Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Sanierung neu denken“ im Deutschen Architektenblatt 06.2022 erschienen.
Das größte Potenzial, Energie einzusparen, liegt bekanntlich in der energetischen Ertüchtigung von Bestandsgebäuden – und hier besonders im Wohnungsbau. Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, müsste die Sanierung allerdings deutlich mehr Fahrt aufnehmen. Dass das nicht ausreichend geschieht, liegt hauptsächlich an der noch immer viel zu niedrigen Effizienz in der Baubranche. Konkret sind den üblichen Abläufen einer Modernisierung einfach Grenzen gesetzt, um Wohngebäude in großer Anzahl zu modernisieren. Die Lösung soll jetzt das serielle Sanieren von Mehrfamilienhäusern nach dem Energiesprong-Konzept bringen.
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Energiesprong: Sanierung neu denken
Bei Energiesprong handelt es sich um eine internationale Non-Profit-Initiative mit Ursprung in den Niederlanden mit dem Ansatz, die Gebäudesanierung neu zu denken. Im Fokus stehen dabei ein hoher Wohnkomfort, kurze Bauzeiten und ein Finanzierungsmodell, das eine warmmietenneutrale Sanierung mit Net-Zero-Standard ermöglicht. Demnach soll das Gebäude im Jahresmittel so viel erneuerbare Energie erzeugen, wie für Heizung, Warmwasser und Strom benötigt wird. Da die Arbeiten im bewohnten Zustand erfolgen, sollen die Mieter zudem möglichst wenig belastet werden. Erreicht werden sollen diese Ziele mit vorgefertigten Elementen für Dach und Fassade – der Altbau erhält praktisch eine neue Hülle. Neben diesen Maßnahmen für den Wärmeschutz sollen außerdem vorgefertigte Energiemodule eingesetzt werden, um die Installationszeiten vor Ort zu senken.
Pilotphase betreut durch die dena
Begleitet und koordiniert wird das in der Pilotphase befindliche Konzept durch das Energiesprong-Team bei der Deutschen Energie-Agentur (dena), gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Großbritannien, Italien, Frankreich und die Niederlande haben ebenfalls ein solches Marktentwicklungsteam etabliert. Saniert wurden europaweit bislang rund 6.000 Wohnungen, etwa 30.000 befinden sich in der Vorbereitung.
Das Marktentwicklungsteam der dena ist bereits seit 2017 aktiv. Die derzeit 16 Mitarbeiter agieren im Prinzip als Vermittler zwischen den einzelnen Akteuren. Das sind die Eigentümer der Gebäude mit Fokus auf Wohnungsunternehmen sowie Hersteller von Fassaden- und Dachelementen, Photovoltaik, Wärmepumpen, Lüftungsanlagen und Anbieter von Energiemonitoring. Für die Planung und Koordinierung der Sanierung präferiert Energiesprong Anbieter von Gesamtlösungen, da sich die Wohnungswirtschaft als Auftraggeber nur einen Ansprechpartner wünscht. Hierfür kommen Generalunternehmer infrage, die, wie B&O oder die Fischbach Holding, gerade erste Projekte realisieren. „Architekturbüros sind ebenfalls willkommen, denn sie könnten hier eine Vorreiterrolle einnehmen und sich ein entsprechendes Netzwerk aufbauen“, wirbt Kristina Zimmermann, Teamgebietsleiterin Sanierung bei Energiesprong.
Serielle Sanierung darf keine Gleichförmigkeit bedeuten
Dass das serielle Sanieren freie Architektinnen und Architekten braucht, wird von der Bundesarchitektenkammer unterstützt. Jörg Schumacher, Referatsleiter Nachhaltigkeit bei der BAK: „Bei Sanierungen sind viele Aspekte zu beachten. Ein wesentlicher Punkt ist, inwieweit sich jedes einzelne Projekt in das jeweilige städtebauliche Umfeld einfügt. Denn es darf keine Wiederholung des immer Gleichen an unterschiedlichen Orten geben.“ Abwegig ist diese Befürchtung nicht, schließlich rechnet sich die Vorfertigung von Dach- und Fassadenelementen nur bei hohen Stückzahlen. Energiesprong hat gezielt die kleineren Mehrfamilienhäuser und Siedlungen der 1950er- bis 1970er-Jahre im Blick, die einen hohen Energieverbrauch von mehr als 130 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr haben und somit viel Einsparpotenzial bieten. Etwa 500.000 Gebäude soll es in Deutschland davon geben, deren Eigentümer größtenteils Wohnungsunternehmen sind. 20 von ihnen engagieren sich bereits bei Energiesprong.
Nachfrage steigt, Baukasten wird größer
Als das Energiesprong-Team vor fünf Jahren seine Tätigkeit aufnahm, hoffte man, schnell voranzukommen. Aufgrund der komplexen Aufgabenstellung ist das nicht im gewünschten Tempo gelungen. „Jetzt sehen wir jedoch, dass die Nachfrage steigt, auch bei anderen Gebäudetypen. Pilotsanierungen führen zu ersten Ergebnissen, um den Lösungsbaukasten für serielle Sanierungen weiterentwickeln und optimieren zu können. Es liegt aber noch viel Arbeit vor uns, bis ausreichend marktreife Angebote vorliegen und Kapazitäten sowie Tempo erhöht werden können. So dauert zum Beispiel auch die Projektanbahnungsphase bis zum Vertragsabschluss zurzeit noch einige Monate und die Realisierung erfordert statt der angestrebten wenigen Wochen heute noch etwa ein halbes Jahr“, resümiert Kristina Zimmermann.
Architekten als Anbieter der Gesamtlösung
Fertiggestellt wurden bislang Projekte in Hameln, Bochum und Herford mit je zwölf, 32 und 24 Wohnungen. Ein weiteres Projekt in Bochum mit 24 Wohnungen steht kurz vor der Fertigstellung, 11 Projekte mit 513 Wohnungen befinden sich in der Planung und weitere 796 Wohnungen in der Vorbereitung. Bei einem der in Planung befindlichen Projekte war gerade Baubeginn. Das Mehrfamilienhaus in Köln (Bilder oben) ist zugleich das erste, bei dem ein Architekturbüro als eigenständiger Planer agiert und ein Generalunternehmer den Hochbau umsetzt. Betreut wird das Projekt in der Schwalbacher Straße 24/26 von Zeller Kölmel Architekten, die zusammen mit dem energiebüro vom Stein im Auftrag der Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark zunächst eine Machbarkeitsstudie erstellten. „Unser Ergebnis war, dass das Gebäude mit vorgefertigten Elementen zu einem Net-Zero-Haus umgebaut werden kann“, sagt Michael Kölmel.
Typische Sanierungsaufgabe: Wohnungsbau der Nachkriegszeit
Das Mehrfamilienhaus aus den frühen 1960er-Jahren ist ein voll unterkellertes, viergeschossiges Eckgebäude mit 16 Wohnungen und zwei Treppenhäusern. Die Verbesserung des Wärmeschutzes umfasst kurz und knapp diese Maßnahmen: Zum Ausgleich von Unebenheiten erfolgt eine acht Zentimeter dicke Mineralwolledämmung direkt auf die Außenwand. Davor gesetzt werden 28 Zentimeter dicke, mit Zellulosedämmstoff gefüllte, vorfertigte Fassadenelemente aus Holz mit integrierten Fenstern, darauf folgt eine Luftschicht. Als äußere Bekleidung kommt eine kleinteilige Aluminiumraute zum Einsatz. Insgesamt wurde der U-Wert der Außenwände dadurch auf circa 0,12 W/(m2K) gesenkt. „Wichtig war uns dabei, dies durch eine Konstruktion zu erreichen, die rückbaubar und recyclingfähig ist und ökologische Baustoffe enthält“, so Michael Kölmel. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sieht Energiesprong zwar noch nicht verbindlich vor, doch: „Wir arbeiten daran, diese Themen in das Konzept zu integrieren“, sagt Kristina Zimmermann.
Wie bei der Fassade erlaubt das Energiesprong-Konzept auch beim Dach unterschiedliche Ansätze. So besteht die Möglichkeit, den alten Dachstuhl zu ertüchtigen. Zeller Kölmel Architekten hielten das in diesem Fall nicht für sinnvoll und entschieden sich dafür, vorgefertigte Elemente zu verwenden. Die neuen Dachelemente aus Holz, Zellulosedämmung und einem Trapezblech können schneller montiert werden als eine auf den Bestandsdachstuhl angepasste Dämmung und Eindeckung.
40 Zentimeter mehr Wand
Bei aller Wirtschaftlichkeit mit Vorfertigung und kurzer Bauzeit beschäftigten sich die Architekten intensiv mit den städtebaulichen Qualitäten, die die neue Hülle bieten soll. Die vorgesetzte Schale ist schließlich rund 40 Zentimeter dick. „Aufgrund der exponierten Lage als Eckbebauung in einem klassischen Wohngebiet favorisierten wir eine homogene, wie aus einem Guss wirkende Optik der Bekleidung“, begründet Michael Kölmel die Entscheidung für die kleinteilige Aluminiumraute. Technisch bedingt erfolgt deren Verlegung vor Ort auf der Baustelle, wohl aber nur bei diesem Projekt. Für einen Folgeauftrag erarbeiten die Architekten zusammen mit dem Hersteller eine Lösung, bei der die Rauten bereits werkseitig auf die Fassadenelemente aufgebracht werden können.
Varianten bei der Anlagentechnik
Auch die Anlagentechnik befindet sich noch in der experimentellen Phase. Gesetzt ist die Photovoltaik auf dem Dach. Die liefert Strom für die Mieter und speziell bei dem Kölner Projekt für den Betrieb der Luft-Wärmepumpe für die Heizung sowie die Durchlauferhitzer für die Warmwasserbereitung. Aufgrund der bereits vorhandenen Durchlauferhitzer, die ebenso wie die Heizkörper nur gegen neue getauscht werden müssen, erwies sich diese Lösung als das effizienteste Konzept. Damit die Heizkörper trotz der niedrigen Vorlauftemperaturen schnell warm werden, erhalten sie zusätzlich Ventilatoren. Ergänzend erfolgt noch die Installation von 16 dezentralen Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, deren wohnungsbezogene Geräte in die vorgesetzte Außenwand integriert werden. „Alle Maßnahmen zielen auch darauf ab, den Installationsaufwand möglichst niedrig zu halten“, ergänzt Michael Kölmel. Perspektivisch wird man sich an der jeweiligen Ausstattung des Bestandes orientieren müssen, um wirtschaftliche Lösungen zu erzielen. Da die Dachfläche von Gebäuden etwa einem Viertel der Bruttogeschossfläche entspricht, ist der Net-Zero-Energieversorgung mit Photovoltaik bei vier Geschossen eine Grenze gesetzt. Gegebenenfalls lässt sich zusätzliche Energie mithilfe fassadenintegrierter Photovoltaik gewinnen.
Große Altbaubestände sanieren
Sollen die Klimaziele erreicht werden, müssen auch die großen Altbaubestände in den Städten saniert werden. Zur Frage, inwieweit hier das Energiesprong-Konzept greifen könnte, sagt Jörg Schumacher von der BAK: „Auch serielle Lösungen müssen sich in gewissem Grade dem städtebaulichen Umfeld anpassen lassen. Wichtig ist, dass die Zielkonflikte benannt werden, um tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Aber generell können serielle Sanierungen auch nur dort einen Durchbruch erzielen, wo sie sinnvoll sind. Und da sehe ich wie Energiesprong in erster Linie die seriell erstellten Gebäudebestände der 1950er- bis 1970er-Jahre.“
Sanierung schnell und in bewohntem Zustand
Unstrittig ist, dass es die serielle Sanierung aufgrund der Vorfertigung ermöglicht, Gebäude im bewohnten Zustand in kurzer Zeit zu sanieren. Doch erst am Ende der Energiesprong-Pilotphase wird sich zeigen, ob auf Basis der Vorfertigung standardisierte und seriell hergestellte Sanierungsprodukte für die Gebäudehülle und Anlagentechnik entwickelt werden konnten. Ein weiterer Punkt ist die Finanzierbarkeit. Aktuell werden die hohen Kosten über die Förderung gedeckt. „Perspektivisch gehen wir davon aus, dass die Baukosten dank optimierter digitaler Prozesse sowie der Vorfertigung und hoher Stückzahlen sinken werden“, sagt Kristina Zimmermann. Ziel ist, die Finanzierung über die Erhöhung der Kaltmiete in Höhe der eingesparten Energiekosten (Warmmietenneutralität) zu erreichen.
Für Zeller Kölmel Architekten soll es jedoch nicht bei diesem einen Projekt bleiben. Erste Anfragen von weiteren an dem Energiesprong-Konzept interessierten Wohnungsunternehmen lägen bereits vor. „Außerdem haben wir mit Unterstützung der dena einen Forschungsantrag für die Entwicklung eines Planungsbaukastens gestellt, der auch bereits genehmigt wurde. Wie müssen Architekten Energiesprong-Häuser planen, was gilt es zu beachten und was sind die Besonderheiten im Vergleich zum herkömmlichen Bauen?“, so beschreibt Michael Kölmel die zukünftige Aufgabe.