Von Gerd Motzke
Für den Abschluss und für die Abwicklung eines Architektenvertrags ist die Zeit ein maßgeblicher Umstand. Das erschließt sich beim ersten Hinsehen allerdings nicht, weil das gesetzliche Preisrecht der HOAI grundsätzlich aufwands- und damit „zeitneutral“ konzipiert ist. Architekten erhalten deswegen unabhängig von einer Bauzeitverlängerung in der Regel das nach den einschlägigen Honorierungsparametern der HOAI zu errechnende oder das anderweitig im Vertrag vereinbarte Honorar – gleichgültig, wie lange etwa die Klärung der Aufgabenstellung, die Erteilung der Baugenehmigung oder die Objektüberwachung dauern.
Kalkulationsaufgabe der Architekten
Diese Aufwands-/Zeitneutralität sollte jedoch nicht dazu führen, dass Planer nicht prüfen, ob das nach Maßgabe der einschlägigen Honorierungsparameter zu bestimmende Honorar mit Rücksicht auf den Zeitbedarf für die Projektabwicklung und den Personal- und Kapitaleinsatz auskömmlich, insbesondere kostendeckend ist. Für Planer gibt es dafür nichts Vergleichbares mit den Formblättern Nr. 221 und 222 des Vergabe- und Vertragshandbuchs für die Baumaßnahmen des Bundes, in denen es um Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation beziehungsweise Kalkulation über die Endsumme geht. Danach sind die Gesamtstunden zugrunde zu legen, mit dem Kalkulationslohn zu multiplizieren, die Stoff-/Gerätekosten anzusetzen und die Allgemeinen Geschäftskosten, die Baustellengemeinkosten, Wagnis und Gewinn von Bauunternehmern anzugeben.
Dennoch sind Planer einer solchen Preiskalkulation nicht enthoben. Der Bundesgerichtshof formuliert, die Bauzeit sei als Faktor für die Entgeltbestimmung bei Vertragsschluss in die Kalkulation einzubeziehen, soweit sie die Parteien realistisch einschätzen könnten. Folglich sind die Honorierungsparameter dahingehend zu untersuchen, ob und wie sie sich auf die Bauzeit auswirken und wie mittels der maßgeblichen Parameter als einschlägige „Stellschrauben“ die zeitabhängigen Kosten berücksichtigt werden können.
Das Manko der HOAI
Gefordert sind die Vertragsparteien, die dem Faktor Zeit auf der Vergütungsseite ausreichend Rechnung tragen müssen. Da eine Baumaßnahme für Verzögerungen stets anfällig ist, sind auch Störungsregeln zu bedenken. Das gilt gerade in Corona-Zeiten!
Die Pandemie muss Anlass sein, dem Zeitfaktor künftig durch entsprechende Vereinbarungen bei Vertragsabschluss den gebotenen Stellenwert einzuräumen. Die HOAI versagt, wenn die Parteien die bescheidenen HOAI-Ansätze nicht aufgreifen. Das hat mit der prinzipiell leistungsorientierten Regelungsstruktur der HOAI zu tun. Die HOAI stellt auf der Honorarseite grundsätzlich nicht auf den Aufwand und damit die Zeit ab, die Planer zur Leistungserfüllung benötigen. Leistungsunterbrechungen oder -verzögerungen sind grundsätzlich außerhalb des preisrechtlichen Regelungshorizonts der HOAI. Es liegt also an den Parteien, den Zeitumstand durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen zu berücksichtigen.
Äquivalenzgebot
Der Faktor Zeit ist nicht nur im Rahmen eines Bauvertrages ein „Bauumstand“, dessen Änderung Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B begründen kann, sondern auch ein „Planungsumstand“, der die Balance zwischen Preis und Leistung im Architektenvertrag mit der Folge stören kann, dass die „Äquivalenzstörung“ ausgleichungsbedürftig ist. Denn auch ein Architektenvertrag ist ein Austauschvertrag, und zwar oft in Gestalt eines Langzeitvertrags, bei dem nach dem Geschäftswillen der Parteien eine Vermutung besteht, dass Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Die Umsetzung des Äquivalenzgedankens ist Aufgabe der Vertragsparteien. Sie können für Grundleistungen und Besondere Leistungen ein Zeithonorar vereinbaren; insoweit herrscht Vertragsfreiheit. Zudem kann bei Geltung beziehungsweise Vereinbarung der HOAI zur Ermittlung des Honorars ein Parameter ausdrücklich mit Rücksicht auf die Zeit vereinbart werden, nämlich der Honorarsatz.
Honorarsatzvereinbarung bei vorhersehbarer Leistungsdauer
§ 7 Abs. 3 HOAI verdeutlicht, dass es legitim ist, „in Ausnahmefällen“ Honorare unter dem Mindestsatz zu vereinbaren. Die Leistungsdauer kann eine solche Ausnahme sein. Allerdings muss die Vereinbarung wegen § 7 Abs. 1 HOAI schon zum Zeitpunkt der Honorarvereinbarung erfolgen, die Leistungsdauer muss also vorhersehbar sein. Nach § 7 Abs. 3 HOAI darf bei vorhersehbaren ungewöhnlichen Leistungsdauern der Höchstsatz auch überschritten werden. Beides ist angesichts des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 künftig bedeutungslos, da die Parteien ohnehin nicht mehr an die HOAI-Honorarsätze gebunden sein dürften.
Vorsorge für unvorhersehbare Bauzeitverlängerung
Da eine Regelung zu unvorhersehbaren Ereignissen mit einer die Leistungsdauer verlängernden Wirkung fehlt, liegt die Lösung wiederum seit eh und je im Vertragsrecht. Die Vertragsparteien sollten im Vertrag Aussagen zur Bauzeit treffen und erklären, diese Bauzeit bilde als Regelbauzeit eine Geschäftsgrundlage für die Honorarvereinbarung. Die Praxis kennt Individualverträge, wonach zum Beispiel ab dem siebten Monat je weiteren vom Planer nicht verschuldeten Bauzeitmonat für die Bauüberwachung das individuell ausgehandelte Honorar gezahlt wird.
Vorstellbar ist auch, dass die Parteien in einem Vertrag zur Bauleitung einen Produktivitätsfaktor auf Grundlage einer begründeten Kalkulation vereinbaren. Dessen Störung mit Honorarfolgen ist unter Äquivalenzgesichtspunkten ausgleichungsbedürftig. Die Kunst wird darin bestehen, einen solchen Faktor auszumachen.
Die Architektenkammern stellen ihren Mitgliedern Orientierungshilfen zur Verfügung, in denen diese Anregungen finden können, Regelungen für Zeitstörungen zu treffen. So kann zum Beispiel vereinbart werden, dass der Architekt für jede nicht von ihm verschuldete Verzögerung pro angefangener Verlängerungswoche einen bestimmten Betrag erhält oder die Vertragsparteien zumindest verpflichtet sind, über eine angemessene Erhöhung des Honorars für die verlängerte Durchführung des Vertrages zu verhandeln.
Anregung: Punktebewertung für Honorarsatz oder Zuschlag
Bei der anstehenden Neufassung der HOAI könnten vergleichbar mit der Punktebewertung bei der Honorarzone Kriterien für die Honorarsatzfindung aufgestellt und in einem Punktekatalog zusammengeführt werden. Wird der Zeitfaktor etwa mit drei bei insgesamt sieben möglichen Punkten bewertet, könnte bei Bauzeitverlängerung die Anhebung des Punktwerts nach Äquivalenzgesichtspunkten zu einer Anhebung des Honorarsatzes führen und das Honorar für die Leistungsphase 8 bestimmt werden.
Da eine der Folgen des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 die Einführung von Ab- und Zuschlägen sein wird, könnte auch eine Zuschlagsregelung bei vom Planer unverschuldeten Planungs- und Bauzeitverlängerungen aufgenommen werden.
Prof. Dr. Gerd Motzke ist Jurist, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München a. D. und Verfasser etlicher Publikationen in Fachzeitschriften, Sammelbänden sowie von Monografien zu baurechtlichen Themen
In einem weiteren Beitrag lesen Sie, welche Bauzeitverlängerungen auftreten können, was Architekten im jeweiligen Fall tun können und wann mehr Honorar berechtigt ist.
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