Nichts als Schachteln – mehr kam nicht heraus bei Testentwürfen für einen neuen Konzertsaal im Park der Musikakademie Villa Marteau, die Studierende der FH Coburg zunächst anfertigten. Doch wie sich herausstellte, war die Aufgabe falsch gestellt. Peter Haimerl, als Schöpfer des viel gelobten Konzerthauses im oberpfälzischen Blaibach hinzugezogen, kam im Rahmen seiner Machbarkeitsstudie zu dem Schluss, kein Gebäude dürfe überhaupt das historische Ensemble stören – und gewann damit den Bezirk Oberfranken als Bauherrn. Unterirdisch spielt nun die Musik: Nur ein sanfter Hügel und zwei metallene Portale künden auf der Südseite der Villa von der versenkten Baumasse.
Den imposanten Jugendstilbau in der rauen Abgeschiedenheit Oberfrankens hatte der Schweizer Architekt Hans Schwab 1912 für den deutsch-französischen Geiger und Komponisten Henri Marteau entworfen, der von hieraus halb Europa bereiste. Der berühmte Virtuose war mit Max Reger, Gustav Mahler, Antonín Dvořák, Béla Bartók, Edvard Grieg und vielen anderen befreundet, starb aber bereits 1934. Nach dem Tod seiner Witwe wurde das Refugium 1982 zur öffentlichen Bildungsstätte, an der sich junge Musiker zu etwa vierzig Meisterkursen jährlich treffen. Für die Abschlusskonzerte mit Publikum fehlte aber bislang der passende Rahmen. Der Weg zum neuen Konzertsaal führt nun durch den Keller des Altbaus, der um 60 Zentimeter tiefergelegt wurde.
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Anknüpfen an die alte Bergwerkstradition
Das Grenzland zu Thüringen, in dem Lichtenberg liegt, durchziehen seit Jahrhunderten alte Bergwerksstollen: Man gewann hier Kupfer, Flussspat und andere Mineralien. Ein paar Hundert Meter weiter war gar der Naturforscher Alexander von Humboldt tätig. Im höhlenhaften Neubau klingt denn auch dieser Genius Loci nach.
Ein enger, abfallender Gang führt vom Kellergeschoss hinab. Ist dieser „Stollen“ passiert, wirkt der mit 13 mal 13 Metern eigentlich intime Saal 4,50 Meter unterm Terrain doch gewaltig. Das triggert indes allein die schroffe Gestalt von Wand und Decke: An der betonierten Parallelogramm-Schachtel des Rohbaus hängen 33 spitzwinklige Tetraeder, deren grauer Granit eins wird mit der Ortbetonhülle. Nach Auskunft des Architekten ist das Raumgewitter Ergebnis zweier „Explosionen“, deren Trümmer danach an den Raumkanten kristallisiert sind. Das erinnert an seinen frühen Grazer Mentor Günther Domenig. Er selbst bestätigt auch den Verweis auf Kurt Schwitters‘ expressionistischen Merzbau von 1923. Bei aller Gefahr der parametrischen Überdosis solcherart generierter Bilder – hier entstand ein stimmiges Gesamtkunstwerk.
Akustisch wirksamer Granit
Selbstverständlich handelt es sich bei den Splittern nicht um massiven Granit, sondern um Stahlgestelle, die mit dünnen Platten desselben verkleidet wurden. Rau, hohl und zerklüftet, bilden sie akustisch optimale Resonanzkörper, die im Inneren zum Teil noch durch Tiefton-Absorber ergänzt werden. Doch die aus 330 bis zu 13 Meter langen, fragilen Einzelteilen bestehenden, bis zu neun Tonnen schweren Splitter aus dem Werk bei Passau herbeizuschaffen und präzise an der Betonkonstruktion zu verankern, das war ein Kraftakt sondergleichen. Ein Zehntelmillimeter soll die Toleranz beim Einbau betragen haben.
Peter Haimerl zählt zu den Pionieren des rechnergestützten Entwerfens und hat sowohl die komplexe Geometrie als auch die Akustik rein digital entwickelt. Nachdem er anfangs mit Sichtbeton ähnlich wie im Konzerthaus Blaibach experimentiert hatte, brachten ihn die geologischen Eigenarten der Region auf die Stein-Spur. Da der lokale Diabas, ein Ergussgestein, akustisch untauglich war, griff er auf Granit aus dem Bayerischen Wald zurück, mit dem er bereits Erfahrungen gesammelt hatte. Doch arbeitete man hier „gegen den Granit“, wie Haimerl sagt, denn der ist spröde und brüchig, schwierig zu handhaben. Nicht umsonst wird er vor allem in schweren Prunkbauten verwendet. Die hervorragend klare und warme Akustik rechtfertigt jedoch am Ende den enormen Aufwand. Die komplizierte Montage lässt sich im folgenden Video nachvollziehen. <<< Jump Mark: video >>>
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Licht betont die Granitsplitter
Auch wenn tragender Beton und vorgehängte Splitter sich optisch zu einem fast homogenen Ganzen verbinden, unterstreichen Lichtbänder in den Fugen deren strukturelle Trennung. Schmale LED-Leisten sorgen hier für stufenlos regelbares, indirektes Licht. Die Splitter lassen sich so gleichsam als schwebende Wolken wahrnehmen (die einzige mögliche Lichtfarbe ähnelt im Spektrum dem Tageslicht). Einzelne Downlights sind dazwischen direkt in die Betondecke eingelassen.
Drei frei unter der Decke hängende kleinere Splitterkörper bergen Strahler zur direkten Ausleuchtung der Bühne, die mit ihrem typischen Holzboden den Fokus im grauen Gehäuse bildet. Beiderseits der Bühne verteilen sich 88 Sitze in ansteigenden Reihen, eine einfache Art des „Weinberg“-Musters vieler moderner Konzerthäuser und sicher dem Werkstatt-Charakter des Hauses angemessen.
Tageslicht dringt nur durch einen Notausgang und eine kleine Dachluke herein, was klaustrophobisch Veranlagten klarmacht, dass die Höhle doch nah an der Oberfläche liegt. Nie wirkt die Konstruktion jedoch bedrückend oder düster. Intuitiv gelang es hier, den Geist des einstigen Hausherrn an der Schwelle zur musikalischen Moderne wachzurufen. Henri Marteau komponierte, ähnlich wie Reger mit seiner wuchernden Harmonik, überaus komplex und ist bis heute bei Interpreten gefürchtet.
Peter Haimerl baut aus Überzeugung
Bleibt noch zu erwähnen, dass die alte Villa mustergültig renoviert, intern um Kantine und Probenräume erweitert wurde und nun auch barrierefrei zugänglich ist. Gemessen an anderen Konzerthäusern der letzten Jahre, erscheinen die Baukosten von gut fünf Millionen Euro durchaus angemessen. Peter Haimerl ist Überzeugungstäter und Perfektionist. Er rechnet vor, dass sein Büro mit zwei Mitarbeitern sechs Jahre lang am Projekt gearbeitet hat, für gerade einmal 150.000 Euro Honorar. Da die öffentliche Bauherrenschaft unter Druck stand, habe man ihr vieles geschenkt, weil es sonst nicht gebaut worden wäre.
Selbst aus der niederbayerischen Provinz stammend, engagiert sich der visionäre Querkopf Haimerl vorwiegend im ländlichen Raum – „man will mich ja sonst nicht“. Also ergreift er Initiative gegen Abriss, Leerstand und Verfall und beharrt darauf, dass Architekten als letzte Generalisten sich auch politisch einmischen sollten. „Wir müssen ins Risiko gehen, Verantwortung übernehmen. Die Leute wünschen sich einzigartige Gestaltungen von Charakteren.“ In Lichtenberg ist ihm das wieder herausragend gelungen.
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