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Ein Labor für 8.000 Städte

In Äthiopien sollen neue Kleinstädte die Landflucht aufhalten. An den Ideen dafür arbeitet auch die Bauhaus Universität Weimar mit

18.06.20196 Min. Kommentar schreiben

Von Rudolf Stumberger

Jeweils morgens und abends quält sich durch die die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba der Berufsverkehr im Schritttempo und verpestet die Luft. Man kann aber auch mit der von den Chinesen gebauten Straßenbahn auf einer Hochtrasse durch die Stadt gleiten. Unten sieht man dann die sozialen und baulichen Verhältnisse: Zwischen zwei- und dreistöckigen Steinhäusern breiten sich immer wieder die aus Wellblech und sonstigen Materialien zusammengeschusterten Hüttensiedlungen aus. Die Straßen der Stadt sind quasi ein einziger Basar: Hier wird Kleinstgewerbe betrieben. Männer hocken auf der Erde, neben sich bunte Plastikutensilien zum Verkauf. Daneben betreibt einer der wohl tausend Schuhputzerjungen sein Gewerbe, anstatt in die Schule zu gehen. Wieder einen Meter weiter kauert ein Bündel am Boden, eine alte Frau bettelt um ein paar Birr, die einheimische Währung. Äthiopien ist noch immer eines der ärmsten Länder der Welt.

Bauboom in der Hauptstadt

Dabei erlebt die Hauptstadt Addis Abeba derzeit einen Bauboom, allenthalben stehen Baugerüste oder halb fertige Betonskelette herum. Im Stadtzentrum zeichnet sich dabei so etwas wie eine Skyline mit Hochhäusern ab. Gut im Geschäft sind dabei die Chinesen, die etwa an der Ecke Ras Demta Dastew Straße/Johanis-Straße den größten Wolkenkratzer der Stadt hochziehen, Hauptsitz einer Bank. Fliegt man mit dem Flugzeug über die afrikanische Metropole mit ihren vier oder fünf Millionen Einwohnern – so genau weiß das niemand – so wird von oben das Stadtwachstum erkennbar. Neben dem angestammten Stadtgebiet breiten sich in den Außenbezirken die Satellitenstädte und Reihenhaussiedlungen für den Mittelstand aus. Im Süden entsteht zum Beispiel ein großes neues Wohnviertel für die Arbeiter der dort gegründeten Industriezentren, darunter auch Textilindustrie von chinesischen Investoren.

Kann man sich in dieser Megastadt eine Stadtplanung vorstellen? Wo es nicht einmal Straßenschilder und Hausnummern gibt (inzwischen hat man begonnen, Straßenschilder aus Plastik aufzustellen, weil solche aus Metall abgeschraubt und als Altmetall verkauft wurden)?

Ja, es gibt eine Stadtplanung! Um mehr darüber zu erfahren, muss man mit der grünen Trambahnlinie bis zur Haltestelle „Coca Cola“ (weil sich hier die amerikanische Getränkefabrik befindet) fahren und dann den Campus der Universität betreten. An der Fakultät für Architektur findet sich das „ECL“, das Kürzel steht für „Emerging City Lab“ und meint soviel wie „Laboratorium für neu entstehende Städte“. Das Institut selbst entstand 2015 aus einer Zusammenarbeit der Bauhaus-Universität Weimar und dem äthiopischen Institut für Architektur, Gebäudekonstruktion und Stadtentwicklung. Leiter des Institutes ist Professor Zegeye Cherent. Wenn er die Ziele seines Institutes erläutert, holt er erst mal aus: 80 Prozent der 100 Millionen Äthiopier leben in ländlichen Gebieten auf kleinen Bauernhöfen in Subsistenzwirtschaft. Und wenn Äthiopien in den vergangenen Jahren in den internationalen Schlagzeilen war, dann wegen Dürre- und Hungerkatastrophen.

Zwar wurden ländliche Gebiete unterstützt, doch dabei übersah die Politik wesentliche Entwicklungen, so der 46-jährige Architekturprofessor: dass aufgrund von Klimawandel und der Bodenerosion und damit sinkender Erträge immer mehr Menschen in die Städte flohen – Städte, die darauf aber überhaupt nicht vorbereitet waren. Zegeye: „2015 haben die verantwortlichen Politiker dann endlich die Augen aufgemacht und haben erkannt, dass sich Millionen von Menschen auf den Weg in die Stadt machen.“

Ländliche Städte

Die Konsequenz: Jetzt will die Regierung 8.000 Städte auf dem Land entstehen lassen, um die Menschen dort zu halten und neue Wirtschaftszweige entstehen zu lassen. Wie kam man auf diese Zahl? „Ganz einfach“, sagt der Architekt, „wir haben in ganz Äthiopien 25.000 kleinste Gemeindeeinheiten, davon knapp 17.000 im ländlichen Raum. Die Hälfte davon macht rund  8000.“

Doch mit welchem Plan will man eine derart gigantische Zahl an stadtähnlichen Zentren aus dem Boden stampfen? Was für Häuser sollen da entstehen, mit was für Materialien und wie das Zusammenleben aussehen? Um so etwas flächendeckend zu realisieren, braucht man Blaupausen für Siedlungen. So hatte man als Pilotprojekt schon 2010, also noch vor dem Erwachen der Politik, in Buranest, einem Dorf bei Bahir Dar am großen Tana-See, den Grundstein für eine neue Stadt gelegt. Ein doppelstöckiges Modellhaus wurde errichtet, eine Genossenschaft gegründet, die Bauern sollten sich handwerkliche Fähigkeiten aneignen, sich bilden und ihre Produkte selbst vermarkten.

Doch der Weg zur ländlichen Stadt ist ein beschwerlicher. So hat sich die Genossenschaft wieder aufgelöst, weil sich die Mitglieder nach Erhalt ihres Ausbildungszeugnisses als angelernte Handwerker aus dem Staub gemacht hatten, um woanders Geld zu verdienen. Aber man habe auf diesem Weg auch viel gelernt, zieht Zegeye Bilanz. War bisher die Voraussetzung für eine Stadtgründung an eine Bevölkerungszahl von 2.000 Einwohner gebunden, wurde diese Zahl nun von der Regierung auf 500 gesenkt.

Zwei Architekturstudenten erproben das Bauen mit Plastikflaschen

Baumaterial Plastikflaschen

Die Arbeit im ECL in Sachen urbane Strukturen im ländlichen Raum geht weiter, diesen März waren Studierende der Uni Weimar in Äthiopien unterwegs, um eine digitale Entwicklungsplattform für den Aufbau von Städten voran zu treiben. Und auf dem Gelände der Universität sind nahe dem ECL-Institut noch verschiedene Modellhäuser zu besichtigen, bei denen das Bauen mit einfachsten Materialien erprobt wurde. Die Bandbreite reicht dabei von Strohhütten bis zu Holzhäusern, die ohne Nägel oder Schrauben zusammengehalten werden. Derzeit arbeiten die Studierenden daran, aus mit Sand gefüllten Plastikwasserflaschen Wände zu errichten. Diese Flaschen „zieren“ als Müll entlang der Straßen das ganze Land und sind so ein kostenloses Baumaterial.

Koordiniert wird diese deutsch-äthiopische Zusammenarbeit von der Diplom-Ingenieurin Nicole Baron, die gerade über die Widerstandsfähigkeit von Stadtvierteln am Beispiel Addis Abebas promoviert. Wie diesen Februar, betreibt sie aber auchFeldforschung mit dem ECL: „Wir entwickeln derzeit digitale Werkzeuge, die die Beteiligung der Bevölkerung und die Entscheidungsfindung bei den geplanten urbanen Zentren unterstützen sollen“, sagt sie zum aktuellen Forschungsprojekt. Dabei geht es nicht nur um Äthiopien: „Wir wollen unsere Forschungsergebnisse und Methoden mit Wissenschaftlern und Praktikern anderer afrikanischer Nationen jederzeit teilen“, heißt es in der Selbstbeschreibung des Emerging City Lab. In diesem Sinne sieht sich das Labor als Rahmen, um eine praxisorientierte und interdisziplinäre Lehre und Forschung voranzutreiben.

 

Ausstellung

Zum Bauhaus-Jubiläum zeigen die Weimarer Universität und das Addis Abebaer Institut für Stadtplanung unter dem Titel „selam bauhaus hello bauhaus“ eine Ausstellung über die Zusammenarbeit im Emerging City Lab. Gezeigt werden architektonische Entwürfe und Konzepte. Zu sehen ist die Ausstellung an der Uni Weimar vom 5. bis 14 Juli 2019 und in Addis Abeba im September und Oktober.

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