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Besserer Hochwasserschutz und Wiederaufbau im Ahrtal

Lange glaubten wir, die Gestaltung ­unseres Lebensumfeldes läge allein in ­unseren Händen. Im Sommer 2021 ­wurden wir wieder einmal eines anderen belehrt, als der kleine Fluss Ahr ein ­gesamtes Tal verwüstete. Nun gilt es ­zunächst den ­Lebensraum wieder zu ­ertüchtigen und dann den Wandel in eine ­resiliente ­Zukunft zu gestalten

04.01.202211 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Überlebensraum“ im Deutschen Architektenblatt 01.2022 erschienen.

Von Juliane von Hagen

Mittlerweile sind Monate vergangen, seitdem die riesige Flutwelle das Ahrtal verwüstete. Teile der lebensnotwendigen Infrastruktur sind wiederhergestellt. Viele Menschen konnten in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren, aber Normalität ist noch lange nicht in Sicht. Noch immer zeugen die Spuren des Hochwassers davon, mit welcher Größe und Gewalt die Flutwelle durch das Tal donnerte. Die Wassermassen und der von ihnen mitgeführte Unrat, darunter Autos, Wohnwagen oder Container, haben Fenster zerdrückt, Erker beschädigt, Fassaden weggerissen und Fundamente unterspült.

Die Anwohner haben noch nicht richtig verstanden, geschweige denn verarbeitet, was passiert ist. Das beobachtet auch der Psychologe und Immobilieneigentümer Helmut von Hagen aus dem Ahrtal: „Viele der Menschen, die mittlerweile auf den Höhen der Eifel ein temporäres Zuhause gefunden haben, sind traumatisiert. Sie können kaum klar denken und entscheiden, ob und wie sie ihr Haus oder Geschäft wiederaufbauen sollen.“

Das Ahrtal gleicht einer Baustelle

Dennoch haben die Menschen mit großer Tatkraft, Tapferkeit und Unterstützung vieler Helfer bereits Hand angelegt. Wer konnte, hat seine überfluteten Räume von Einbauten, nassem Putz und Estrich befreit. Bei meinem Besuch im Ahrtal im späten Herbst 2021 glich das ganze Tal einer riesigen Baustelle. Zahlreiche Straßen, wenn nicht fortgeschwemmt, waren schadhaft und oft nur temporär befestigt. Auch die Gleise der Bahn waren auf vielen Kilometern völlig weggerissen.

Da überrascht, dass der Schienenverkehr bis nach Ahrweiler schon wieder funktioniert. Überraschend ist auch, dass noch einige der alten steinernen Brücken stehen. Dank ihrer stabilen, massiven Bauweise haben ihre winkeligen Pfeiler der verheerenden Flutwelle standgehalten. Sicherlich war es nicht die erste, der sie trotzten. Bereits 1804 und 1910 hatte die Ahr extreme Wassermengen geführt und große Schäden im Tal angerichtet.

Wegeverbindungen und öffentliche Räume fortgespült

Viele der zerstörten Brücken wurden temporär ersetzt. Der Moment, in dem in Bad Neuenahr eine stählerne Fußgängerbrücke regelrecht herbeigeschwebt kam, war atemberaubend. Als ein riesiger Kran die 30 Tonnen schwere Brücke über das breite Bett der Ahr wuchtete, applaudierten die Menschen. Diese Stahlkonstruktion brachte sie wieder zusammen. In vielen Orten waren die Brücken nicht nur Wege, sondern zentrale öffentliche Räume.

Was deren Verschwinden bedeutet, ist auch im kleinen Weinort Rech zu spüren. Von der alten Brücke ist nur ein Pfeiler verschwunden, aber mit ihm der dazugehörige Stadtraum. Dort, wo über Jahrhunderte der Eingang in die kleine Stadt war, wo ein wichtiger Freiraum der dicht bebauten Ortschaft lag, gähnt heute große Leere. In Bad Neuenahr verband eine alte steinerne Brücke die vom Einzelhandel geprägte Innenstadt mit dem grünen Kurviertel. Mit ihr fehlt ein wichtiger Begegnungs- und Verbindungsraum, genauso wie die dorthin führenden Uferwege. Alle sind von der Flut verschluckt.

Neues Flussbett zeugt von der Kraft des Wassers

Dieses Schicksal teilen viele Freiräume entlang der Ahr. Weggerissene Uferkanten und Promenaden, umgestürzte Bäume und ausradierte Parkanlagen, weggespülte Spielplätze und überflutete Friedhöfe zeigen, wie viel Raum wir dem Fluss genommen hatten. Auf vielen Kilometern ähnelt die Ahr heute einem Gebirgsbach. Das neue, durch die Flut gegrabene Flussbett erzählt von den riesigen Wassermassen, die hier wirkten und vielleicht auch wieder wirken werden. Das kleine Rinnsal, das sich heute seinen Weg durch den Kies sucht, täuscht darüber hinweg, wie viel Raum der Fluss bei extremen Wetterereignissen benötigt. Die Flutwelle vom Sommer 2021 gehört zu den außergewöhnlichen Ereignissen.

Planung muss auf Extremwetter reagieren

Doch es wäre verantwortungslos, solche Extreme nicht als wiederkehrende Phänomene anzuerkennen. Es ist an der Zeit, sie in der Architektur, in der Stadt- und Freiraumplanung, in der Infrastruktur und Wasserwirtschaft sowie der Land- und Forstwirtschaft disziplinenübergreifend zu thematisieren. Dabei geht es nicht nur um schützende Ufermauern oder aufgeständerte Gebäude. Vielmehr sind alle, die Städte und Landschaften gestalten, dazu aufgerufen, auf den Klimawandel und dessen Extremwetterereignisse zu reagieren und an einem „Schwammtal“ zu arbeiten.

Erste Hilfe aus der ­Architektenschaft

Doch zunächst ist Erste Hilfe vonnöten. Bereits kurz nach der Flut haben unter anderen die Architektenkammern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen reagiert und Hilfestellung angeboten. Über eine Hochwasserhotline können Mitglieder in NRW Rat zu wirtschaftlichen Fragen und den Sofort-Hilfe-Angeboten des Landes bekommen oder ihrerseits Hilfe anbieten. Die Kammer leitete auch eine Liste anerkannter Sachverständiger an das zuständige Ministerium weiter und entwickelte auf dessen Anfrage ein Formular zur Abrechnung von Gutachter-Leistungen. Eigene Bereiche auf den Internetseiten bündeln kontinuierlich aktuelle Informationen. Dabei geht es nicht nur darum, die Kollegen zu ertüchtigen, den Menschen in den Flutgebieten mit Wissen und Sachverstand zur Seite zu stehen. Die Architektenkammer half auch betroffenen Architekturbüros, ihr verloren gegangenes Büroequipment zu ersetzen oder temporär neue Räumlichkeiten zu finden.

Leider ist akute Hilfe auch Monate nach der Flut noch immer nötig. So hat die Architektenkammer Rheinland-Pfalz im Oktober 25 neue Anlaufstellen im Flutgebiet eingerichtet. Unter dem Namen „Aufbauhilfe RLP“ bieten sie kostenfreie Hilfe, Informationen und Beratung. Dort können Betroffene eine baufachliche Erstberatung für Schäden an ihren Gebäuden bekommen. Kostenfrei und unverbindlich beantworten Architekten und Architektinnen allgemeine und individuelle Fragen zu Sanierungen, sie informieren darüber, wann Baugenehmigungen notwendig sind, oder geben Auskunft über hochwasserangepasstes Bauen.

Wissen zum Hochwasserschutz ist da

Die Angebote der Architektenkammern sind insofern wertvoll, als dass sie aktuelles und relevantes Wissen auch für Laien verständlich und übersichtlich darstellen. Denn an Fachwissen, an Ideen und Empfehlungen, an Projekten und Erfahrungen im Umgang mit wiederkehrenden Hochwassern fehlt es in Deutschland nicht. So hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bereits 2010 eine Hochwasserschutzfibel herausgegeben. Zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu Hochwasser, zu Starkregen und deren Einfluss auf Gebäude und Infrastruktur folgten. Zuletzt hat das Leibniz-Institut für ökologische Raum­entwicklung im Herbst 2021 ein Online-Informationstool präsentiert, das hilft, Risiken für Hochwasserschäden an Gebäuden zu erkennen und entsprechend zu minimieren.

Maßnahmenplan Ahrtal Braunsbach
Beispiel für das Ahrtal: In Braunsbach bei Schwäbisch Hall leitete ein Rahmenplan von Kühn Architekten und Stadtplaner den Wiederaufbau ein.

Vom Hochwasser der anderen lernen

Lohnend ist auch der Blick in Kommunen, die in der Vergangenheit von Hochwasser gepeinigt waren. So zum Beispiel das kleine Weesenstein in Sachsen, das 2002 durch eine Jahrhundertflut zerstört wurde. Dort sorgt ein Hochwasserschutzkonzept heute dafür, dass Mauern breiter sind und starker Regen oberhalb von Weesenstein in einem Rückhaltebecken gesammelt wird. Oder Regensburg, das als Vorreiter im Hochwasserschutz in Bayern gilt. Dort verwies der Landrat kürzlich bei der Einweihung einer Schutzmauer auf die Bedeutung umfassender Maßnahmen der Regenwasserrückhaltung im gesamten Flussraum.

Auch der kleine Ort Braunsbach nahe Schwäbisch Hall bietet lehrreiche Erfahrungen. Hier leitete ein städtebaulicher Rahmenplan den Wiederaufbau des Ortes an, der 2016 durch eine Sturzflut zerstört worden war. Heute sind unter anderem Felshänge mit Fängen geschützt, um das Herunterfallen von Gesteinsbrocken zu verhindern, die Bäche können mehr Wasser führen und Tunnel sind mit Kameras ausgestattet, um zu sehen, welcher Tunnel wann vollläuft. Ein Pavillon, der im Rahmen des Wiederaufbaus entstand und vielfältig genutzt wurde, erzählt heute als eines der am meisten besuchten Museen im Landkreis die Geschichte der Flut.

Wünsche und Pläne für das Ahrtal

An der Ahr fällt es vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme noch immer schwer, in eine fernere Zukunft zu blicken. Einen ersten Schritt machten zwei Zukunftskonferenzen der Landesregierung von Rheinland-Pfalz und dem Kreis Ahrweiler im Herbst 2021. Neben Impulsen von Fachleuten konnten Bürgerinnen und Bürger Ideen online einreichen. Hier kristallisierten sich wichtige Ansätze für ein zukunftsfähiges Ahrtal heraus. Die Aufgaben sind allerdings alles andere als klein. Sie reichen in den Bereichen Natur, Bauen und Hochwasserschutz vom Ruf nach pragmatischen und schnellen Lösungen und vereinfachten Vergaben bis zur Forderung, Bachläufe zukünftig frei zu halten und Überschwemmungsgebiete vorzuhalten.

Im Themenfeld Tourismus und Weinbau kamen Anregungen, die „Zerstörung positiv zu nutzen“ und ein Beachfeeling zu schaffen, Pop-up-Boulevards mit Läden und Gastronomie sowie bessere Fahrradwege einzurichten. Neben den Anregungen in den Bereichen Gesundheit und Wirtschaft kam es im Themenfeld Infrastruktur zum Ruf nach ÖPNV-Neuordnung, nach Versorgung mit klimaneutraler Energie und vor allem aber nach einem Masterplan für das gesamte Ahrtal. Ähnliches wird auch in anderen Kontexten geäußert; von einer „Modellregion für nachhaltige Entwicklung“ wird gesprochen.

Potenziale und Expertenwissen nutzen

Mit den Zukunftskonferenzen sind zwei wegweisende Schritte getan. Natürlich bräuchte es jetzt dringend Akteure oder Strukturen, die diese Anregungen aufnehmen und die Region auf ihrem langen Weg in die Zukunft begleiten. Dass die kleinen kommunalen Strukturen längs der Ahr damit allein personell überfordert sein dürften, bezweifelt keiner. Zudem sind sie noch immer mit akuten Aufgaben konfrontiert; genauso wie die Menschen vor Ort. Das bestätigt auch die Architektin Hildegard Schwaab, die im Ahrtal Betroffene berät: „Die meisten Menschen hier vor Ort haben tatsächlich so große andere Sorgen und sind einfach nur froh, wenn sie wieder ein Dach über dem Kopf haben und in ihren eigenen vier Wänden wohnen können.“ Trotzdem denkt sie, dass sich viele Menschen Gedanken darüber machen, wie ihre Orte später aussehen werden. „Vielen ist mittlerweile auch klar, es wird nicht so sein wie früher. Es wird große Veränderungen geben“, resümiert Schwaab.

Dennoch hofft auch sie, dass der Wiederaufbau von Architekten, Stadt- und Freiraumplanern gut begleitet wird. Vielleicht schaffen wir Expertinnen und Experten es, eine Art „Werkstatt für die Zukunft eines Schwammtals“ auf den Weg zu bringen: ein Format, in dem verschiedene Disziplinen mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten und bestehendes Wissen anwenden. So ließe sich über bürokratische Hürden hinweg demonstrieren, dass Innovationen realisierbar sind und das Ahrtal ein resilientes Tal werden kann.


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Planungshilfen gegen die Flut

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und die Bundesstiftung Baukultur haben in den letzten Jahren zahlreiche kostenlose Veröffentlichungen zum Thema Hochwasserschutz herausgegeben. Hier eine Auswahl der für Planende relevantesten.

Cover Broschüre HochwasserschutzBaulicher Hochwasserschutz

Die „Hochwasserschutzfibel“ des BBSR von 2019 hat ihren Schwerpunkt auf Objektschutz und baulicher Vorsorge an Flüssen und Küsten. Behandelt werden unter anderem wasserrechtliche Grundlagen, baukonstruktive Möglichkeiten, Beständigkeit von Baustoffen und der Schutz im Ernstfall. Praktisch sind die im Anhang zu findenden Checklisten für Vorsorgemaßnahmen und Notfallausrüstung.
Die Hochwasserschutzfibel gibt es als PDF zum kostenlosen Download


Cover Baukulturbericht 2016/17Architektur mit dem Wasser

Dass der Hochwasserschutz keinesfalls das Wasser ausschließen muss, sondern im Gegenteil sogar Menschen ans Wasser lockt, hat die Bundesstiftung Baukultur mit dem Baukulturbericht 2016/17 „Stadt und Land“ aufgezeigt. Darin ist am Beispiel Regensburgs zu sehen, wie mit Mitteln des Ingenieurbaus und der Landschaftsarchitektur Wiesen, Mauern und Treppen entstanden, die als Schutzmaßnahme und als attraktive Freiflächen funktionieren.
Den Baukulturbericht 2016/17 ist kostenlos, als PDF zum Download oder zur Bestellung in Druckform.


Cover Broschüre StarkregenStarkregen und Schwammstadt

Der BBSR-Leitfaden „Starkregen – Objektschutz und bauliche Vorsorge“ von 2019 richtet sich als „Bürgerbroschüre“ an Hausbesitzerinnen und Bauherren, ist aber auch für Planende interessant. Auf der Gebäudeebene werden die Einwirkungen auf verschiedene Baustoffe sowie meist technische Schutzmaßnahmen vorgestellt. Dazu kommen hilfreiche Checklisten.
Den Leitfaden zum Umgang mit Starkregen gibt es als PDF zum kostenlosen Download.

Cover Broschüre Starkregeneinflüsse

Detailreicher und zugleich weiter gefasst ist die Publikation „Starkregeneinflüsse auf die bauliche Infrastruktur“ (2022 in zweiter, erweiterter Auflage erschienen). Neben einem Planungsbeispiel und einer Kostenanalyse wird auch das Thema der Schwammstadt, also das Nutzen des öffentlichen Raums und privater Grundstücke zur Regenrückhaltung, thematisiert. Hier gehören auch Stadtplanerinnen und Bauverwaltungen zur Zielgruppe.
Die Publikation „Starkregeneinflüsse auf die bauliche Infrastruktur“ gibt es als PDF zum kostenlosen Download oder zur (ebenfalls kostenlosen) Bestellung in Druckform.


 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Verwandelt.

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