Was hat Sie zur Architektur gebracht?
Vor Beginn des Studiums war der größte Traum ein „Studium generale“ und das Studium der Architektur die dem am nächsten kommende Ausbildungsform. Die hervorragende akademische Umgebung an der TU Braunschweig hat schließlich bei uns drei GRAFT-Gründern den Traum gefüttert, holistisch und Gegensätze überwindend, lösungsorientiert und begeistert die Machbarkeit einer besseren Zukunft aufzuzeigen. Als Musiker war für mich persönlich der noch weiter gehende Antrieb die Vorstellung von Räumen und Formen, die einen ebenso emotionalen Eindruck hinterlassen, wie eindrucksvolle Musik es vermag.
Architektur als Szenografie, als dynamisches Erlebnis in der Zeit aufzufassen und den Raum als ausdrucksstarke Bühne für unser Dasein zu sehen, fasziniert mich bis heute. Architektur kann begeistern, und nur wenn sie es tut, ist sie wirklich Architektur – dem pragmatischen Grundrauschen des funktionalen Bauens enthoben.
Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten – und warum?
Architektinnen und Architekten agieren in so unterschiedlichen Disziplinen wie Konstruktion, Nutzung, Bautechnik, Soziologie, Ökologie und Kunst sowie in rechtlichen und politischen Rollen. Das ist für uns bis heute eine vielgestaltige Quelle für Ideen und Konzepte für unsere gebaute Umwelt. Es ist spannend, ganz unterschiedliche Sichtweisen, Anforderungen und Herangehensweisen abzuwägen, so viele der interessantesten und manchmal gegensätzlichen Wünsche an die gebaute Umwelt wie möglich zuzulassen. Die Suche nach dem „Sowohl-als-auch“ steht immer über dem „Entweder-oder“, eins und eins ist immer mehr als zwei und nicht weniger.
Architektur ist am Ende ein kollektives Phänomen. Nicht zuletzt deswegen haben wir unser Büro nicht nach den Bürogründern benannt, sondern programmatisch GRAFT genannt, wobei „to graft“ im Englischen „pfropfen“ oder „fügen“ bedeutet, und dies in einer Form des Miteinander-Verwachsens, bis aus den Ausgangskomponenten ein neues, drittes Ganzes geworden ist. GRAFT drückt diese Haltung aus und ist optimistisches Bekenntnis zum Blick nach vorn.
Der emotionalste Moment des Architekturschaffens ist immer der, an dem sich die physische Welt durch unser gemeinsames Tun verändert hat. Der Moment, in dem sichtbar wird, dass Alternativen nicht nur theoretisch möglich sind, sondern dass Wege gefunden, Kompromisse ausgehandelt werden können. Momente, in denen die Freude am gemeinsam Erreichten spürbar und die Machbarkeit des für viele Unwahrscheinlichen bewiesen wird. Wir können die Welt verändern, wir können unsere Probleme lösen, wenn wir positiv denken. Und jede Minute unseres Tuns als Architekten sollte dem gewidmet sein.
Thomas Willemeit, Architekt, Berlin
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