Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Zurück zu den Wurzeln“ im Deutschen Architektenblatt 11.2021 erschienen.
Am Ende des Textes finden Sie ein weiteres Wohnhaus sowie Links zu Fachartikeln von Franz Volhard und zu weiteren Beiträgen zum Thema Lehm auf DABonline.
Bis Anfang der 1990er-Jahre war Lehm aus dem Baustoff-Angebot hierzulande praktisch verschwunden. Erst die Pioniere des ökologischen Bauens entdeckten seine Vorteile wieder und trieben die Entwicklung zu einem zeitgemäßen Baustoff voran. Es galt vor allem, industriell vorgefertigte Produkte auf den Markt zu bringen, die Technologien der Verarbeitung heutigen Methoden anzupassen sowie Normen zu etablieren. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Heute wird Deutschland im europäischen Raum sogar eine führende Rolle beim Bauen mit Lehm zugesprochen, es gibt sechs neue DIN-Normen, die Lehmbau-Regeln sind bauaufsichtlich eingeführt und aus der Denkmalpflege ist Lehm längst ohnehin nicht mehr wegzudenken.
Lehmbau liegt im Trend
Nicht zuletzt deswegen und aufgrund der Nachhaltigkeitsdebatte ist die Verwendung von Lehmbaustoffen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Lehmputze haben es sogar in die Liga eines Trendsetters geschafft und die Hersteller klassischer Putze haben sie mittlerweile alle im Sortiment. Für Furore sorgte besonders auch die Sichtlehmarchitektur, der allen voran Martin Rauch zu einer besonderen ästhetischen Perfektion verhalf. Viele Architekten und Bauherrn spricht diese Sichtlehmarchitektur an, verkörpert sie doch einen reinen, unverfälschten Blick auf den Baustoff aus der Natur. Dass sich Lehm – wie zu Zeiten unserer Vorfahren – auch heute im zeitgemäßen Holzbau einsetzen lässt, ist dagegen weniger bekannt.
Pionier der Holz-Lehm-Bauweise
Einer, der die Holz-Lehm-Bauweise maßgeblich mit in die Moderne übertragen hat, ist Franz Volhard von Schauer + Volhard Architekten BDA aus Darmstadt. Sein Interesse wurde schon 1978 durch die Beschäftigung mit der Baubiologie geweckt. „Lehm wurde da als wunderbarer Baustoff beschrieben, obwohl es gar keine neueren realisierten Projekte gab.“ Nach der Lektüre aller damals verfügbaren Bücher schien ihm unter den darin beschriebenen Lehmbauweisen der Holz-Skelettbau mit nicht tragenden Ausfachungen aus Leichtlehm – ein Gemisch aus Lehm und Stroh für verbesserte Dämmeigenschaften – am praktikabelsten. Das erste Projekt konnte er dank eines interessierten Bauherrn schon 1980 realisieren. Anhand der vielen weiteren Projekte, die dem folgten, bestätigte sich: Die Qualität des Holzbaus kann in Verbindung mit Lehmbaustoffen bauphysikalisch und raumklimatisch verbessert und die Konstruktion vereinfacht werden.
Holzbau: zu viele Schichten im Wandaufbau
Doch statt mit Lehm werde der an sich umweltfreundliche Baustoff Holz in den modernen Konstruktionen mit leichten Dämmstoffen ergänzt, kritisiert Franz Volhard. Die dabei üblicherweise verwendete Steinwolle muss vor Feuchtekondensation geschützt werden. Zwar ist der Dämmstoff diffusionsfähig, im Vergleich zu pflanzlichen Faserstoffen oder Lehm aber kaum kapillar feuchteleitfähig und -ausgleichend. Der Feuchteschutz erfordert daher einen mehrschichtigen Wandaufbau mit Dampfbremse, die zur Luftdichtigkeit auf der Innenseite der Außenwand eine Installationsebene bedingt – beispielsweise um Steckdosen montieren zu können. Und nach außen hin ist eine Windsperre plus Lattung zur Aufnahme der Fassadenbekleidung notwendig.
Aufgrund der vielen Schichten entstehe eine komplizierte Außenwandkonstruktion, meint Volhard: „Es gibt natürlich auch Hightech-Bauweisen mit komplett vorgefertigten Außenwänden. Die sind aber auch teuer und jeder Kubikzentimeter des verwendeten Holzes muss getrocknet und in der Regel verleimt werden. Häufig kommen zudem kunstharzgebundene OSB-Platten als Flächenaussteifung zum Einsatz.“ Das ist für Franz Volhard eine weniger nachhaltige und umweltfreundliche Lösung.
Hohe Wärmedämmung dank kombinierter Naturprodukte
Doch kann allein mit Lehmbaustoffen auch die nach heutigen Maßstäben erforderliche Wärmedämmung von Außenwänden erzielt werden? „Bis Mitte der 1990er-Jahre ließen sich die energetischen Anforderungen noch mit einer 30 Zentimeter dicken Leichtlehm-Außenwand erreichen. Heute muss für die geforderten U-Werte zusätzlich ein Dämmstoff eingesetzt werden. Aufgrund der kapillaren Leitfähigkeit empfehlen sich Naturfaser- oder Zellulosedämmstoffe“, erläutert Volhard. Mit einem Wandaufbau aus innenliegender Zellulose-Einblasdämmung wie beim Haus „J“ in Darmstadt wurde ein U-Wert von 0,24 W/m²K erreicht. Bei diesem Projekt befindet sich der zwölf Zentimeter dicke Leichtlehm, wartungsarm verputzt, als Speichermasse auf der Außenseite, um den Wärmegewinn der Sonneneinstrahlung zu nutzen. Das ist aber nur eine von weiteren Möglichkeiten. Alternativ kann die Dämmung – zum Beispiel aus Holzfasern oder Schilfrohrplatten – auch auf der Außenseite liegen.
Lehmbau bringt Speichermasse ins Gebäude
Mehr Speichermasse ins Gebäude zu bringen, ist für Volhard ein wichtiger Punkt, denn beim Holzbau handelt es sich in der Regel um Leichtbauweisen. Dadurch heizen sich im Sommer die Gebäude schnell auf, was einen Sonnenschutz bedingt. Und im Winter können leichte Konstruktionen kaum die Wärme der einstrahlenden Sonnenenergie speichern. „Ein Massenspeicher wie Lehm ermöglicht dagegen einen thermischen Ausgleich zu jeder Jahreszeit, weshalb solche Gebäude auch mit wenig Technikeinsatz im Sommer kühl und im Winter warm bleiben“, erläutert Volhard. Einen Sonnenschutz hat er bei keinem seiner Projekte einsetzen müssen. Dafür wird die Nachtkühle bis in den Tag hinein gespeichert.
Besonders Leichtlehm-Baustoffe mittlerer Rohdichte haben ein ausgewogenes Verhältnis von Dämmung und Speicherung. Außenbauteile werden in der Regel mit einer Dämmschicht aus Naturfaser oder Zellulose innen, außen oder als Kerndämmung ergänzt. Damit wird der erforderliche Wärmeschutz mit schlanken und einfachen Holzskelettbau-Konstruktionen und ein robuster Feuchteschutz ohne Dampfbremsen erreicht.
Mineralwolle und Gipskarton durch Lehmbaustoffe ersetzen
Für den thermischen Ausgleich ist vor allem viel Speichermasse innerhalb des Gebäudes wichtig. Auch hier lässt sich die typische Mineralwolle in den Innenwänden leicht durch Lehmbaustoffe ersetzen. Als einfachste und kostengünstigste Variante bietet sich die Ausfachung des Rahmenwerks mit Lehmsteinen in der Ausführung als Trockenmauerwerk an. Statt Gipskarton als Bekleidung können Lehmbauplatten für den Innenausbau verwendet werden. Unter den am Markt verfügbaren Produkten werden auch solche mit integrierten Rohrregistern zur Wand- oder Deckenheizung angeboten.
Lehm auch in den Decken
Viel Speichermasse lässt sich vor allem auch in die Decken einbringen. „Die einfachste Ausführung orientiert sich dabei an der Konstruktion alter Holzbalkendecken: Auf eine zwischen die Balken eingeschobene Holzschalung werden Lehmsteine verlegt“, erklärt Volhard. So kann mit Gewicht und Masse auch der Schallschutz leichter Holzbauten verbessert werden. Die Schalllängsleitung wird gedämpft, indem mit Lehm gefüllte oder bekleidete Holzbauteile daran gehindert werden, in Schwingung zu geraten. Die relative Weichheit von Lehm gegenüber Hartbaustoffen ist hier der besondere Vorteil. Schwingungen können nicht weitergeleitet werden, sondern werden im Material absorbiert.
Lehm im mehrgeschossigen Holzbau?
Doch wie realistisch ist es überhaupt, Lehmbauprodukte im mehrgeschossigen Holzbau einzusetzen? „Ich sehe da große Chancen, die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Lehmbau sowohl im Wohnungsbau als auch im Gewerbebau umzusetzen. Die Bauprinzipien, die wir bei ein- und zweigeschossigen Gebäuden angewendet haben, gelten ja geschossübergreifend“, sagt Volhard. Architekten müssten sich natürlich mit dem Einsatz im Holzbau vertraut machen. Neben dem Angebot an Fachliteratur unterstützen der Dachverband Lehm und die Hersteller mit Beratungen und Informationsveranstaltungen, Letztere inzwischen auch online. Über die Website des Verbandes gelangt man zudem an die Adressen ausführender Firmen.
Lehmbau und Brandschutz
Im modernen Holzbau ist immer wieder der Brandschutz ein Thema. Obwohl in den letzten Jahren auch aufgrund der mittlerweile langjährigen Erfahrungen die Genehmigungsverfahren vereinfacht wurden, bleibt die Erfüllung der Auflagen aufwendig. Lehm ist nicht brennbar und kann daher brandschützende Funktionen im Holzbau übernehmen. Bekleidungen in Form von Platten und Putzen haben mindestens feuerhemmende Eigenschaften. Leider lässt die aktuelle Brandschutznormung Wünsche offen, denn bis heute sind Lehmbaustoffe nicht klassifiziert. Da nur einige Hersteller ihre Produkte haben prüfen lassen, ist der Brandschutz beim mehrgeschossigen Holzbau im Einzelfall nachzuweisen.
Keine Auswirkung auf Bauzeit und Baukosten
Durch Rationalisierung, Einsatz von Baumaschinen, Vorfertigung und Fertigprodukte muss das Bauen mit Lehmprodukten nicht teurer sein. Schauer + Volhard Architekten belegen anhand ihrer Projekte sogar in etwa eine Kostenneutralität. „Das Haus J in Darmstadt haben wir mit normalen Baukosten abgerechnet. Es wurde beim BKI veröffentlicht und beim Callwey Verlag in die Reihe der preisgünstigen Einfamilienhäuser aufgenommen“, bestätigt Volhard. Und da die Verarbeitung der Lehmbauprodukte denen herkömmlicher Baustoffe angepasst ist, ist auch keine längere Bauzeit zu befürchten. An Lehmbaustoffen interessierte Bauherren und Architekten müssen im mehrgeschossigen Holzbau auch nicht gleich alle konventionellen Baustoffe ersetzen. Für einen Start in Richtung „Zurück in die Zukunft“ genügt es, sich mit einem Bauteil im Gebäude detaillierter auseinanderzusetzen.
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Schauer + Volhard Architekten sanierten den Altbau und ergänzten ihn durch einen Neubau in Holz-Lehm-Bauweise. (Klicken für mehr Bilder)
Denkmalgerechte Fachwerkhaussanierung und Neubau in Mörfelden (1998), Schauer + Volhard Architekten , Darmstadt
- Aufbau Außenwand von innen nach außen: 5 mm Faserputz auf Lehmplatte, Vorsatzschale aus gestapelten Lehmsteinen (DF 1.800 kg/m3), mit Zellulose gedämmte Holzrahmenelemente, Fassade mit Holz bekleidet bzw. im Sockelbereich verputzte Putzträgerplatten
- U-Wert der Außenwand: 0,25 W/m2K
- Aufbau Innenwand: Holzständer mit Lehmsteinen NF 1.800 kg/m3 trocken ausgestapelt, beidseitig Lehmplattenbekleidung, 5 mm Kalkputz
- Schalldämmende Decke: Dielen bzw. im Bad Fliesen auf Trockenestrich, Trittschalldämmung, Schalung OSB, Holzbalkenlage mit schwerem Einschub aus Lehmsteinen NF 1.800 kg/m3, federnd abgehängte Lehmplattenbekleidung, 5 mm Lehmputz, Kalkanstrich
- Dach: Lehmplattenbekleidung mit 5 mm Lehmputz und Kalkanstrich, Zwischensparrendämmung mit Zellulose
Lehmbau-Literatur von Franz Volhard
- Holzbau sucht Masse – Mit Lehmbaustoffen die Qualität des Holzbaus verbessern, aus Lehm 2020, als PDF
- Lehm – der unterschätzte Superbaustoff, Teile 1 bis 3, aus: baubiologie-magazin 2021, als PDF
- Bauen mit Leichtlehm. Handbuch für das Bauen mit Holz und Lehm, 9., aktualisierte Auflage, Birkhäuser 2021, 49,95 Euro
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Ein spannender Bericht, ich freue mich immer, wenn mehr und mehr ökologisch gebaut wird. Die heutigen Produkte sind sehr marktgängig und preislich nah an den industriell hergestellten Baumaterialien. Aber eine kleine Kritik habe ich dennoch, warum sollten Planer sich nur mit einem Teil des Bauprozesses der ökologischen Variante auseinander setzen?
Wir haben damals angefangen Bio Karotten zu essen, der Rest war konventionell… nach kurzer Zeit kam die Frage auf, was bringen die drei Karotten? Also stellten wir komplett um, ebenso in der Planung. Wir planen rein ökologisch, das kann man alles direkt machen.
Umso schneller die Erfahrung mit den Baustoffen und der Bauwende.
Mit freundlichen Grüßen
Björn Heemann