Von Lars Klaaßen
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Rundumnutzung“ im Deutschen Architektenblatt 12.2019 erschienen.
Zurück zur Natur oder auf zu den Sternen? Beide Ziele lassen sich in Haren, einem Ortsteil der niederländischen Stadt Groningen, miteinander verbinden. Im dortigen Botanischen Garten, dem Hortus Botanicus, hat der Raumkünstler Jan Körbes mit seinem Team die „Hermitage“ gestaltet.
Der Name dieser kleinen Behausung knüpft zum einen an frühere Eremiten an, die sich in die Natur zurückzogen und dort bescheidenen Unterschlupf bezogen, zum anderen an die historische Gartenkultur: In den englischen Grünanlagen des 18. Jahrhunderts war es Mode, Eremiten einen Wohnort zu bieten – als Symbol für Beschaulichkeit und Melancholie, für das Ideal des Menschen, der durch den Rückzug aus der Welt zu sich selbst findet.
Umgebautes Futtersilo wird Herberge
Nachdem der Botanische Garten lange Zeit von der Universität Groningen für wissenschaftliche Pflanzenforschung genutzt wurde, betreut seit 2012 eine gemeinnützige Stiftung die Anlage. „Die Künstler Sjaak Langenberg und Rosé de Beer, die in der Gartenanlage gezeltet hatten, waren von diesem Erlebnis so begeistert“, berichtet Jan Körbes, „dass sie die Idee ins Leben riefen, dort eine kleine Unterkunft zu schaffen, die sich in die umgebende Natur dezent einfügt und auch anderen eine Übernachtung ermöglicht.“ Den Zuschlag bekam sein deutsch-niederländisches Projekt „Refunc“, das Jan Körbes mit Denis Oudendijk gegründet hat.
Der Entwurf begegnet der Natur auf zwei Ebenen mit großem Respekt, beide Male durch Minimalismus. So beschränkt sich die Hermitage nicht nur räumlich auf das Nötigste, sondern auch materiell: Die Unterkunft besteht aus einem ausrangierten Futtersilo, das für seine neue Funktion im Hortus Botanicus upgecycelt wurde.
Interieur aus Recycling-Material
Das Interieur hat ebenfalls seine Vorgeschichten. „Wir konnten vor allem Restbestände aus der Universität verwenden“, erläutert Jan Körbes. Aus Gartenbänken etwa machte das Team ein multifunktionales Sitzmöbel, das an einer Seite zum Bett wird. Anzuchtkästen wurden zu Lampen, ein ehemaliger Schreibtisch zur Arbeitsplatte in der Gartenküche.
Wer sich hier für ein paar Nächte einmietet, bekommt nicht nur beim Blick durch das Dachfenster in den Sternenhimmel Tuchfühlung mit dem All. Die kleine Röhre des ehemaligen Silos und das platzsparend-funktionalistische Interieur lassen den Gast wähnen, in einer Raumkapsel zu schweben.
Refunc hat bereits eine Reihe von Silos einer neuen Nutzung zugeführt. „Sie sind ein verbreitetes Abfallprodukt der Landwirtschaft, das hervorragende Eigenschaften mitbringt, um als Unterkunft umgenutzt zu werden“, sagt Jan Körbes. „Die Polyesterkörper sind stabil konstruiert und lassen sich gut verarbeiten.“ Der Baustoff könne gut gebohrt und gesägt werden und lasse sich auch problemlos perforieren, um etwa Fenster und Türen einzusetzen.
Tiny Tea House tourt durch die Welt
Das Silohaus-Konzept funktioniert dabei nicht nur horizontal wie in Groningen, sondern auch vertikal: Als mobiles Experiment hat Refunc ein „Tiny Tea House“ konzipiert. Dieses „Lemon Loft“ bietet auf drei Quadratmetern Platz für zehn Besucher – und kann zwecks Umzug ohne großen Aufwand auf einen Anhänger geladen werden. Nach einem ersten Auftritt am Bauhaus-Archiv in Berlin tourt das Haus durch die Welt und lässt sich für Veranstaltungen buchen.
Mobil behaust war Jan Körbes erstmals mit seiner Tochter in einem Wohnwagen. Eine lehrreiche Erfahrung für zukünftige Tüfteleien: „Nach zwei Jahren wusste ich, was in meiner nächsten Unterkunft besser werden sollte.“ Ganz oben auf der Liste stand: nie mehr kalte Füße, Platz für mehr als zwei Besucher – und für Menschen, die größer sind als 1,80 Meter.
Daraufhin baute er sein erstes Silohaus. Es bietet mit sechs Metern Höhe und einem Durchmesser von 2,4 Metern eine Wohnfläche von 13 Quadratmetern. Zweieinhalb Jahre hat Jan Körbes darin gelebt, teils mit seiner Tochter. Heute wird das Silo in Berlin-Moabit von einem iranischen Künstler bewohnt.
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