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Fehler bei der Vermessung: Mitverantwortung von Architekten?

Der Architekt darf sich auf die amtliche Vermessung verlassen – sagte das OLG München 2019. Aber gilt das generell für die Arbeit von Vermessungsingenieuren oder anderer Projektbeteiligter?

27.04.20227 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Bei der Vermessung vermessen“ im Deutschen Architektenblatt 05.2022 erschienen.

Von Bernd Weise

In dem oben zitierten Fall des Oberlandesgerichtes München (Urteil vom 27. Februar 2019, Az.: 13 U 1219/17) schloss ein Bauherr mit einem Architekten einen sogenannten Generalmanagementvertrag, der den Architekten verpflichtete, die notwendigen Planungsleistungen bis zur Erteilung der Baugenehmigung zu erbringen. Der Architekt plante und reichte eine entsprechende Genehmigungsplanung bei der Baubehörde ein.

Grundstück war 88 Zentimeter schmaler

Es stellte sich heraus, dass der geplante Baukörper über die Grundstücksgrenze hinausragte. Die Ursache lag in einer fehlerhaften amtlichen Vermessung. Das zu beplanende Grundstück war durch Zerlegung eines Grundstücks neu gebildet und in diesem Zuge neu vermessen worden. Als Ergebnis dieser Vermessung wurde eine Grundstücksbreite von 30,46 m ausgewiesen. Tatsächlich war das Grundstück allerdings nur 29,58 Meter breit, die amtliche Vermessung war fehlerhaft.

In dem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München war zu klären, wer die Mehrkosten der somit erforderlichen Überarbeitung der Genehmigungsplanung zu tragen hat. Dabei kam das OLG München zu dem Ergebnis, der Architekt habe sich auf die amtliche Vermessung verlassen dürfen, eine Pflichtverletzung des Architekten scheide aus und die Planung sei „nicht mangelhaft“.

In der Quintessenz ist das Urteil wohl richtig. Es lohnt sich aber, etwas genauer hinzuschauen. Als „Spoiler“ kann man vorwegnehmen: Die Planung ist ohne Frage mangelhaft, hier ist die Bewertung des Oberlandesgerichts als „nicht mangelhaft“ wohl nicht richtig. Richtig ist aber auch, dass der Architekt – in diesem konkreten Fall! – nicht haftet. Wie geht das zusammen und warum betonen wir den konkreten Fall?

Mangelhaftigkeit und Pflichtverletzung

Die Parteien streiten um Schadensersatz für die Kosten der Umplanung auf die richtige Grundstücksbreite. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich in solchen Konstellationen aus einem Zusammenspiel verschiedener Regelungen (§§ 633, 636, 280, 281, 283 und 311 a BGB). Vereinfacht gesagt, haftet der Architekt, wenn das Werk aufgrund einer eigenen Pflichtverletzung mangelhaft ist. Es müssen also zwei Voraussetzungen gegeben sein: Mangelhaftigkeit des Werkes und Pflichtverletzung des Architekten.

Beide Parameter sind für jede Leistungsphase separat zu betrachten und richten sich im Einzelnen nach dem konkreten Leistungssoll. Übergreifend lässt sich aber feststellen, dass der Architekt eine genehmigungsfähige Planung schuldet. Ist seine Planung nicht genehmigungsfähig, ist sein Werk mangelhaft im Sinne des § 633 BGB. Daran kann hier kein Zweifel bestehen. Die Planung des Architekten war nicht genehmigungsfähig, denn sie führte zu einer Grenzüberbauung (sie wäre nicht mehr mangelhaft, wenn der Nachbar der Überbauung zugestimmt hätte, aber um den Fall ging es hier nicht).

Dennoch haftet der Architekt in dem vorliegenden Fall wohl in der Tat nicht, da der Mangel nicht auf einer Pflichtverletzung des Architekten beruht. Nahezu jeder Schadensersatzanspruch nach dem deutschen Recht setzt ein Verschulden voraus. Liegt ein solches nicht vor, besteht keine Verpflichtung zum Schadensersatz. Dabei hat der Architekt nur in der Tendenz nicht für gegebene Umstände oder Leistungen von Sonderfachleuten einzustehen. Für gewisse Fehler haftet er durchaus und die Problematik liegt darin, dass jede Haftungssituation eine Einzelfallbetrachtung darstellt und die Rechtsprechung hier verhältnismäßig bunt gestreut ist.

Überprüfen der Vermessung ist ratsam

Während das OLG München in der Entscheidung, die Anlass für diesen Kurzaufsatz ist, dem Architekten so weit entgegenkommt, dass es sogar bereits einen Mangel des Architektenwerkes nicht annimmt, hat das Oberlandesgericht Köln in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 (Az.: 19 U 11/11) festgestellt, dass Architekten und Vermessungsingenieure gesamtschuldnerisch für einen Vermessungsfehler haften, wenn (auch) der Architekt seine Pflicht zur Überprüfung, ob die Vermessung nach zutreffenden Vorgaben erfolgte, schuldhaft verletzt.

Dabei stellte das OLG Köln unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Nürnberg fest, der Architekt sei, da die Einmessung Grundlage der weiteren Planung sei, grundsätzlich zur Überprüfung der Einmessung verpflichtet. Dabei habe der Architekt zu überprüfen, ob die Einmessung nach zutreffenden Vorgaben erfolgt sei. Dazu müsse der Architekt wiederum nachfragen, ob von zutreffenden Bezugsgrößen ausgegangen worden sei.

„Werner/Pastor: Der Bauprozess“, ein unter Juristen beliebtes Werk, stellt hierzu fest: „Wird z.B. der Statiker im Auftrag des Bauherrn tätig, so haftet der Architekt nicht für die Richtigkeit der statischen Berechnungen, weil er sich auf die Fachkenntnisse des Sonderfachmannes verlassen darf; statische Spezialkenntnisse werden von einem Architekten nicht erwartet. Nur dort, wo der Architekt die bautechnischen Fachkenntnisse (auch) haben muss (z.B. Anordnung und Ausbildung von Dehnungsfugen), wird ein ,Mitdenken‘ von dem Architekten erwartet werden können. Gehört die bautechnische Frage zum Wissensbereich eines Architekten, wird dieser sich im Einzelfall vergewissern müssen, ob der Sonderfachmann entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zutreffende bautechnische Vorgaben gemacht hat.“

Mitdenken wird erwartet

Meines Erachtens führt es entsprechend möglicherweise zu weit, allgemein festzustellen, der Architekt dürfe auf die Richtigkeit amtlicher Lagepläne vertrauen. In dem zugrunde liegenden Fall ergab sich eine Abweichung von nicht einmal einem Meter. Wie wäre der Fall indes zu beurteilen, wenn die Abweichung fünf Meter betragen hätte oder sich aus anderen Umständen augenscheinlich ergeben hätte, dass der amtliche Lageplan falsch ist?

Ob in einem solchen Fall ein anderes Oberlandesgericht oder der Bundesgerichtshof an einem allgemeinen Grundsatz festhält, dass auf die Richtigkeit amtlicher Lagepläne vertraut werden darf, kann sein – solange eine entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofes allerdings nicht vorliegt, sollte die Tätigkeit des Architekten aber vielleicht nicht auf dieser These aufbauen.

Kontrolle je nach Wichtigkeit

Das OLG Köln führte in der oben zitierten Entscheidung von 2012 aus, die dortigen beklagten Architekten hätten nicht vorgetragen, welche Maßnahmen sie ergriffen hätten, um die Einmessarbeiten des Beklagten zu kontrollieren. Das klingt ähnlich dem Maßstab der Haftung im Rahmen der Bauüberwachung. Dort sind, sehr vereinfacht formuliert, handwerkliche Selbstverständlichkeiten nur stichprobenartig zu überwachen, schwierige oder gefahrgeneigte Tätigkeiten oder solche, deren Richtigkeit bei fortschreitender Baustelle nicht mehr einsehbar ist, intensiver beziehungsweise zum richtigen Zeitpunkt.

Ein ähnlicher Maßstab dürfte auch bei der Frage nach der Haftung für Fehler in Plänen oder in Zuarbeiten anderer an der Planung Beteiligter gelten (siehe auch DAB 10.2021, „Haftung für Fehler von Fachplanern“).

Schlüssigkeitskontrolle auch bei der Fachplanung

Der Architekt tut also gut daran, zugearbeitete Planungen und zugrunde liegende Parameter zumindest einer groben Schlüssigkeitskontrolle zu unterziehen und dies – sehr wichtig für einen späteren Zivilprozess – zu dokumentieren. Greift der Architekt auf amtliche Lagepläne zu, kann zum Beispiel ein kurzer Eintrag im Bautagebuch erfolgen: „Es ergeben sich nach einer Sichtkontrolle vor Ort keine Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der amtlichen Vermessung.“ Ob eine Sichtkontrolle durchgeführt wird oder Fotos oder weitere Pläne vorliegen, die eine Schlüssigkeitskontrolle erlauben, sei dahingestellt. Es geht hier mehr um das System.

Dokumentation der Kontrolle nicht vergessen!

Wird die Planung eines Statikers zugrunde gelegt, kann, ausgehend von dem oben dargestellten Fall des OLG Köln, abgefragt werden, ob der Sonderfachmann entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zutreffende bautechnische Vorgaben gemacht hat. Dieser Vorgang wird wiederum im Bautagebuch dokumentiert. Auf diese Art kontrolliert der Architekt sich selbst und hat zugleich eine allzu oft fehlende Dokumentation seiner (an sich nicht zu beanstandenden) Tätigkeit in einem Zivilprozess.

Zusammenfassung des kleinsten gemeinsamen Nenners: Der Architekt darf die Richtigkeit amtlicher Planunterlagen unterstellen, er sollte die Augen vor offensichtlichen Fehlern aber auch im Zusammenhang mit amtlichen Plänen nicht verschließen. Eine grobe Prüfung auf Schlüssigkeit beziehungsweise Richtigkeit der zugrunde gelegten Parameter nebst Dokumentation dieser Prüfung ist unter Haftungsgesichtspunkten trotz der dankenswerten Rechtsprechung des OLG München empfehlenswert.

Bernd Weise ist Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Vergaberecht, Bau- und Architektenrecht sowie Miet- und WEG-Recht in Hannover

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