Im Bürohaus OWP12 von Drees & Sommer sind solare Wafers in die Glasfassade eingelassen. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Modulare Mehrwertmaschine“ im Deutschen Architektenblatt 05.2022 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Ein Unbehagen ergreift seit einiger Zeit die Architektenschaft: Überkomplex, übertechnisiert seien heutige Gebäude, dadurch atektonisch, störanfällig und am Ende der immer kürzeren Abschreibungsfristen vielfach nur noch Sondermüll. „Wir optimieren die Gebäudehülle, benötigen weniger Energie – und der Aufwand dafür steigt ständig“, sagt etwa der Vorarlberger Architekt Dietmar Eberle. „Wir haben immer mehr technische Systeme, die Abstimmung wird immer schwieriger. Die Energieersparnis wird durch Unterhalt und Wartung aufgefressen. Die Unzufriedenheit der Nutzer steigt.“ Eberle hat deshalb schon mehrere große Bürogebäude ganz ohne Heizung und Haustechnik realisiert, in denen dicke monolithische Wände für konstante Behaglichkeit sorgen.
Im Business der Büro-Investoren ist von solch radikalen Ansätzen bislang wenig angekommen. Zwar legt die Branche durchaus Wert auf die gängigen Eco-Zertifizierungen, doch einfacher ist dadurch bislang kaum ein Bau geworden und auch nicht architektonisch sinnfälliger. Eher im Gegenteil. Gerade im bislang boomenden Sektor der „Spec Offices“ (anonymer Büros für den freien Markt) haben Pandemie und Homeoffice aber möglicherweise Bremsspuren hinterlassen, die zu einer Neubewertung der üblichen Wirtschaftlichkeitskriterien führen könnten. Die gegenwärtige Energieknappheit baut hier gewiss weiter Druck auf. Im Ringen um eine neue Nachhaltigkeit lohnt darum ein Blick auf das aktuelle Demonstrationsprojekt eines einflussreichen Bauberatungsunternehmens.
Demonstrationsbau an der Stadtautobahn
Am Rande von Stuttgart hat Drees & Sommer in den letzten Jahren einen „Campus“ aufgebaut, in dem rund tausend seiner weltweit 4.000 Beschäftigten tätig sind. Eine letzte Lücke an der Stadtautobahn vis-à-vis vom Headquarter konnte die Firma nun mit einem vierstöckigen Riegel füllen, in dem die Kantine für den gesamten Campus, Konferenz- sowie Büroräume für 200 Mitarbeitende Platz finden.
Seit ihrer Gründung vor gut fünfzig Jahren setzt die Firma auf Effizienzsteigerung bei Planung und Bau, anfangs mit der Netzplantechnik, heute selbstverständlich mit BIM und anderen englischen Kürzeln wie LCM (Lean Construction Management) und C2C (Cradle to Cradle). Investoren versucht man mit der Erfüllung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) die Nachhaltigkeit am Bau nahezubringen. Erst unlängst übernahm Drees & Sommer mit dem EPEA-Forschungsinstitut den Pionier für Kreislaufwirtschaft.
Mit dem Ende des vergangenen Jahres fertiggestellten Neubau OWP12 will man „zahlreiche Zukunftstechnologien selbst erproben und vorleben, um sie in Zukunft auch für Kunden zu realisieren“. Die Architektur einschließlich Ausführungsplanung (Leistungsphasen 1–5) stammt vom Stuttgarter Büro SCD Architekten Ingenieure, ein Direktauftrag nach mehreren Konsultationen. Projektleiterin Martina Frech ist stolz auf die entstandene „Landmarke“ am westlichen Stadteingang.
Dünne Fassade mit viel Technik
Insbesondere die Integration der Photovoltaik in die Fassade entlang der Autobahn sei sehr gut gelungen, findet die Architektin. Strukturell unterscheidet die vor ein Ortbetonskelett gehängte serielle Fassade zwar wenig von gängiger Meterware (der schwäbische Hersteller bestückt Investorenprojekte weltweit), doch die Innovation steckt hier im Detail.
Ganze neun Zentimeter dünn sind die Module der thermischen Hülle – eine Kombination aus Vakuumisolationspaneelen (VIPs) und Platten aus Siliziumdioxid machen es möglich. Mit dem Aufbau der in die Profile integrierten, reflexfrei gestalteten Photovoltaik sind es immer noch nur 21 Zentimeter, was gerade in teuren städtischen Lagen ein erhebliches Plus an nutzbarer Geschossfläche mit sich bringt.
Zum Vergleich: Dietmar Eberles oben erwähnte Bauten haben bis zu 80 Zentimeter starke Wände. Dafür belegt im Drees-&-Sommer-Bau die nötige Technik das komplette Staffelgeschoss! Mehr Technik oder „Verfettung“ der Fassade, das scheinen momentan die Alternativen zu sein. Immerhin ist die Modulfassade komplett rückbaubar konzipiert. Die empfindlichen VIPs in ihrer Folienhülle halten angeblich 30 bis 50 Jahre.
Photovoltaik und Wärmepumpe
Um die Wärmelasten zu minimieren, hielten die Architektinnen und Architekten den Fensteranteil eher klein. So liefern die monokristallinen PV-Module an Süd- und Westfassade immerhin 40 Prozent des Solarertrages (jährlich 70 MWh), der Rest kommt vom Dach. Auch in die vollverglaste Partie der Mittelzone (hier liegen Erschließung und Konferenzbereiche) sind Solar-Wafers rasterförmig eingelassen, um Energie zu gewinnen und die Einstrahlung abzuschirmen. Zusätzlich speisen das hybride Energiekonzept Erdwärmesonden sowie (wegen zu geringer möglicher Tiefenbohrung) eine Luftwärmepumpe. Die gesamte Energieversorgung ist folglich strombasiert.
Deckensegel für Heizung und Kühlung
Für Heizung und Kühlung der Räume sorgen frei hängende „Segel“ unter den drei bis vier Meter hohen Decken. Die profanen dünnen Rechteckplatten verbergen das dichte Leitungsnetz darüber nur teilweise. Diese Werkstatt-Atmosphäre sei gewollt, merkt die Projektleiterin an. Hier mussten die Architekten ohnehin die Kompetenz an eine ganze Reihe von Fachplanern abgeben.
Allein das Ventil eines Heizsegels bietet einhundert Steuerungsmöglichkeiten – das OWP12 ist ein „Customized Smart Building“, das alle erdenklichen Parameter laufend kontrolliert. „Die Immobilie der Zukunft weiß alles und macht alles“, sagt der zuständige Ingenieur, doch sei noch längst nicht alles, was möglich ist, in der Praxis angekommen. Dem möchte man hier ein ganzes Stück näherkommen.
Smart und vernetzt: Räume buchen und reinigen
Die Vernetzung bezieht selbstverständlich die Menschen im Gebäude ein, die sich via Smartphone über diverse Funktionen informieren oder Räume oder Fahrzeuge buchen können. Künftig ließe sich auch das Wohlbefinden jedes Einzelnen über „Wearables“ – also Sensoren in der Kleidung – erfassen, heißt es, sofern das nicht mit der Datenschutzgrundverordnung kollidiere. Bislang interagiert etwa die Beleuchtung mit der Belegung der Räume, und auch die Reinigungsfirma bekommt Infos, ob ein Raum benutzt worden ist. Energieeinsparungen von bis zu 70 Prozent sind so offenbar möglich.
Modulare Haustechnik
Bereits bei der Installation der umfangreichen Technik setzte man auf zeit- und kostensparende gewerkeübergreifende Lösungen. So wurden große Teile der Haustechnik im Werk komplett vormontiert. Was sonst vor Ort eine Woche gedauert hätte, war nun in einer halben Stunde erledigt.
Die Etagen sind konstruktiv weitgehend offen gehalten (es gibt nur eine Brandschutzwand) und durch modulare, leicht demontable Trennwände gegliedert. OWP12 ist ein angenehm offenes, farblich freundlich und stellenweise sogar mit viel Holz ausgestattetes Haus, das vom Teppichboden bis zur Lampe auf Kreislauftauglichkeit optimiert wurde. Trotz des hohen Technisierungsgrades bleiben die Apparate diskret im Hintergrund.
Moderate Baukosten
Baukosten von 22 Millionen Euro für 7.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche (hier zählen die zwei Untergeschosse für Parken und Kantinenlogistik mit) wirken da nicht überzogen, zumal viele der Technik-Features Neuentwicklungen sind. Wie benutzungsfreundlich und kosteneffektiv diese sind, muss sich erst noch in der Praxis erweisen – siehe die Anmerkungen zu Beginn. In einem überwiegend von Ingenieuren benutzten Haus dürfte zumindest die Akzeptanz kein Problem sein.
Standort nur mit Autos erreichbar
Am Entree auf der Rückseite des Gebäudes prangt ein Feld mit einer Grünfassade, voll rezyklierbar und nicht brennbar, deren geringe Kosten potenziellen Investoren ebenfalls schmackhaft gemacht werden. Die 100 Quadratmeter dürften indes nur wenige der Abgase der vielen Pkw in der Tiefgarage kompensieren. Einen nennenswerten ÖPNV-Anschluss hat der Standort nämlich nicht. Auch wenn das Gebäude auf E-Mobilität vorbereitet ist und Fahrradstellplätze angeboten werden – eine rein objektbezogene Nachhaltigkeitsrechnung greift hier zu kurz. Immerhin richtete die Firma zunächst einen Shuttle-Bus zur S-Bahn-Station ein, an dessen Stelle später eine reguläre (aber selten bediente) Bus-Linie trat. Als Ministerpräsident und Oberbürgermeister vor Kurzem das Gebäude würdigten, hätte eine bessere Anbindung des Standortes Thema sein sollen.
Hilfreich könnten da die Pläne für den ehemaligen IBM-Campus in Sichtweite sein: Den will die Landeshauptstadt nun im Rahmen der IBA 2027 endlich zu einem gemischten und womöglich ebenfalls „smarten“, verkehrsarmen Modellquartier umgestalten lassen. Während allenthalben Büros neu errichtet werden, stehen Egon Eiermanns filigrane Pavillons aus den Sechzigern nämlich bereits seit 2009 leer.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Nachhaltig.
Toller Artikel. Gut recherchiert, sehr anschaulich, auch für Nicht-Architekten verständlich, ausführlich und nicht ohne kritische Nuancen.