Anno 1894 hatte ein Künstler im Auftrag der Eigentümerin eines Berliner Wohnhauses ein Freskogemälde „Felseneiland mit Sirenen“ im Treppenflur gemalt. Ohne Zustimmung des Künstlers ließ sie das Bild später jedoch so übermalen, dass die ursprünglich nackten Sirenen bekleidet erschienen – es war schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Einigungsversuch zwischen den entrüsteten Parteien – der Künstler ärgerte sich über den ungenehmigten Eingriff in sein Werk, die Eigentümerin ärgerte sich über ein Mitspracherecht an ihrem Bild – scheiterte.
8. Juni 1912: Geburtsstunde des künstlerischen Urheberrechts
Nach jahrelangem Rechtsstreit entschied das Reichsgericht am 8. Juni 1912 in letzter Instanz, dass bei einer derart wesentlichen ungenehmigten Änderung eines urheberrechtlich geschützten Werkes das Änderungsinteresse der Sacheigentümerin (Eigentümerin des Bildes) gegenüber dem Erhaltungsinteresse des geistigen Eigentümers (Künstler als Urheber) abzuwägen sei. In diesem Fall fiel die Abwägung zugunsten des Künstlers aus: Die Übermalung musste wieder entfernt werden, da nicht sichergestellt werden konnte, dass nicht auch Dritte das entstellte Bild sähen und fälschlicherweise dem Künstler zuordnen könnten.
Gerichte entscheiden meist zugunsten der Eigentümer
Bis heute ist diese Entscheidung maßgeblich für die Interessenabwägung auch zwischen Bauwerkseigentümern und Planenden bei Änderungen an urheberrechtlich geschützten Bauten. Allerdings fällt die Mehrzahl der jeweils vom Gericht durchgeführten Interessenabwägungen zugunsten der Bauwerkseigentümer aus, denn das wirtschaftliche Interesse an Um- und Anbauten zur Weiternutzung des Gebäudes wird regelmäßig als vorrangig vor dem Interesse der Planenden gewertet, den ursprünglichen Entwurf unverändert erkennbar zu lassen.
Es wird häufiger Streit um Urheberrecht an Gebäuden geben
Dennoch sind die Justizministerinnen und Justizminister der Bundesländer der Auffassung, dass das stark ausgestaltete Urheberrecht von Architektinnen und Architekten im Zusammenhang mit Umbauten in der Praxis häufig zu tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten führe, die notwendige Maßnahmen unter Umständen erheblich verzögern oder vereiteln können. Zwar erreichen nur wenige Bauwerke die erforderliche Gestaltungshöhe, um als Werk im Sinne des Urhebergesetzes anerkannt zu werden. Allerdings werden Urheberrechtskonflikte angesichts der auch von der Bundesarchitektenkammer geforderten Umbaukultur zur Ressourcenschonung sicherlich zunehmen, womit schon allein die Androhung eines Urheberrechtsstreites zu Verzögerungen führen kann.
Urheberrecht soll beschränkt werden
Überraschend ist aber die Konsequenz, die die Ministerinnen und Minister Ende 2020 aus ihrer Erkenntnis ziehen, nämlich nicht die seit Jahren etablierten außergerichtlichen Lösungswege in der urheberrechtlichen Interessenabwägung zu stärken, sondern offenbar das Urheberrecht zu beschränken, was nach ihrer Auffassung „zu mehr Rechtssicherheit für Eigentümer, Bauherren und Nutzer führen soll“.
Natürlich sind wir im intensiven Austausch mit den politisch Verantwortlichen, denn hier müssen alle Alarmglocken läuten. Die Gestaltungskraft in der Architektur durch eine Aushöhlung des Urheberrechtes zu entwerten, schadet nicht nur dem Berufsstand, sondern langfristig vor allem den Auftraggebern sowie der Gesellschaft, die einen Anspruch auf höchste Qualität der gebauten und geplanten Umwelt hat.
Vielmehr muss es darum gehen, mögliche Konflikte im Urheberrecht schon bei den allerersten Planungsüberlegungen zu erkennen, aktiv auf die Urheberinnen und Urheber zuzugehen und gemeinsam zeit- und kostensparende Lösungen zu erarbeiten. Der Vorstoß der Politik birgt die Gefahr, potenzielle Konflikte weiter anzuheizen; der richtige Weg wäre es aber, diese beizulegen, bevor sie entstehen.
Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer
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