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Das Ideal: Frei nach Tucholsky

29.09.20203 Min. Kommentar schreiben

Zwar haben sich die Objekte der Begierde verändert, aber Luft und Liebe allein genügten zum Glücklichsein auch 1927 nicht, als Kurt Tucholsky „Das Ideal“ (mit der bekannten Zeile „vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“) verfasste. 2020 haben Architekturstudierende der Fachhochschule Erfurt im zweiten Bachelor-Semester (Fach Digitale Darstellungsmethoden und Computergestütztes Entwerfen) heutige Ansprüche mit Neufassungen des Gedichts und Collagen kritisch hinterfragt.

Chatverlauf
Nikita Kriwoj, Architekturstudent, FH Erfurt

Ja, ich will das
und zwar sehr!!
… und was?

Ein Haus in meiner Heimatstadt,
die Stadt, wo ich mein Kindheit verbracht habe
und wo ich aufgewachsen bin.

Ein altes Haus mit zwei Türen,
eine, die zum Haus führt
und eine Andere, die sich zum Hof öffnet.

Ein Haus, das seinen Blick und seine Merkmale aus der alten Zivilisation
verliert.
Oder ihn verändert? Den Fokus neu setzt?

Antike und schäbige Möbel,
Gemälde mit orientalischen Zügen,
die mit scharfäugigen Blick bei Kerzenschein sich zu bewegen drohen.
Das kleine Feuer ist meine Nachtbeleuchtung.

In einer Atmosphäre voller Luxus zu leben ist kein Vergnügen.
Ein paar Tauben sitzen im Hinterhof.
Dort stehen antike Holzstühle
oder eher von meinem Opa entworfene Sitzgelegenheiten.

Himmel und Atmosphäre über mir
frei von Schießpulvergeruch und Explosionsgeräuschen.

In der Nacht hätte ich gerne eine Zigarette geraucht und Sie,
die mit orientalischen Gesichtszügen,
mit langen Haaren und schwarzer Augenfarbe geküsst.

Ich würde gerne heute Abend auf dem Dach der Terrasse übernachten.
Mit einer Tasse schwarzem Ceylon-Tee möchte ich den Himmel beobachten.

Ein ringendes altes Telefon,
Radio mit Musik aus den 90ern.
Diskotanz im Orient.

Im Wohnzimmer sollte es einen von Le Courbusier entworfenen Tisch geben.
Der, auf dem meine Skizzen, meine modernen Zeichnungen,
Gedichte und Ideen, neben einer Kerze liegen.

An den Wänden des Hauses hängen Gemälde von Da Vinci.
In der Garage steht ein Auto, das ich entworfen habe.

Das ist, was ich will und nicht viel mehr

Ali Ahmed, Architekturstudent, FH Erfurt


Collage Wohngebiet in der Landschaft

Ja, das möchste:
Einfamilienhaus auf großem Grundstück,
vorn die Hecke, hinten Garten;
schöne Aussicht auf Bürokraten.
Vom Badezimmer Blick auf den Hybrid –
sehr stolz, für die Umwelt Dynamit.

Das Ganze nachhaltig, total modern:
Neubau statt Sanierung im Kern.
Rasenfläche mit Plastikrutsche,
Carport, Pool und Einheitsbrei,
die Nachbarschaft ist auch so frei,
ruft um zehn die Polizei.
Am Wochenende Straße kehren,
den Nachbarn keinen Blick gewähren.

Unterm Dach: zwei Kompakte und ein Flitzer.
Sonntags nach dem Waschen blitzt er.
Rasenhöhe auf akkurate Maße,
der Mäher mäht selbst in voller Ekstase.

Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Auf der getrimmten Wiese,
unter der Markise,
dort befindet sich der Stolz des Hauses:
der Grill, den jeder Mann will.
Brennen kann in diesem Garten nichts.
Das Haus umrahmt von feinstem Kies.
Insekten findens ziemlich mies.

Ja, das möchste!

Max Pfaffelhuber, Architekturstudent, FH Erfurt

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Ideal.

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