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Architekten in der Corona-Krise: Tatkraft beweisen!

Die Corona-Krise muss Klimaschutz, Wohnungsbau, Innenentwicklung und die Digitalisierung des Planens beschleunigen statt sie auszubremsen.

30.06.20207 Min. Kommentar schreiben
Barbara Ettinger-Brinckmann und Anne Katrin Bohle vor Rednerpult auf dem DAT 2019
BAK-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann (links) und Anne Katrin Bohle, Staatssekretärin im BMI, auf dem DAT 2019

BAK-Bundesgeschäftsführer Dr. Tillman Prinz im Gespräch mit Anne Katrin Bohle und Barbara Ettinger-Brinckmann:

Frau Ettinger-Brinckmann, wo steht der Berufsstand in der Krise?

Ettinger-Brinckmann: Um das herauszufinden, haben wir gemeinsam mit der Bundesingenieurkammer eine Umfrage zur Situation gestartet. Das Feedback war mit über 9.000 Antworten beträchtlich. Erstes Fazit: Wir sind nicht der am schlimmsten betroffene Berufsstand. Die Baustellen laufen weiter – da sind wir dem Bauministerium für seinen Erlass wirklich dankbar. Aber vieles hat sich trotzdem verlangsamt. Lieferketten stocken, internationale Bau- und Facharbeiter fehlen. Zudem stellen einige Bauherren ihre Vorhaben zurück. Das heißt, wir rechnen mit einem phasenverschobenen Rückgang: Uns wird die Krise zeitversetzt erreichen. Positiv ist, dass die Digitalisierung offenbar in den einzelnen Büros funktioniert. Obwohl wir große Datenmengen zu verarbeiten haben, klappt es ganz gut mit dem Homeoffice. Aber auch das hat Grenzen, denn unser Berufsstand ist darauf angewiesen, im Team zusammenzuarbeiten – und das setzt persönliche Nähe voraus.

Wir hören aus dem Berufsstand immer wieder, dass die Digitalisierung der Bauverwaltungen nicht vorankommt. Was ist da das Problem?

Ettinger-Brinckmann: Die Kommunen sind sehr unterschiedlich aufgestellt, es gibt durchaus vorbildliche. Aber wir hören eben auch, dass manche Kommunen ihre Aufsichtsämter ins Homeoffice geschickt und ihre Mitarbeiter in keiner Weise technisch ausgerüstet haben, um etwa Bauanträge zu bearbeiten. Wir sehen einerseits das Thema digitaler Bauantrag, sogar den BIM-basierten Bauantrag. Andererseits stoßen wir an Grenzen, was die Ausstattung in den Bauämtern angeht. Da merken wir jetzt wirklich enorme Defizite. Viele Kommunen müssen dringend informationstechnisch besser ausgestattet werden.

Bohle: Absolut. Auch ohne Pandemie geht die Digitalisierung in den Kommunen nicht schnell genug voran. Es ist schon Jahre her, dass wir gesagt haben, welche Schnittstellensystematik wir brauchen. Wir haben aber vor 15 bis 20 Jahren die soliden Säulen der Verwaltung vernachlässigt, nicht nur in den Kommunen, sondern auch beim Bund. Nun müssen wieder verstärkt qualifizierte Leute eingestellt, besser ausgebildet und wertgeschätzt werden. Das wird in und nach der Krise sicher ein Drahtseilakt, bei Mehraufwendungen und zugleich Mindereinnahmen. Aber lassen Sie mich hier eine Lanze für die Kommunen brechen: Es mangelt nicht am Willen. Aber auch dort haben die Akteure nur zwei Hände und einen Kopf.

Wo wir bei Verlangsamung sind: Was ist mit der Bürgerbeteiligung in Zeiten der ­sozialen Distanz?

Bohle: Lassen Sie mich eines klarstellen: Nach meiner Erfahrung ist es nicht die Bürgerbeteiligung, die einen Prozess verlangsamt. In den meisten Fällen führt sie sogar zu qualitätsvoller Steigerung. Genauso ziehen auch Wettbewerbe keine Verzögerung nach sich. Die Gründe liegen woanders: geänderte Nutzerwünsche, komplexe Vergabeverfahren, Klagen und Ähnliches. Die Stimmen der Bürger brauchen wir in unserer Demokratie dagegen unbedingt. Bürgerbeteiligung lohnt sich und sorgt für Akzeptanz und Annahme dessen, was wir auch durch unsere gemeinsamen Gelder finanzieren.

Ettinger-Brinckmann: Die Errungenschaften der Partizipation dürfen – und müssen – wir nicht opfern. Die Einbeziehung digitaler Formate wird ja schon seit Längerem erprobt. Das lässt sich auch für Menschen organisieren, die über keinen Netzzugang verfügen oder mit der Technik noch nicht umgehen können. Wir arbeiten an vernünftigen Vorschlägen, auch zusammen mit Kommunen. Problematisch ist eher, dass sich jetzt Wettbewerbsverfahren verzögern und laufende Verfahren nicht abgeschlossen werden, weil die Preisgerichte physisch durchgeführt werden sollen. Bei großen Wettbewerben mit vielen Preisrichtern wird es natürlich digital schwieriger – aber bei kleineren Projekten kann ich es mir sehr gut vorstellen. Dafür haben die Architektenkammern der Länder schon Vorschläge unterbreitet.

Wohnungsbau, energetische Sanierung, ­integrierte Stadtentwicklung: Das sind ja alles Themen, die mit Corona nicht zum Stillstand gekommen sind – ganz im ­Gegenteil. Wie kann man diese baupolitischen Mittel jetzt weiter anschieben?

Bohle: Gerade während des Lockdowns haben wir festgestellt, wie wichtig öffentlicher Raum für den Menschen ist. Nicht jeder hat einen Balkon! Das mag Auswirkungen auf den Wohnungsbau und auf den Lebensraum in den Städten und Kommunen haben. Dichte steht dabei nicht im Widerspruch zu Qualität oder Stadtgrün. Die Frage lautet: Wie gehen wir damit um? Es ist ganz wichtig, da ein Treiber zu sein, anstatt in Depression zu verfallen. Wir wollen über Städtebauförderung noch mehr und noch unbürokratischer gestalten. So können die Kommunen in die Zukunft investieren, zugunsten des Gemeinbedarfs. Meine Botschaft ist: Jetzt bitte nicht den Kopf in den Sand stecken!

Ettinger-Brinckmann: Gesellschaftspolitische Themen wie Wohnungsmangel und Sanierungsstau in der Infrastruktur sind nicht plötzlich weg, bloß weil weniger darüber gesprochen wird. Auch andere Ziele wie Klimaschutz und Baukultur dürfen wir jetzt nicht vernachlässigen. Wenn ich in der Zeitung lese, wie ein großer Industrieverband sagt: „Jetzt in der Pandemie muss der Klimaschutz mal Pause machen“, dann sage ich: Das dürfen wir auf gar keinen Fall machen! Genauso die despektierlichen Äußerungen über „urbane Verdichtungsfanatiker“ oder „Aufstockungsprophetinnen“: Da werden wichtige Versuche, die Innenentwicklung voranzutreiben, mithilfe der Pandemie diskreditiert und diskriminiert. Dasselbe beim öffentlichen Nahverkehr. Ich habe aus irgendeinem Politikermund gehört, dem Auto gehöre jetzt die Zukunft, weil es einen geschützten Raum biete. Das darf nicht sein! Dagegen müssen wir angehen.

Was halten Sie dagegen?

Ettinger-Brinckmann: Meiner Ansicht nach braucht die Stadt nun mehr denn je die Unterstützung der Architekten und Stadtplaner und natürlich den verantwortungsvollen Bauherrn, damit wir wieder zurückfinden zum urbanen Leben. Wir müssen vermeiden, dass jetzt die Baukultur über den Haufen geschmissen wird, nach dem Motto: „Hauptsache, man investiert“. Das kann nicht das Ziel sein. Es muss so investiert werden, dass auch wirklich etwas Gutes dabei herauskommt, dass unsere Städte sich verbessern, urbaner werden. Außerdem müssen wir auch über Wohnungsgrundrisse nachdenken, nun, wo überall von Homeoffice geredet wird. Manche Arbeitgeber reiben sich schon die Hände und denken, sie können künftig Bürofläche sparen. Sie sparen diese aber auf Kosten von Leuten, die in zu engen Wohnungen am Küchentisch ihr „Büro“ aufschlagen. Das kann es nicht sein. Darüber wird man also auch nachdenken müssen: Wie elastisch sind die Wohnungsgrundrisse eigentlich?

Frau Bohle, wie sind Ihre Vorstellungen für die nähere Zukunft?

Bohle: Meine Vorstellungen für die nähere Zukunft sehen nicht anders als vor anderthalb Jahren aus. Wie resilient sind unsere Städte, wie stellen wir uns logistisch, ökonomisch und – das ist mir immer sehr wichtig – sozial in diesen Städten auf? Diese Fragen sind heute noch dringender geworden. Dabei müssen wir Dichte und eine klimagerechte, nachhaltige Stadt miteinander in Einklang bringen. Diese Herausforderung müssen Planer, Architekten und Ingenieure angehen. Abgesehen davon bin ich, bei allem Hang zum Digitalen, schon eine Freundin des Analogen. Wer Architektur liebt, braucht dieses haptische Element. Alles Vorstellungsvermögen dieser Welt und der Austausch über Pläne, die uns von Hochleistungscomputern entgegenstrahlen, werden das nicht ersetzen können. Ich persönlich wünsche mir, dass wir uns so bald wie möglich wieder in der analogen Welt begegnen können – und dass dieses Analoge etwas ist, mit dem wir zukunftsfähig sind.


Das komplette Gespräch als Video-Mitschnitt unter DABonline.de/live-talks/bak

Mehr Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Kreativ durch die Krise

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