DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Mehr Inhalt

Services

DABonline | Deutsches Architektenblatt
Zurück Buchtipps

Lehm: ein Baustoff mit Tradition und Zukunft

Der Lehmbau wird sein Öko-Image los. Wir zeigen Beispiele in zeitgenössischer Architektur und empfehlen Bücher.

Von: Christoph Gunßer
Christoph Gunßer ist für das DAB vor allem in Süddeutschland...

11.08.20205 Min. 1 Kommentar schreiben

 

Buchtipp: Lehmbaukultur

Ein gewichtiges Plädoyer für den Lehm legt uns ein französisch-belgisches Expertenteam, das sich seit Jahrzehnten mit dem Baustoff beschäftigt, mit dem Buch „Lehmbaukultur“ vor.

Der Bausektor verschlingt heute vierzig Prozent der Energie und der natürlichen Ressourcen, noch größer ist sein Anteil am Abfall und am CO2-Ausstoß. Höchste Zeit, einen alten Baustoff wieder zu entdecken, der keine derartigen Probleme kennt: Lehm oder exakter auf französisch „terre cru“, was rohe Erde heißt, ist fast überall verfügbar, von jedermann leicht zu bearbeiten und beliebig oft wiederverwendbar.

Lehm-Kompetenz in Frankreich

Autor Jean Dethier, belgischer Architekt und Stadtplaner, war lange Kurator am Pariser Centre Pompidou und hat dort schon 1981 eine Ausstellung über Lehmarchitektur konzipiert. Dieses Buch hat er mit dem Team von CRAterre geschrieben, das ab 1979 einen Lehmbau-Studiengang an der Nationalen Architekturschule Grenoble aufgebaut hat, wo seit 1998 auch ein Unesco-Lehrstuhl für Lehmbautechniken besteht. Tatsächlich hat unser Nachbarland durch seine Kolonialgeschichte enge Beziehungen zu traditionellen Lehmbau-Ländern.

So schöpft das Buch aus diesem reichen Fundus an Material und Forschungen, aber auch zeitgenössischer Kompetenz: Eintausend Lehmbau-Fachleute wurden bislang in Grenoble diplomiert, und seit Jahren ist das Team für Bauvorhaben beratend tätig, u. a. in Paris, wo derzeit der Aushub von U-Bahn-Baustellen zu einem neuen Stadtquartier verarbeitet wird (nebenbei: dessen Investor ist Sponsor des Buches).

Geschichte und Potenzial des Lehmbaus

Der Baustoff wird in diesem Wälzer also von allen Seiten betrachtet. Bildreich, aber auch mit langen, manchmal etwas unstrukturierten Textbeiträgen, führt er den Leser rund um den Globus: Von den frühen Hochkulturen, regionalen Bautraditionen, auch in Europa und gerade in Frankreich, zeitweisen Renaissancen und aktuellen Entwicklungen handeln die Kapitel, wobei die poetisch-sinnliche Seite der traditionellen Bauweisen überwiegt. Das Buch ist also mehr Bildband als Lehrbuch, auch wenn natürlich auf die verschiedenen Techniken der Verarbeitung und die bauphysikalischen Grundlagen eingegangen wird.

Wiederentdeckung des Lehms

Spannend für heutige Praktiker wird es erst im letzten Drittel des Buches, wenn von der Wiederentdeckung des Baustoffes und seinem emanzipativen Potenzial die Rede ist. So wird der Ägypter Hassan Fathy als Pionier der modernen Selbstbau-Bewegung vorgestellt. Im Westen wurde die „Architektur ohne Architekten“ in den 1960er Jahren zum Thema. Die Studentenrevolte befreite von genormten Konventionen auch im Bauen und ließ innovative Erdhäuser entstehen. In Kassel begann damals Gernot Minke mit seinen Lehmbau-Experimenten, die auch kurz gezeigt werden. Bei Lyon entstand Anfang der Achtziger sogar eine staatlich geförderte Mustersiedlung aus Lehm, wo u. a. die heute berühmten Architekten Jourda et Perraudin ein Haus bauten.

Für die Masse der Wohnungssuchenden nach den beiden Weltkriegen hatte es schon in Deutschland wie in Frankreich Lehmbau-Versuche gegeben. Zwischen 1919 und 1924 entstanden hierzulande 20000 Einheiten. Selbst Adolf Loos, Frank Lloyd Wright und Le Corbusier versuchten sich an solchen Konzepten. Doch galt die Bauweise bald als rückständig, wie heute noch in traditionellen Lehmbau-Ländern.

Lehm als antikapitalistischer Baustoff

Erst wenn wir selbst den Lehmbau im großen Stil praktizieren – und dafür sprechen viele, im Buch fast schon zu oft wiederholte Gründe – werde sich auch die Sicht der Armen ändern, meinen die Experten. Das Dilemma dabei ist, dass die Baustoff-Industrie kaum Interesse an diesem billigen Baustoff hat. Lehm sei wegen seiner freien Verfügbarkeit geradezu ein anti-kapitalistischer Baustoff, meint einer der Autoren. Doch die Industrie forscht derzeit intensiv an Mischungen, die patentierbar wären. So vermarktet ein französischer Konzern bereits Lehmbauteile mit Zement-Beimischungen im globalen Süden.

Dagegen sprechen sich alle Experten aus, auch die bei uns bekannten Martin Rauch und Anna Heringer in ihren Statements am Ende des Buches. Der Baustoff müsse allen verfügbar und auch verwundbar bleiben, er dürfe altern (was aber im Buch leider an modernen Bauten nicht gezeigt wird) – und nicht nur zur Mode werden.

Alternative Modernen in Lehm

Die „alternativen Modernen“ werden im Buch indes eher kaleidoskopisch abgehandelt, dafür gab es in den letzten Jahren schon genauere Veröffentlichungen. In der Praxis wird im Detail noch viel experimentiert, wobei hierzulande ja inzwischen baurechtliche Regelungen getroffen wurden und sogar Halbfertigteile verfügbar sind. Gerade sein Reichtum an Spuren und Nuancen (und seine Ähnlichkeit zum beton brut) machen zum Beispiel den Stampflehm bei Architekten beliebt, die sich der Moderne verpflichtet fühlen.

So macht dieser profunde Prachtband vor allem Lust auf Lehm als Ausdruck einer über Jahrtausende gewachsenen und erprobten Baukultur. Ob und wie unter heutigen Bedingungen eine „Revolution“ zur Einfachheit des Lehms möglich ist, wie sie die Autoren fordern, bleibt offen.

Jean Dethier
Lehmbaukultur – von den Anfängen bis heute
Edition Detail, 2019
512 Seiten, 99 Euro



Für Puristen widmet sich dieser Band der ökologisch vielleicht sinnvollsten Form des Lehmbaus: dem (nicht tragenden) Einsatz im modernen Holzbau oder in der Erneuerung historischen Lehmfachwerks. Ein lesenswertes Standardwerk.

Franz Volhard
Bauen mit Leichtlehm
Handbuch für das Bauen mit Holz und Lehm

Birkhäuser, 8. neu bearbeitete und ergänzte Auflage, 2016
312 Seiten, 49,95 Euro


Für Skeptiker konzipiert ist dieses ansprechend gestaltete Buch über Stampflehm, das aus der Forschung der EPFL Lausanne hervorging. Ein Plädoyer für einen technischen Rückschritt als ökologischen Fortschritt.

Roger Boltshauser, Cyril Veillon, Nadja Maillard (Hrsg.)
Pisé – Stampflehm Tradition und Potenzial
Triest Verlag, 2019
304 Seiten, 60 Euro


Für Praktiker werden hier übersichtlich alle Lehmbaustoffe erklärt und es wird zur Prüfung und Konstruktion angeleitet. Das Buch ist Teil der Musterliste der Technischen Baubestimmungen des DIBt und bauaufsichtlich eingeführt.

Dachverband Lehm e.V. (Hrsg.)
Lehmbau Regeln
Begriffe – Baustoffe – Bauteile
Springer Vieweg, 3. überarbeitete Auflage, 2008
140 Seiten, 49,99 Euro


In unserer Themensammlung finden Sie weitere Beiträge zum Lehmbau

 

War dieser Artikel hilfreich?

Danke für Ihr Feedback!

1 Gedanke zu „Lehm: ein Baustoff mit Tradition und Zukunft

  1. Lehm ist das beste Baumaterial was es gibt. Es muss nicht aufwändig durch Erhitzen oder Beimischen gewonnen werden. Es hat gute dämm- und raumklimatische Eigenschaften. Es ist sehr langlebig. Und wenn das Haus nicht mehr gebraucht wird, zerfällt es wieder zu Erde. Erde zu Erde. Von der Wiege zur Wiege. Und es kann sogar jederzeit wieder zu einem Gebäude auferstehen . Grandios einfach. Und gemeinsam mit Holzkonstruktionen kann man das ganze auch Mehrgeschossig bauen, um der Erde genug Dreck für Pflanzen zu lassen. Traumhaft natürlich. Danke, Erde!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Sie wollen schon gehen?

Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.

Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.