Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Räume umgestalten“ im Deutschen Architektenblatt 12.2021 erschienen.
Von Christina Gräwe
Wenn sich die Nutzung in Gebäuden intensiviert oder sich Anforderungen ändern, ist das kein Grund, den gesamten Bau infrage zu stellen und vorschnell Erweiterungen zu planen. Oft sind es die kleinen, dafür umso durchdachteren Eingriffe, die dem Bestand neues Leben einhauchen und ungeahnte Qualitäten aus ihm hervorlocken. So geschehen in einer Grundschule in Meerbusch (Nordrhein-Westfalen) und einem Gerichtsgebäude in Mosbach (Baden-Württemberg), wo die Hülle jeweils nahezu unangetastet blieb und die Konzentration auf der Innenraumgestaltung lag.
Adam-Riese-Schule Meerbusch
Beginnend ab 2026, soll es schrittweise bis 2029 für alle Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung geben. Das Nachmittagsangebot beruht zwar auf Freiwilligkeit, aber dort, wo es bereits heute existiert, wird es gern genutzt. Der Bedarf ist also da, und er wird zunehmen. Kommunen und Schulträger sind daher gut beraten, sich frühzeitig Gedanken zu machen, denn die Räumlichkeiten müssen den veränderten Bedingungen angepasst werden. Für ein alle zufriedenstellendes Ergebnis empfiehlt es sich zudem, Experten mit ins Boot zu holen.
Im Fall der Adam-Riese-Schule in Meerbusch waren es die Innenarchitektinnen von null2elf aus Düsseldorf. Sie brachten bereits Expertise im Schulbau mit, auch hatten sie bereits einen eigenen Leitfaden für verschiedene Umbau-Szenarien entwickelt.
Gespräche, Bedarfsanalyse, Visualisierung
Am Anfang jedes Projekts stehe die genaue Analyse der individuellen Situation, erläutert Barbara Eitner, eine der Büroinhaberinnen und zusammen mit Birte Riepenhausen für die Schule in Meerbusch verantwortlich. Denn: „Jede Schule, jedes Kollegium ist anders, auch die Budgets variieren.“ Das Fragenspektrum reicht von der Entscheidung, ob an- oder „nur“ umgebaut wird, über die genaue Betrachtung der Tagesabläufe bis hin zu einer Lösung, wo die Hausschuhe abgestellt werden können.
Wenn Bestand und Bedarf abgeglichen sind, was in intensiven Gesprächen mit den Bauherren, Schulleitungen und Teilen des Kollegiums geschieht, entwickeln die Innenarchitektinnen maßgeschneiderte Vorschläge. Ein wichtiges Instrument zu deren Vermittlung ist die Visualisierung, die auch 3-D-Rundgänge durch die zukünftigen Räume einschließt. „Die Beteiligten können sich so die spätere Situation am besten vorstellen.“ Erhalten die Ideen grünes Licht, folgt eine Bemusterungs-, unter Umständen auch Testphase einzelner Bauteile und Möbelstücke, ein weiterer Schritt in der Überzeugungsarbeit.
Multifunktionalität statt Neubau
Im konkreten Fall in Meerbusch setzten die Planerinnen statt eines teuren Ergänzungsbaus auf die Multifunktionalität der bestehenden Räume, also deren Umbau. Das betraf Teile des Flurs, um Garderobenflächen zu schaffen. Der Fokus aber lag auf den Klassenräumen. Die Lösung klingt bestechend einfach: Die erste Tageshälfte gehört dem Unterricht, der Nachmittag dem Chillen und Spielen, dazwischen schiebt sich die Hausaufgabenzeit. Drei Szenarien in einem Raum also. Den Kulissenwechsel auf der Schul-„Bühne“ reibungslos zu gestalten, erforderte jedoch ausgetüftelte Lösungen. Den Gesamtauftritt wünschten sich Eitner und Riepenhausen möglichst unaufgeregt – „Farbe und Lebendigkeit bringen die Kinder mit.“
Mobiles und eingebautes Mobiliar
Die Maßnahmen in der Adam-Riese-Schule lassen sich grob in zwei Gruppen bündeln: mobiles und eingebautes Mobiliar. Das bedeutet leichte und dennoch robuste Tische und Stühle; Letztere lassen sich mit verstellbaren Fußrasten an die unterschiedlichen Körpergrößen der Kinder anpassen. Entlang der Wände reihen sich Einbauten wie eine Küchenzeile, Flächen, an denen Dinge angepinnt und ausgestellt werden können, und Fächer für Lehr-, Bastel- und Spielmaterial. Eine wichtige Rolle spielen die unterschiedlichen „Horizonte“, also Erreichbarkeiten für Kinder und Erwachsene. Leitern als Hilfsmittel sind nämlich aus Sicherheitsgründen für alle verboten.
Arbeiten, Lesen, Toben, Entspannen
In der Übergangsphase zum Spielnachmittag vollzieht sich dann die erste Verwandlung: In Wandnischen integrierte Elemente mit Haussilhouette können herausgeschoben werden, dahinter tun sich Klapptische für Gruppenarbeit auf. Die tiefen Fensterlaibungen sind zugleich Sitznischen für bequemes Lesen. Und wenn es dann richtig gemütlich wird oder getobt werden darf, lassen sich die Tische und Stühle rasch beiseiteräumen, die Kuschelzonen in den fahrbaren Häuschen nutzen oder sogar Hängenester an Deckenhaken anbringen. Um leisere und lautere Beschäftigungen in einem Raum parallel stattfinden lassen zu können, gibt es (ebenfalls hausförmige) mobile Raumteiler, die zugleich als Magnet- und Tafelfläche dienen.
Verschiedene Lichtstimmungen
Sehr wichtig und, wie Barbara Eitner bedauert, noch oft vernachlässigt, ist ein Lichtkonzept, das den unterschiedlichen Situationen gerecht wird. Während des Unterrichts herrscht eine gleichmäßige, helle Beleuchtung, in den Nachmittagsstunden sind verschiedene, punktuell gedimmte Lichtstimmungen gefragt. Für gute Akustik sorgen Deckenpaneele aus Holzwerkstoff und weiche Flächen wie Matten an den Wänden.
Nachhaltige Materialien beim Innenausbau
Bis auf die Tische und Stühle entwarfen die Planerinnen das Mobiliar selbst. Alle Materialien suchten sie mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit aus. Die Adam-Riese-Schule hat Kautschukböden in den Klassenzimmern („Wir verwenden so wenig PVC wie möglich!“), die Stühle bestehen aus formverleimtem Holz, die Tische sind Metallgestelle mit beschichteten Platten. Die gepolsterten Flächen sind abwaschbar; es kam auch Filz zum Einsatz. Die rollbaren Elemente aus beschichteten Wabenplatten müssen so leicht sein, dass die Kinder sie bewegen können, dabei aber schwer genug, um standfest zu bleiben. Die Farbpalette ist zurückhaltend und freundlich: helles Grau, warme Holztöne und Gelb.
Nach zwei Jahren Ganztagsschulbetrieb in den neuen Räumen erhält Barbara Eitner immer noch positive Rückmeldungen. Und nicht nur das: Der Schulleiter hat ihr Büro bereits mehrfach weiterempfohlen.
Amts- und Landgericht Mosbach
Bei aller Unterschiedlichkeit – in Meerbusch die Pädagogik, in Mosbach die Gerichtsbarkeit, dort ein schlichter Backsteinbau, hier ein früheres Kloster aus dem 18. Jahrhundert –, auch für Dea Ecker und Robert Piotrowski vom Heidelberger Büro Ecker Architekten stand die gründliche Bestandsaufnahme am Anfang des Auftrags. Seit 1884 schon werden in dem zweigeschossigen Bau Urteile gesprochen; seit 2017 geschieht das in neu gestalteten und den gestiegenen Sicherheits- sowie Technikanforderungen angepassten Räumen.
Wegeführung verbessert
Der Denkmalschutz, zahlreiche Umbauten und eigenwillige Details machten die Aufgabe zu einer Herausforderung. Der Schwerpunkt der Umgestaltung lag auf dem Eingangsbereich und den Gerichtssälen. Aber auch die Wegeführung der Prozessbeteiligten wurde neu gedacht, um die mitunter ungemütlichen Begegnungen der Vergangenheit zwischen Angeklagten, Juristen, Zeugen und Publikum zu vermeiden. Eine auch außen ablesbare Maßnahme ist also eine elegante Stahltreppe, die Angeklagte aus der benachbarten Justizvollzugsanstalt vom Publikum getrennt in die Säle führt.
Autorität durch Innenarchitektur
Innen haben Ecker Architekten den ehemaligen Windfang in ein großzügiges Foyer verwandelt. Die Einrichtung aus maßgefertigtem Empfangstresen mit Trennscheibe aus Sicherheitsglas, Postfächern, Einbauschränken und Eichenboden strahlt Ruhe und Klarheit aus. Das gilt auch für die Gerichtssäle. Sie sind durch eine so einfache wie wirkungsvolle Maßnahme zweigeteilt: Die Rechtsprechenden sitzen leicht erhöht auf einem Podest; es bildet zusammen mit der Rückwand und Akustikelementen an der Decke eine Art hölzernes Einbaumöbel im Raum. Auch der Richtertisch ist aus Eichenholz; dahinter ragen würdevoll hohe rote Stuhllehnen auf. In die Rückwand sind beinahe unsichtbare Tapetentüren integriert, durch die die Richter eintreten. „Innenarchitektur hat auch immer damit zu tun, was man nicht sieht“, erläutert Bob Piotrowski.
Der Bereich für alle anderen Beteiligten unterscheidet sich deutlich durch eine weiße Decke und die recht nüchterne Möblierung; der Holzcharakter wird hier durch das Fischgrätparkett aufgegriffen. Hinter den Stuhlreihen setzen die resedagrüne Holzvertäfelung und die anthrazitfarbenen Akustikpaneele der Wand einen kraftvollen Akzent. Die Raumabschnitte werden durch die eigens von den Architekten entworfenen, wie umgedrehte Suppenteller in die Decke eingelassene Leuchten zusammengebunden; oberhalb der Richterbank sind sie grün gefasst.
Denkmalschutz gewährleistet
Die Säle strahlen Ruhe und Konzentration aus. Um die denkmalgeschützte, von außen öffentlich zugängliche Anlage ungestört zu lassen und dennoch innen die Diskretion zu wahren, wurden vor den Fenstern der gartenseitigen Säle Holzpaneele angebracht. Sie dienen als Blendschutz; hinter der Richterbank schimmert schemenhaft ihre Gitterstruktur hindurch. Um die Fenster putzen zu können oder an die Heizkörper zu gelangen, lassen sie sich öffnen.
Auch in Mosbach begleiteten intensive Gespräche das Projekt, hier mit dem Land Baden-Württemberg und den Nutzern. Letztere verantworten alles, was nicht fest mit dem Gebäude verbunden ist, also etwa die Möblierung. „Das kann zu eigenwilligen Diskussionen führen – denn die Autorität des Gerichts in der Gestaltung zu unterstreichen, steht immer im Mittelpunkt“, berichtet Dea Ecker. Offenkundig waren die Auseinandersetzungen fruchtbar – Ecker Architekten sind bereits für einen nächsten Bauabschnitt beauftragt.
Christina Gräwe ist freie Autorin und Publizistin in Berlin
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