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Verdacht auf Kampfmittel: worauf Architekten achten müssen

Für das Grundstück eines Studierendenwohnheims war eine Kampfmittelsondierung unterblieben. Das verantwortliche Architekturbüro scheiterte mit seinen Argumenten vor Gericht

28.06.20227 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Achtung, Kampfmittel!“ im Deutschen Architektenblatt 07.2022 erschienen. Diese Online-Fassung wurde am 15.7.22 am Textende ergänzt.

Von Florian Englert

Eine Bauherrin aus Nordrhein-Westfalen beauftragte ein Architekturbüro mit der Planung eines Studentenwohnheims. Alle erforderlichen Leistungen sollten von dem Architekturbüro erbracht werden (Leistungsphasen 1 bis 9). Jedoch meldete sich nach der Fertigstellung die beteiligte Feuerwehr bei der Bauherrin und verlangte als zuständige Behörde die Nachholung der Sondierung nach Kampfmitteln auf Kosten der Bauherrin, insbesondere weil bei der Luftbildauswertung ein Verdachtspunkt auf dem Grundstück festgestellt worden sei. Darum begehrte die Bauherrin schließlich die gerichtliche Feststellung, dass das verantwortliche Architekturbüro alle im Zuge der unterlassenen Kampfmittelsondierung entstehenden Schäden zu ersetzen habe.

Kein Hinweis auf Verdachtsfläche?

Das beklagte Architekturbüro ging davon aus, dass es sich bei dem Grundstück nicht um eine Kampfmittelverdachtsfläche handelte, und berief sich auf ein Telefonat mit der Baubehörde, in dem das so mitgeteilt worden sei. Daher wurde weder eine Luftbildauswertung noch eine Sondierung durchgeführt. Dies wurde durch die als Zeugin benannte Baubehörde aber nicht bestätigt. Ebenso versuchte sich das Architekturbüro damit zu verteidigen, dass es die fehlende Ausweisung als Verdachtsfläche im Bebauungsplan im Sinne des § 9 Abs. 5 BauGB vorbrachte. Zudem war in der Baugenehmigung selbst auch keine Auflage enthalten.

Ebenfalls zur Verteidigung wurde vorgebracht, dass aufgrund der durchgeführten Bodenuntersuchung mittels Rammkernsondierungen nicht von einem Kampfmittelverdacht auszugehen war. Als letzten Notanker meinte das Architekturbüro zudem, dass die klagende Bauherrin ein Mitverschulden treffen würde, schließlich habe diese selbst die vorherige Bebauung entfernen lassen und hierbei auch keine Kampfmittelsondierung durchgeführt, sodass doch von einem kampfmittelfreien Grundstück auszugehen war.

All die Verteidigungsansätze des beklagten Architekturbüros nutzten jedoch nichts: Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in seinem Urteil vom 18. Mai 2021 (Az.: 24 U 48/20) entschieden, dass ein Planungsbüro auch ohne ausdrückliche Vereinbarung verpflichtet sein kann, eine Kampfmittelüberprüfung durchzuführen. Aufgrund dieser Feststellung wies das OLG die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Münster vom 26. Februar 2020 (Az.: 116 O 19/19) zurück, das die Pflicht zuvor ebenso bejaht und der Klage stattgegeben hatte.

Kampfmittel selten Thema vor Gerichten

Die Entscheidung des OLG Hamm macht zunächst einmal klar, dass das Thema Kampfmittel noch nicht richtig bei den Gerichten angekommen ist, was aus den sehr dürftigen Ausführungen zum Sprengstoffgesetz sowie zur Baustellenverordnung oder Musterbauordnung ersichtlich ist. Das Gericht beschäftigt sich im Urteil auch nicht mit den typischen Begrifflichkeiten der Kampfmittelräumung. Diese sind nicht nur für Juristen, sondern auch für die planenden Architekten von Bedeutung, definieren und umschreiben sie doch die Pflichten, die sich für die jeweiligen Vertragsparteien – also Bauherr und Architekt – ergeben. Somit sind Kenntnisse der Spezialmaterie unumgänglich, insbesondere um den Grund für die Pflicht nachvollziehen zu können.

Jedoch: Trotz der teils unrichtigen Begrifflichkeiten kommt das OLG Hamm zum richtigen Ergebnis, denn das Thema Kampfmittel sollte mittlerweile allen Baubeteiligten bewusst sein und auch ernst genommen werden! Das OLG Hamm stellt klar, dass das Thema Kampfmittel auch bei der Planung eine Rolle zu spielen hat und entsprechend zu berücksichtigen ist. Damit gehört die Befassung mit den Hinterlassenschaften des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu den elementaren Aufgaben eines jeden Architekten. Insbesondere verortet das OLG diese Pflicht in Leistungsphase 2, da die Kampfmittelfreiheit Grundvoraussetzung für die Umsetzbarkeit des Bauprojektes ist (Rn. 111).

Wissen über Kampfmittel

Diese Pflicht ergibt sich aus den Bauordnungen der Länder, da die Geeignetheit des Grundstückes nachzuweisen ist (Rn. 113). Sie ergibt sich neben diesen gesetzlichen Vorgaben auch aus den

Die Publikationen enthalten alle relevanten Informationen zum Thema Kampfmittel und stellen darüber hinaus den Stand der Technik in Bezug auf Kampfmittel dar. Diese Vorgaben sind zwingend durch die Architekten zu beachten und insbesondere in der Leistungsphase 2 zu berücksichtigen.

Kampfmittel besser grundsätzlich annehmen als nicht annehmen!

Etwas anderes würde nur gelten, wenn der Architekt von der Kampfmittelfreiheit ausgehen kann. Sie darf jedoch nicht ohne konkrete Hinweise angenommen werden, schon gar nicht, wenn in der Baugenehmigung nichts dazu zu finden ist (Rn. 118). Dass ein Baugrundgutachten nicht geeignet ist, eine Kampfmittelfreiheit zu attestieren, wurde durch das Gericht ebenso dargelegt (Rn. 125). Auch sollte der Architekt stets überprüfen, ob Bebauungspläne überhaupt eine Kampfmittelfreiheit zu berücksichtigen haben, hier kommt es jedoch insbesondere auf die jeweiligen Bauordnungen der Länder an (Rn. 121 ff.).

Sondierung nun schwieriger

Im hier zu besprechenden Urteil hat das Architekturbüro für den Schaden aufzukommen, der durch das Unterlassen der Kampfmittelüberprüfung entsteht. Hierbei sieht das Gericht richtig, dass die Kosten für den Antrag bei der Bezirksregierung sowie die Sondierungskosten sowieso von der Bauherrin zu tragen gewesen wären. Der Schaden liegt jedoch darin, dass sich die Sondierung nunmehr wesentlich schwieriger gestalten wird, da auf dem Grundstück ein Bauwerk steht. Hätte also das beklagte Architekturbüro einen entsprechenden Prüfungsantrag bei der Bezirksregierung vor der Errichtung des Bauwerkes gestellt, wäre der Verdachtspunkt mit relativ wenig Aufwand abgeklärt worden.

Die Erschwernisse gehen nun zulasten des Planers, und diese können in beträchtliche Höhen gehen: Man stelle sich vor, es würde sich bei dem Verdachtspunkt um eine mit chemischem Langzeitzünder versehene Fliegerbombe handeln, die nunmehr unter der Bodenplatte des Studentenwohnheimes liegt. Hier wären ein Teilabriss des Gebäudes und eine Sprengung der Bombe unumgänglich, denn dieser Typ Bombe neigt zur Selbstdetonation.

Ersatzpflicht für Nachträge

Als weitere Folge des Urteils, abgewandt vom konkreten Fall, ist auch eine Ersatzpflicht für Nachträge der Bauunternehmer während der Errichtung des Bauwerkes denkbar: Wird ohne die Kampfmittelfreigabe mit dem Bau begonnen, so stellt dies einen Behinderungstatbestand des Erdbauers dar. Dieser wird bis zur Freigabe erst einmal nicht arbeiten (dürfen) und Stillstandskosten geltend machen. Sollte im Zuge der Kampfmittelräumung sodann festgestellt werden, dass lediglich eine baubegleitende Kampfmittelräumung die Kampfmittelfreiheit herbeiführen kann, so steigen die Kosten erheblich, da der Erdbauer hier nur noch langsam voranschreiten kann, ist er doch an die Weisung des Kampfmittelräumers gebunden (§ 24 II Nr. 3 SprengG). Zudem wird dies im Wege des Nachtrages entsprechend (hoch) bepreist.

Fazit: Haftung kann früh eintreten

Das Urteil zeigt, dass eine Befassung mit Kampfmitteln eine wesentliche Pflicht von Architekten darstellt und von diesen auch erfüllt werden muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Haftung bereits bei einem Kampfmittelverdacht eintreten kann. Architekten sollten daher ihre Auftraggeber möglichst frühzeitig in der Leistungsphase 1, Grundleistung c „Beraten zum gesamten Leistungs- und Untersuchungsbedarf“, beraten und aufklären. Die Pflichtverletzung kann auch bedeuten, dass sich nicht nur das Zivil-, sondern auch ein Strafgericht mit der Sache befasst: Denn das Unterlassen der Herbeiführung der Kampfmittelfreiheit stellt sehr schnell den Tatbestand der Baugefährdung (§ 319 StGB) dar!


Ergänzung

Die Rechtslage ist je nach Bundesland unterschiedlich. Auf jeden Fall gilt: Der Planer muss den Bauherrn auf die Problematik schriftlich (!) hinweisen. Sollten mehr Pflichten aufgrund vertraglicher Regelungen auf den Planer übertragen worden sein, sind diese auch zu erfüllen. Der konkret beschriebene Fall hatte die Besonderheit, dass sich die Pflicht des Architekten zur Stellung eines Prüfungsantrags aus dem Vertrag mit dem Bauherrn ergeben hat. Somit hatte nicht mehr der Bauherr diese Pflicht zu erfüllen, sondern eben der Architekt. Dies gilt im Innenverhältnis zwischen Bauherrn und Architekt. Gegenüber der Ordnungsbehörde ist natürlich der Bauherr verantwortlich. Nachdem im besprochenen Fall die Behörde auf den Bauherrn zugekommen war und die Sondierung forderte, strengte dieser die Klage gegen den Architekten an.

Dr. Florian Englert ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie Strafrecht in Schrobenhausen

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