Von Christoph Gunßer
Manche Planer tun sich immer noch schwer damit, dass Menschen keine Ameisen sind, könnte man provokant sagen. Wohnanlagen und Termitenhügel gilt es auseinanderzuhalten, auch wenn die vermeintliche Effizienz verlockend ist. Stadt, zumindest die „europäische“, entsteht so nicht – darüber gab es seit den Exzessen des Bauwirtschaftsfunktionalismus einen breiten Konsens. Aus Wien kommt trotzdem ein neuer, lesenswerter Vorstoß.
Urbanes Eigenheim im Grünen
Der große Druck auf dem Wohnungsmarkt ruft seit einiger Zeit die Geister der Spätmoderne wieder auf den Plan: Präfabrikation und Massierung werden gefordert. Wahr ist: Nicht alle „Betonsilos“ der Sechziger und Siebziger waren schlecht, manche sind – zumindest bei der Bewohnerschaft – beliebt oder genießen bei Architekturfans Kultstatus. Ausgefeilte Grundrisse und ein privater, durch die Staffelung und Begrünung blickgeschützter Freiraum (im Gegensatz zu den heutigen exponierten Balkonen) – es gibt genügend Vorzüge der Terrassenbauweise.
Großprojekte bergen Risiken
Stadtraum, wie ihn die pluralistische Gesellschaft seither kultiviert hat, sieht indes anders aus, und auch die Immobilienwirtschaft hat ihren Frieden mit den gängigen Niedergeschossern gemacht. Mögen die Skaleneffekte (mehr=billiger) es auch nahelegen – Großprojekte, das hat man vor knapp fünfzig Jahren eingesehen, bergen große Risiken, wirtschaftliche, aber vor allem soziale und ästhetische.
Alterlaa: für Bewohner ein Erfolg, für die Stadt nicht
Der Wiener Hochbauprofessor Gerhard Steixner untersucht mit seinen Studierenden dennoch diese abgebrochene Tradition der Großwohnkomplexe. Speziell Terrassenhäuser haben in seiner Stadt durch den Architekten Harry Glück einen guten Ruf errungen, bieten sie doch „Luxus für alle“, wie es im Titel heißt, nämlich viel Grün und Gemeinschaftseinrichtungen, wie den schon berühmten Schwimmbädern auf dem Dach, für die drum zufriedene Bewohnerschaft. Stadträumlich ist der Wohnpark Alterlaa dennoch ein recht zugiges, anonymes Hochhausviertel, wo jede und jeder sich in seinen (tatsächlich inzwischen üppig begrünten) Bau verzieht.
Harry Glück über menschliche Grundbedürfnisse
Die Autoren lassen Harry Glück gleich zu Beginn ausführlich zu Wort kommen (das Buch wurde von einer Nachfahrin des 2016 Verstorbenen finanziell unterstützt). Viel ist da von Biologie und angeblichen menschlichen Grundbedürfnissen beim Wohnen die Rede. Wie Glück plädieren die Autoren in der Folge für „ein neues Verständnis von Urbanität“ und lehnen den „spekulativen“ Wohnungsbau des „Historismus“ ab.
Gute Recherche, vergleichende Pläne, lesenswerte Haus-Porträts
In gut recherchierten und bebilderten Porträts stellen verschiedene Autoren die Meilensteine des europäischen Terrassenwohnbaus vor (in Asien gäbe es weit mehr davon). So wird etwa das Münchener Olympiadorf in seiner ambivalenten Entwicklung geschildert. Die Berliner Autobahn-Überbauung an der Schlangenbader Straße, unlängst unter Denkmalschutz gestellt, erfährt eine Würdigung, die zwar die heftige Ablehnung nicht verschweigt, aber das Wohngebirge dann doch als etwas zu „ökologisch“ rühmt. Zehn weitere Experimente der Siebziger werden, schlüssig typologisch sortiert, mit überwiegend positivem Fazit vorgestellt (die eher moderaten deutschen „Wohnhügel“, die alle unter der Hochhausgrenze blieben, fehlen).
Terrassenhäuser von innen entwickelt
So what?, fragt man sich. Waren wir nicht schon mal weiter? Sicher kann der Wohnwert in solchen Anlagen hoch sein. Sie wurden schließlich primär von innen entwickelt, wenn man von speziellen Lärmschutzbebauungen einmal absieht, die städtebaulich begründet waren. Doch dass die internen „Straßen“ kein Ersatz für Stadtraum sind, wurde doch längst erkannt.
Hermann Schröder, der den ersten Wohnhügel in Marl miterfand, verurteilte derlei Experimente später als „sozialräumlich falsch, weil sie nur von der Organisation der Wohnungen her entwickelt waren. Der Bezug zum öffentlichen Raum war nicht gegeben (…). Da entsteht kein Raum und keine Stadt. Man braucht eine Differenzierung von öffentlichen Räumen und privaten Räumen, braucht Zonungen, um einen Organismus entstehen zu lassen.” Wie monströs einige der Planungen waren, zeigt die sehr gute Aufbereitung der Pläne im Buch, die auch den angrenzenden Stadtraum zeigen, dessen Maßstab negiert, oftmals regelrecht gesprengt wird.
Renaissance der Terrassenhäuser?
Man könnte die neue Neigung zu Megastrukturen darum auch als Symptom des Rückzugs aus der Gesellschaft werten. Ihr Status als gebaute Utopien ist jedenfalls gründlich verflogen. Das mag man beklagen, wie die Autoren, oder mit etwas historischer Akribie verstehen.
Obwohl die Autoren des Lobes voll sind, sehen auch sie schließlich nur eine sehr zögerliche Renaissance des Terrassenwohnens. Und das liege nicht nur an den falschen Leitbildern. Planung und Bau solcher abgestuften Strukturen erforderten auch einen höheren Aufwand, konstatieren sie, was kommerzielle Bauträger oftmals abschrecke. Es gibt in den Terrassen eben keinen Standardgrundriss.
Megastrukturen sind auch keine Lösung
Dennoch ist das anschaulich gestaltete, mit vielen aktuellen Fotos und, wie gesagt, nützlich aufbereiteten Plänen illustrierte Buch gewiss ein fundierter, wertvoller Beitrag zur Debatte über den künftigen Wohnungs- und Städtebau. Es mag heute zwar einige Parallelen zu den frühen Sechzigern geben, als man Megastrukturen als das Mittel gegen die „große Landzerstörung“ propagierte, doch sei vor eiligen Schlüssen gewarnt.
Gerhard Steixner, Maria Welzig (Hg.)
Luxus für alle
Birkhäuser, 2020
460 Seiten, 39,95 Euro
Terrassenhäuser in Deutschland: erstmals deutschlandweite Übersicht
An der Bergischen Universität Wuppertal erarbeitet das Forschungsprojekt „Wohnen im Hügel“ (Lehr- und Forschungsgebiet Bauen mit Bestand und Baukonstruktion, Prof. Georg Giebeler, Dr. Uta Gelbke) erstmals eine deutschlandweite Projektsammlung zu Terrassenhäusern der 1960er und 70er Jahre. Die Gebäude werden kartiert, kategorisiert und dokumentiert. Hinzu kommt eine Bewohnerbefragung zu Wohnverhalten und Wohnzufriedenheit.
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