Von Sinah Marx
Wer einen Vertrag schließt, geht gemeinhin davon aus, dass auch der Vertragspartner an den Vertrag gebunden ist und seinen vertraglichen Pflichten nachkommt. Schließt man allerdings als Unternehmer, also etwa als Architekt, einen Vertrag mit einem Verbraucher, also etwa einem privaten Häuslebauer, so kann es sein, dass diesem bis zu einem Jahr und 14 Tagen ein Widerrufsrecht zusteht, und er den Vertrag wirksam widerruft. Ein Architekt erhält dann für seine Leistungen 0, in Worten: nullkommagarkeinen Euro, so geschehen in einem aktuell vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall (Urteil vom 17. Juli 2018, Az.: 10 U 153/16). Dem Architekten entging ein Honorar von über 50.000 Euro. Ein derartiger Honorarverlust trifft Architekturbüros, die oft kleine und allenfalls mittelständische Unternehmen sind, hart und ist existenzgefährdend. Das kann allerdings relativ leicht vermieden werden, wenn man weiß, wer wann widerrufen kann.
Verbraucher und Unternehmer
Beeinflusst vom Europarecht (der sogenannten Verbraucherrechterichtlinie), regelt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), dass Verbrauchern bei außerhalb von Geschäftsräumen mit Unternehmern geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht zusteht, § 312 g Abs. 1 BGB. Ein selbstständiger Architekt weiß es zwar manchmal selbst nicht, er ist aber in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit Unternehmer in diesem Sinne – ebenso wie ein Bauunternehmer selbstredend Unternehmer ist. Verbraucher ist ein Auftraggeber dann, wenn er den Vertrag zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder seiner gewerblichen noch seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Aber auch eine WEG oder eine sonstige GbR, die aus Verbrauchern besteht, kann Verbraucher sein, wenn ihre Mitglieder Verbraucher sind (vgl. zum Verbraucherbegriff hier).
Ort und Form
Dem Widerrufsrecht unterliegen nur Verträge, die nicht in den Geschäftsräumen des Architekten geschlossen wurden. Das sind in erster Linie Verträge, die bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien, etwa beim Bauherrn oder auf der (zukünftigen) Baustelle, geschlossen werden, oder für die der Verbraucher dort das Angebot zum Abschluss des Vertrags abgegeben hat. Geschäftsräume sind vor allem unbewegliche Räume, in denen der Architekt seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, also sein Büro. Um sicherzugehen, dass der Verbraucher kein Widerrufsrecht hat, sollte der Architekt ihn zum Vertragsschluss also dorthin einladen. Nicht ausreichend ist es, den Vertrag zum Beispiel „per Handschlag“ auf der Baustelle zu schließen und dann die Vertragsurkunde im Büro des Architekten zu unterzeichnen. Der Vertrag wurde dann – wenn auch nicht schriftlich, so doch wirksam – schon auf der Baustelle geschlossen und unterliegt somit einem Widerrufsrecht.
Fristen und Folgen
Folge eines wirksamen Widerrufs ist das Ausbleiben des Honorars für Zukunft und Vergangenheit. Wenn dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht, sollte der Architekt ihn dennoch dringend belegbar darüber unterrichten und das Widerrufsrecht nicht verschweigen. Denn nur bei rechtskonformer Belehrung beginnt eine 14-tägige Widerrufsfrist. Ist diese abgelaufen, muss der Architekt nicht mehr befürchten, dass der Verbraucher den Vertrag wirksam widerruft. Unterlässt der Architekt die Unterrichtung aber – egal ob in Unkenntnis, aus Unaufmerksamkeit oder absichtlich – läuft das Widerrufsrecht sogar ein Jahr und 14 Tage. Weil der Verbraucher kein Honorar zahlen muss, wenn er den Vertrag widerruft, dem Architekten aber auch keinen Wertersatz für die erbrachten Leistungen schuldet, kann der Widerruf die Existenz eines Architekturbüros massiv gefährden.
Keine Ausnahme für Architekten
Ausnahme für Architektenverträge gibt es nicht, obwohl es durchaus sachgerecht wäre, wie der Abgleich mit insbesondere folgenden zwei Ausnahmen zeigt. Kein Widerrufsrecht besteht etwa bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind (§ 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB). Weil die Architektenleistung allerdings keine „Ware“ sein dürfte, greift trotz des persönlichen und meist höchst individuellen Zuschnitts der Architektenleistung die Ausnahme nicht.
Das Widerrufsrecht galt wegen der europarechtlich vorgegebenen Ausnahmeregelung aus § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB zunächst auch nicht für Bauverträge mit Verbrauchern. Der Idee, hierunter auch Architektenverträge zu verstehen, hat das Oberlandesgericht Köln bereits eine Absage erteilt (Beschluss vom 23. März 2017, Az.: 16 U 153/16, vgl. hier). Spätestens durch die Einführung der getrennten gesetzlichen Regelungen für Bau- und für Architektenverträge Anfang 2018 ist klar, dass Architektenverträge keine Bauverträge sind. Übrigens gibt es seitdem auch für Verbraucherbauverträge nach § 650 i Abs. 1 BGB, also Verträge über den Bau eines neuen Gebäudes oder erhebliche Umbaumaßnahmen, nun doch ein Widerrufsrecht (§ 650 l BGB). Es beruht nicht auf europarechtlichen Vorgaben; der Bundesgesetzgeber hat es sich vielmehr selbst „ausgedacht“. Quasi als Ausgleich dafür gibt es eine spezielle Regelung, nach der der widerrufende Bauherr dem Bauunternehmer einen Wertersatz für erbrachte Leistungen schuldet (§ 357 d BGB). Das ist für den den Bauherrn beratenden Architekten zwar wichtig zu wissen, hilft ihm selbst aber leider nicht. Ihm steht generell kein Wertersatz zu.
Handlungsmöglichkeiten
Individuell empfiehlt sich eine Anpassung der Vertragsschluss-Gepflogenheiten: Verträge mit Verbrauchern sollten Architekten – am besten zum Beispiel durch Zeugen belegbar – nur noch im eigenen Büro oder allenfalls vom Büro aus per E-Mail abschließen. Ist das nicht möglich, sollte der Architekt den Verbraucher bei Vertragsschluss nachweislich über das Widerrufsrecht informieren. Zu diesem Zweck gibt es eine Hilfestellung direkt vom Gesetzgeber: ein Belehrungsformular (Anlage 1 [zu Artikel 246 b § 2 Abs. 3] EGBGB), das vom Verbraucher zu unterschreiben ist. Im Anschluss an die Belehrung kann der Architekt entweder 14 Tage warten, bis die Widerrufsfrist verstrichen ist, oder sich das ausdrückliche Verlangen, dass er mit der Leistung vor Ablauf der Frist beginnen soll, in dauerhafter Form, also zum Beispiel als Brief, PDF oder E-Mail, übermitteln lassen. Dann erhält er zumindest einen Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen, § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB.
Zudem kann es sein, dass die Ausübung des Widerrufsrechts im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist und in Widerspruch zum Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB steht (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2018, Az.: XI ZR 69/18). Das ist etwa dann der Fall, wenn der Architekt in seinem Vertrauen in den Bestand des Vertrages in besonderem Maße schützenswert ist. Wenn ein Architekt sich lange sicher fühlte, der Vertrag werde nicht widerrufen, sollte er sich dazu beraten lassen, ob der Ausübung des Widerrufsrechts gewichtige besondere Gründe entgegenstehen könnten.
Hilfestellung der Kammern
Die Kammern haben bereits bei Einführung des Widerrufsrechts 2014 Informationsmaterialien und Muster erstellt und über die neuen Regelungen informiert (vgl. hier). Diese wurden nun aktualisiert und können bei den Kammern abgefragt werden. Neben allgemeinen Hinweisen enthalten die Unterlagen Antworten auf die wichtigsten Fragen und praktische Formulierungshilfen zum Beispiel auch das Formular zu Belehrung über das Widerrufsrecht. Weil das besondere Verbraucherrecht neben den Regelungen zum Widerruf auch Informationspflichten festlegt, je nachdem, ob ein Vertrag inner- oder außerhalb der Geschäftsräume des Architekten zustande gekommen ist, enthalten die Materialien auch Hilfestellungen dazu.
Zudem setzen sich die Kammern auf Bundes- und Europaebene dafür ein, dass die potentiell existenzgefährdende Rechtslage für Architekten entschärft wird. Dabei kommt es darauf an, herauszustellen, dass gerade Architekturbüros, deren Auftraggeber Verbraucher sind, oftmals nicht so professionell geführt werden und nicht so groß sind, dass ein Ungleichgewicht zu Lasten eines Verbraucher-Bauherrn besteht. In aller Regel wird ein Verbraucher einen Architektenvertrag nicht unüberlegt schließen, weil es ganz überwiegend ein singuläres Vorhaben betrifft, und es eine lange Phase der Vertragsanbahnung gibt, was vor unüberlegten Vertragsschlüssen schützt. Überdies überzeugt auch die Ungleichbehandlung zu Verbraucherbauverträgen, bei denen der Unternehmer nach einem Widerruf immerhin einen Wertersatz bekommt, sowie zu Verträgen über den Verkauf individuell angefertigter Waren, bei denen dem Verbraucher schon gar kein Widerrufsrecht zusteht, nicht. Es bleibt die Hoffnung, dass sowohl der europäische Richtlinien- als auch der bundesdeutsche Gesetzgeber die Not des von Einzelunternehmern und KMUs geprägten Berufsstands der Architekten erkennt und Abhilfe schafft.
Sinah Marx (M.A.) ist Rechtsreferentin der Hamburgischen Architektenkammer
Muster für die Widerrufsbelehrung hier
Muster für das Widerrufsformular hier
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Wenn sich das herum spricht, dürften viele Honorarforderungen an dieser Formalie scheitern.
sobald der verbraucher die architektenleistung aber verwertet, sprich auf der planung aufbaut, ist doch eine konkludente handlung einschl. vergütungsanspruch gegeben, oder ?