Dieses Interview ist unter dem Titel „Wir wollen zeigen, dass Architekten Termine einhalten und mit Geld umgehen können“ im Deuteschen Architektenblatt 06.2020 erschienen.
Warum übernehmen Sie als Architekten auch die Rolle der Bauherren?
Heike Sommer: Aus Unzufriedenheit. Der Anteil von Leistungen unseres Berufsstandes bei Bauvorhaben wird immer geringer. In der Projektentwicklung ist die Leistung des Architekten nur noch ein kleiner Teil von vielen. Qualität von Architektur hat immer weniger Bedeutung, vor allem weil die Rolle der Bauherren sich verändert hat.
Detlef Sommer: Es geht uns auch um ein persönliches Statement, um den Nachweis, dass engagierte Architekten in kleinen Büros mit kurzen Wegen, offener Kommunikation, mit großem Interesse an Baukultur – für die wenige Bauherren zu finden sind – gute Projekte entwickeln können. Wir zeigen, dass Architekten bauen und Termine einhalten – und mit Geld umgehen können.
Braucht man für solche Aufgaben ein bestimmtes Know-how?
Detlef Sommer: Um Projektentwicklung besser zu verstehen, eigene Projekte voranbringen und damit unseren Anspruch an Architektur verwirklichen zu können, habe ich das berufsbegleitende Studium Real Estate Management an der TU Berlin absolviert.
Durch welche Schritte kamen Sie an den Punkt, die Idee zu realisieren?
Detlef Sommer: Seit 2000 betreiben wir gemeinsam ein Architekturbüro und ein Büro für Gebäudemanagement. Kunden, für die wir Häuser verwalten, waren auf der Suche nach Immobilien und Grundstücken, sodass die Suche, der Ankauf und die Übernahme der Verwaltung über unser Büro liefen. So sammelten wir Erfahrungen, um Immobilien selbst zu erwerben, zu planen, zu bauen und den Bestand zu verwalten.
Heike Sommer: Wir haben dann für uns selbst nach Grundstücken und Objekten gesucht, die zum Verkauf standen. 2008 erwarben wir das Alte Rathaus von Reinickendorf, sanierten es und machten ein Wohngebäude daraus. Nach diesem ersten Projekt kauften wir 2013 ein Grundstück in der Köpenicker Lindenstraße (siehe unten).
Finanzieren Banken das so ohne Weiteres?
Heike Sommer: Na ja, Banken sind langsam und haben ihre eigene Sicht auf die Dinge und vor allem eigene Richtlinien. Es ist von großem Vorteil, wenn man eine Liegenschaft ohne Finanzierung erwerben kann. 2013 waren die Preise noch moderat, und mit dem Grundstück als Eigenkapitalanteil erhielten wir eine Finanzierung.
Sind die finanziellen Voraussetzungen also entscheidend?
Detlef Sommer: Das Verhältnis von den Grundstückskosten zum erwartbaren Ertrag muss stimmen. Ohne Eigenkapital, Erbschaft oder Ähnliches geht das meist nicht, weil Banken immer erst dann finanzieren, wenn alle anderen es auch tun würden – und dann ist es meist zu spät. Hat man das Grundstück, ist die Finanzierung in der Regel möglich. Aber man darf nicht in der Herde mitlaufen, sondern muss sich azyklisch verhalten. Das 3.700 Quadratmeter große Grundstück in Köpenick haben wir gekauft, als alle noch innerhalb des S-Bahn-Rings suchten, dabei war es dort bereits zu teuer.
Wie schafft man im Neubau bezahlbare Wohnungen, ohne im Minus zu landen?
Heike Sommer: Prinzipiell ist es kein Geheimnis, günstig zu bauen. Die Overhead-Kosten müssen niedrig bleiben. Das geht nur in einem kleinen, kompetenten und eingespielten Team. Unser Ziel, Mieten von 11,50 Euro pro Quadratmeter anbieten zu können, sowie den damit verbundenen Kostenrahmen hatten wir früh festgesetzt – und mit einem sensationellen Nachtragsmanagement von unter drei Prozent auch fast eingehalten. Der Bau kostete insgesamt 8,44 Millionen Euro, das sind pro Quadratmeter 2.325 Euro brutto.
Den richtigen Kostenrahmen zu setzen, ist das eine. Wie hält man diesen auch ein?
Heike Sommer: Voraussetzung dafür war Kontrolle von außen, also Projektsteuerung – in Köpenick war da Matthias Sander von dBS Investment für uns der perfekte Partner. Dafür haben wir ein Lasten- und Pflichtenheft erstellt sowie unsere Ziele definiert: individuelle, programmatische, konzeptionelle, nutzungstechnische, anlagentechnische, soziale, ökologische, wirtschaftliche und zeitliche Ziele. Wichtig sind bei alldem Vertrauen und eine absolute Offenheit – und das Projekt sollte allen Beteiligten Spaß machen.
Detlef Sommer: Projektentwicklung ist noch mal sehr viel mehr als Architektenplanung. Trotzdem würden wir uns wünschen, dass mehr Architekten diesen Weg gehen oder zumindest erwägen würden, weil Architekten dafür prädestiniert und besser ausgebildet sind als alle anderen Berufe. Es ist aber auch gut und wichtig, dass der Bauherr „gepuffert“ wird und nicht jede Kleinigkeit, jeder Ärger direkt und ungefiltert an ihn herangetragen wird.
Sie verwalten schon seit 1999 Wohngebäude. Wie kam es dazu?
Heike Sommer: Das ergab sich aus unserer Arbeit als Architekten. Wir waren mit einer Umbaumaßnahme befasst und der alte Verwalter wollte nicht mehr. So gründeten wir eine neue Firma, die S+S Gebäudemanagement. Erst haben wir alles selbst gemacht, mittlerweile haben wir professionelle Mitarbeiter in der Verwaltung und zwei Hausmeister. Unsere Motivation ist einerseits Neugier darauf, wie sich unsere „Produkte“ im Alltag bewähren; andererseits: Regelmäßige Einnahmen beruhigen.
Detlef Sommer: Mitte der Neunzigerjahre hatten wir das Gefühl, dass für uns selbst gewonnene Wettbewerbe für die Akquise neuer Aufträge kein geeignetes Mittel sind. Wir hatten zwar viel gewonnen, aber wenig wurde zu einem Bauauftrag, die öffentlichen Kassen waren leer. In dieser Zeit haben wir Alternativen gesucht, die uns regelmäßige Einnahmen ermöglichen, zwei Kinder mussten versorgt werden. Das Tätigkeitsfeld Gebäudemanagement befähigt uns aber nicht zur Projektentwicklung. Das wäre ein Missverständnis. Gebäudemanagement ist zwar ein interdisziplinäres Tätigkeitsfeld, jedoch weniger komplex als eine Projektentwicklung im Immobilienbereich.
Möglichst vieles selbst zu machen, lautet Ihre Devise. Lässt sich bei Vermietung und Betrieb Geld sparen?
Detlef Sommer: Die Kosten für Marketing und Vertrieb liegen bei vielen Entwicklungen in der Regel sehr hoch. Nicht zuletzt deshalb, weil finanzierende Banken einen Profi-Vertrieb verlangen, um ihr Risiko zu minimieren. Das ist aber gar nicht notwendig, wenn das Projekt ein Selbstläufer ist. Aus solchen Gründen sind hier viele Kosten vergraben. Man kann den Betrieb einer Immobilie erst dann richtig einschätzen, wenn man alle Teile der Anlage im gewöhnlichen Betrieb gesehen und studiert hat. In unserem Wohnungsbau in Köpenick haben wir lediglich für die beiden Gewerbeeinheiten ortskundige Makler eingeschaltet.
Wie organisieren Sie Ihre zwei Büros?
Heike Sommer: Architektenbüro und Büro für Gebäudemanagement sind formal zwingend getrennt: zwei verschiedene Briefköpfe, Zahlungseingänge auf verschiedenen Konten. Das erste Büro ist durch wenige große, das zweite durch viele kleine Aufträge definiert. Im Prinzip aber sitzen wir alle in einem Büro und ein Besucher weiß nicht: Wer ist Architekt und wer ist Verwalter? Ob Architektur oder Gebäudemanagement: Die Tätigkeiten hängen am Ende alle zusammen, daraus ergibt sich ein Mehrwert durch Synergie.
Wohnungsbau im Alleingang in Berlin-Köpenick
Gut zehn Kilometer vom Berliner Zentrum entfernt liegt das Grundstück, das Heike und Detlef Sommer 2013 in der Köpenicker Lindenstraße kauften. Ihren fünfstöckigen Baukörper schoben sie so kompakt in das vorhandene kleine Wäldchen, dass mehrere markante Baumriesen erhalten bleiben konnten. Kompakt bedeutet aus der Perspektive des Betriebs auch: wenig Außenwand, also geringe laufende Kosten. Das Haus enthält 53 Mietwohnungen und zwei Gewerbe-Einheiten. Der Wohnungsmix besteht aus Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen, die offen und vielseitig gestaltet sind, bei 2,76 Meter Raumhöhe über Fußbodenheizung und Eichenparkett. Identische bodentiefe Holzfenster und breite umlaufende Loggien holen die Bäume ins Haus.
Beim Baumaterial wählte man am Ende doch konventionellen Stahlbeton. Als Gebäudemanager bewerten die Sommers das Material auf lange Sicht als robuster, und als Architekten schätzen sie dessen raue Ästhetik. Die tragende Konstruktion wurde vor Ort gegossen, die sichtbare (kerngedämmte) Fassade besteht aus angelieferten Fertigteilen. Auf die Beton-Schalung wurden Blätter gelegt, die die Sommers vor Ort auf dem Bauplatz gesammelt hatten. So überdauern die Bäume, die dem Bau weichen mussten, als „versteinerte“ Abdrücke. Innen blieb der Beton nur an den Decken roh – und muss laut Mietvertrag so bleiben. Wer alles aus einer Hand plant, kann das auch durchsetzen.
Vorgefertigt wurden übrigens auch die Bäder. Als komplett ausgestattete Module schwebten sie per Kran ein, bevor die jeweilige Betondecke gegossen wurde. Alle sind identisch und schlicht – „Schnickschnack und Wellness wollten wir nicht“, sagt die Architektin. Günstiger wurde der Bau so zwar nicht, doch verkürzte die Vor-Montage den Bauablauf.
Energiekonzept: Heizen mit Eis
Für eine nahezu CO2-neutrale Heizung und Kühlung des Gebäudes vergrub das Architektenpaar einen 250 Kubikmeter großen Eisspeicher im Gelände, der mit einer Wärmepumpe und Solarabsorbern auf dem Dach verbunden wurde. Das Prinzip ist einfach: Die Pumpe entzieht dem Speicher ständig Wärme, bis das Wasser gefriert. Beim Phasenübergang zum Eis wird viel Energie freigesetzt und die dient zur Heizung des Gebäudes. Solarwärme vom Dach hält den Speicher ständig um die null Grad.
Dieses innovative System, im Wohnungsbau in diesem Maßstab noch kaum erprobt, soll dreißig bis fünfzig Prozent günstigere Kosten für Heizung und Warmwasser bringen. Dass es funktioniert, wird den Mietparteien vertraglich garantiert: Es gibt 42 Grad warmes Wasser für alle. Derzeit tüfteln die Techniker zwar noch an der Feinabstimmung, doch das System als Ganzes hat seine Bewährungsprobe bestanden. Das Gebäude ist ein KfW-Effizienzhaus 55 und erhielt 2019 den zweiten Preis Neubau beim KfW-Award Bauen.
Die Nachhaltigkeit ihres Hauses stellen die Architekten bei Gesprächen mit Interessenten nicht in den Vordergrund. Da auch die elektrische Energie klimaneutral erzeugt wird, braucht es keine fossile Energie mehr. Im Mietwohnungsbau sei das leider noch kein großes Thema, meinen die Architekten, weshalb sie auch von einer Warmvermietung Abstand nahmen. Die Mieter finden es dann doch gut, dass ihr Haus so innovativ tickt, und selbstverständlich auch, dass deshalb die Nebenkostenrechnung moderat ausfällt.
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Ich finde es sehr bezeichnend, daß das Architektenblatt ein gewerblich tätiges Architektur-Büro als vorbildlich und zukunftsweisend für unsere Zunft porträtiert.
Dazu ein Auszug aus meiner Forderung anläßlich des EuGH-Urteils zur HOAI an den BDA-Bayern im März letzten Jahres:
„….Der Architekt, der dem Preiswettbewerb ausgesetzt ist, muss anderen Interessen und Zwängen folgen als bisher. Unter diesen Bedingungen sollten wir über ein paar grundsätzliche Dinge in unserem Berufsverständnis nachdenken:
Aufhebung der Trennung zwischen baugewerblich tätigen und freien Architekten.
Durch die elementaren wirtschaftlichen Zwänge im Zuge des Wegfalls der Mindestsätze kann der Architekt in Zukunft nur noch sehr eingeschränkt Sachwalter des Bauherrn sein. Dem freien Architekten muss deshalb gestattet sein, auch gewerblich tätig zu sein, da die Unabhängigkeit des Architekten nicht mehr durch die Gebührentabelle der HOAI abgesichert ist. …“
Gewerblich bedeutet nicht automatisch baugewerblich als Bauträger tätig zu sein,
aber Projektentwicklung wäre ein Feld, in das wir uns ausdehnen sollten, in Übereinstimmung mit unserem Standesrecht.