Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Die intellektuellen Strategen“ im Deutschen Architektenblatt 01.2020 erschienen.
Von Michael Kasiske
Mit ihrem Büronamen Summacumfemmer, der das lateinische „mit“ in sich birgt, offenbaren Anne Femmer, 1984 in Dresden geboren, und der Kölner Florian Summa, Jahrgang 1982, eine Vertrautheit mit Geschriebenem. Ihre Entwürfe, das ist im Gespräch schnell zu spüren, besitzen stets eine ideelle Basis, die aus den Reflexionen über die Aufgabe formuliert wird.
Der Ort unseres Treffens ist ihr Büro im ehemaligen Leipziger „Tapetenwerk“, das seit 2007 als „kreative Produktionsstätte“ zu einem Standort für Architekten und Designer sowie kleinere Handwerksbetriebe ausgebaut wird. Summacumfemmer, gegründet 2015, belegt die Galerie einer kleinen Halle, den unteren Bereich nutzt ein anderes Architekturbüro. Eine konzentrierte Atmosphäre in einem roh belassenen Interieur, das eine bewusste Alternative zu üblichen Büroräumen darstellt. Als solche positionieren Anne Femmer und Florian Summa auch ihre Projekte.
Aktuell in Bau befindet sich „San Riemo“, das erste Haus der noch jungen Münchner Genossenschaft „Kooperative Großstadt“. Der Entwurf, den Femmer und Summa zusammen mit den früheren Genter Kollegen Juliane Greb und Petter Krag erarbeiteten, ist Ergebnis eines offenen Wettbewerbs. Ein ebenfalls publikumsoffenes Preisgericht hatte der Arbeitsgemeinschaft zunächst den zweiten Preis zugesprochen, später wurde sie aufgrund der Budgetüberschreitung des Siegerentwurfs mit der Realisierung betraut.
San Riemo und die Genossenschaft „Kooperative Großstadt“
„Kooperative Großstadt“ versteht die Wohnungsfrage sozial, politisch und architektonisch, worauf Summacumfemmer mit einem kraftvollen Konzept antworteten. Hintergrund ihres Ansatzes ist die vom englischen Kritiker und Blogger Mark Fisher entlehnte „Hauntologie“, unter der das Sampeln von „Geistern“ der Vergangenheit zu verstehen ist. Konkret schauen sich Femmer und Summa hier noch einmal die Utopien der Moderne an, trotz des bekannten Scheiterns. „Dabei war das Gespenst des Universalismus eigentlich schon durch die Auslober selbst wachgerufen worden“, beschreiben beide ihre Lesart der Wettbewerbsausschreibung, „als sie ihren Wunsch nach einem gleichermaßen robusten, straff organisierten wie auch langfristig adaptierbaren Haus für das genossenschaftliche Wohnen formulierten.“
Das Eckhaus an einem Platz im neuen Stadtteil Riem hat durch eine etagenweise Teilung in drei Schichten mehrere Wohnoptionen. Anstelle von Flexibilität, die stets aufwendige Konstruktionen und Installationen erfordert, setzen die Architekten auf die Schaltbarkeit nutzungsneutraler Räume, wie es aus dem gründerzeitlichen Altbau geläufig ist. Dreh- und Angelpunkt sind mittig platzierte Küchen, von denen aus die beidseitig liegenden Wohnräume erschlossen werden. Daraus lassen sich Lebensformen wie Wohngemeinschaften (Nukleuswohnen), große Wohngruppen (Filialwohnen) oder auch Einzelwohnungen (Basiswohnen) schalten, die den vielfältigen Ansprüchen der Genossenschaftler Rechnung tragen.
Mit kreativem Pragmatismus zum Ziel
Nach der langjährigen Arbeit der beiden Architekten im Ausland sind die vielfach hierarchisch geprägten Strukturen Deutschlands ungewohnt. Anne Femmer hat nach dem Studium bei von Ballmoos Krucker in Zürich und danach bei Jan de Vylder in Belgien gearbeitet. Anschließend war sie an der ETH zunächst Assistentin bei Christian Kerez und dann bei Jan de Vylder. Florian Summa, der in Aachen diplomierte, war vier Jahre im Büro von Caruso St. John in London und in Zürich tätig, bevor er zum Lehrstuhl von Adam Caruso ebenfalls an die ETH wechselte. Beide zehren zum einen von den jeweiligen Büros, was Perfektion, die Entscheidung auf der Baustelle oder strategisches Denken betrifft, zum anderen von der Unterstützung der Professoren. Diese ermöglichten ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern den Aufbau des eigenen Büros und bestärkten sie gar durch Kritik auf Augenhöhe.
Haus B in Ottendorf-Okrilla
Davon profitierte auch das mit dem Bauwelt-Preis für Erstlingswerke ausgezeichnete Wohnhaus in Ottendorf-Okrilla. Das exzeptionelle Projekt entstand aus einer Frage der Bauherren, wie sie ihr elterliches Grundstück günstiger als mit einem Fertighaus bebauen könnten. Die Architekten baten um die Chance, eine solche Alternative zu entwickeln. Heraus kam ein Bauwerk, das aus einem leichten hölzernen Volumen besteht, das von einem konstruktiv unabhängigen Dach gegen die Witterung geschützt wird. Die Strategie, mit Fertigteilen die Grundstrukturen zu errichten, die mit viel Eigenleistung kostengünstig ausgebaut werden, entsprach dem agilen Bauherrenpaar. Dass ein solch unkonventionelles Vorgehen im Dorf auf Verwunderung stieß, nimmt nicht wunder, doch der pragmatische Ansatz überzeugte letztlich.
Ein noch lange laufendes Projekt ist das eigene Wohnhaus im Leipziger Stadtteil Kleinzschocher, das Femmer und Summa lachend als ihr derzeitiges „Hobby“ bezeichnen. An dem Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit, das sie in einem nahezu ruinösen Zustand erwarben, arbeiten beide seit der Bürogründung. Inzwischen ist das Dach hergerichtet und sind genügend Räume ausgebaut, sodass die dreiköpfige Familie dort wohnen kann. Während zum Hof hin, und somit auch für die innere Hausstruktur, keine Gestaltungsvorgaben bestehen, soll die Fassade zur viel befahrenen Ausfallstraße wieder im alten Glanz erstrahlen. Mit Freude am Handwerk bargen Femmer und Summa die noch vorhandenen Stuckornamente, stellten Gussvorlagen her und schufen ein die alten Formen reflektierendes Straßenbild. Auch die Holzfenster werden nach einem noch intakten Muster wiederhergestellt, die Lärmschutzfenster liegen dahinter.
In dem breiten Spektrum zwischen Theorie und Bauen, Schreiben und Selbst-Anfassen liegt die besondere Charakteristik von Summacumfemmer. Beschäftigt auch mit kleineren Projekten aus dem Freundes- und Familienkreis, leisten sie sich die Freiheit, im eigenen Tempo den Anspruch an sich selbst erfüllen zu können. Die Unverbissenheit, die Femmer und Summa ausstrahlen, ist keine arglose Lässigkeit, sondern das Bewusstsein, die Dinge bis zu Ende gedacht zu haben. Eine Architektur von stupender Logik scheint, abseits von konventionellen Erfordernissen, das Ziel ihrer Arbeit zu sein – unabhängig davon, in welcher Größenordnung sie – und somit das Büro – sich entwickeln werden.
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auch in unserem Schwerpunkt Junge Architekten
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