gestartet, heute weiterhin für 3,50 Euro vermietet) und neue in Freiburg im Breisgau (Bezug 2017, zwischen 6,50 und 7,00 Euro Kaltmiete – im KfW-55-Standard).