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10.904 mal Klopftest: Mosaik von Josep Renau wird saniert

Die Stadt Halle (Saale) und die Wüstenrot Stiftung sanieren ein 35 Meter hohes Wandmosaik des spanischen Künstlers Josep Renau, das weit mehr ist als ideologische Kunst am Bau. Warum viele Fliesen fast aussehen wie neu, andere aber zu einer Art Blätterteig zerfallen, haben wir vor Ort erfahren

Von: Heiko Haberle
Heiko Haberle ist Redakteur von der Kurzmeldung bis zum großen...

14.07.20226 Min. Kommentar schreiben

Von Heiko Haberle

Die beiden monumentalen Mosaikbilder von Josep Renau sind immerhin 35 Meter hoch und trotzdem nicht so einfach zu finden. Das hat auch damit zu tun, dass die städtebauliche Planung von Halle-Neustadt an dieser Stelle nur noch schwer erkennbar ist. Vom Zentrum mit den fünf markanten Scheibenhochhäusern aus muss man um das obligatorische und weit ausladende Nachwende-Shoppingcenter herum, an ein paar neueren Wohnhäusern vorbei und eine leichte Anhöhe hinauf bis zu einem Behördenparkplatz.

Wandmosaik von Josep Renau
Das Bild beginnt unten mit Fahnen auf einer Demonstration, gefolgt von Orgelpfeifen (Kunst), einem Teleskop (Wissenschaft) und einer Ähre (Landwirtschaft). Am Ende des Beitrags finden Sie das Mosaik in einer KOMPLETTEN ANSICHT. Foto: Thomas Wolf © Wüstenrot Stiftung

Politische Kunst mit Betonung auf „Kunst“

Dort ist der Anblick dafür umso beeindruckender, zuerst auf das Mosaik „Die von Menschen beherrschten Kräfte von Natur und Technik“ am südlichen Treppenturm. Die Motive sind typisch für sozialistische Staatskunst: Wohnungsbau, Technik, Industrie und Raumfahrt als Zeichen für gesellschaftlichen Fortschritt. Außerordentlich ist jedoch der künstlerische Stellenwert. Nicht nur, weil der vor der Franco-Diktatur aus Spanien (über Mexiko) in die DDR übergesiedelte Josep Renau im spanischsprachigen Raum ein bekannter Name ist und es in Deutschland nur noch vier bekannte baukünstlerische Werke von ihm gibt (eben die zwei hier, ein weiteres in Halle nahe des Hauptbahnhofs und eins in Erfurt).

Es ist vor allem die künstlerische Qualität, das Aneinanderfügen von Farbflächen und abstrakten Formen, die an kubistische oder futuristische Arbeitsweisen erinnert. Erst aus der Distanz ergeben diese Fragmente zusammenhängende Motive, deren Dynamik man sich auch heute nicht entziehen kann. Hier wird auch Josep Renaus Erfahrung als Plakatgestalter sichtbar.

Historisches Foto Wandmosaik von Josep Renau
Zum ursprünglichen Ensemble gehörte auch noch die Mensa mit einem dritten Wandmosaik. © Heinrich Renner, Stadtarchiv Halle (Saale)

Josep Renau zielte auf die Jugend

Warum diese mobilisierende Kunst am Bau genau hier an einem standardisierten Plattenbauriegel wichtig war, macht der Blick in die Stadtgeschichte klar. Halle-Neustadt hatte als Chemiearbeiterstadt für die südlich gelegenen Buna- und Leunawerke eine kinderreiche, werktätige oder in Ausbildung befindliche Bevölkerung.

Was heute ein Verwaltungsbau der Stadt Halle ist, war 1975 ein Lehrlingswohnheim, eingebettet in ein Bildungs- und Freizeitzentrum mit Schulen, Sportstätten und Schwimmbad, die zwar noch heute existieren, aber in keinem erkennbaren Zusammenhang mehr stehen. Abgerissen wurde jedoch 1998 die Mensa, zusammen mit einem damals bereits denkmalgeschützten dritten (horizontalen) Mosaik Josep Renaus mit dem Titel „Marsch der Jugend in die Zukunft“. Ob dieses wirklich „irreparabel“ war, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden.

Aufwendige Sanierung beginnt

2005 standen die Zeichen dann auf Erhalt statt auf Abriss und der Stadt Halle gelang zunächst die Sanierung des Wandmosaiks am südlichen Treppenturm. Und endlich ist auch die Zukunft des nördlichen Bildes „Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR“ gesichert: Die Wüstenrot Stiftung übernimmt als operativer Bauherr nicht nur 80 Prozent der Kosten, die auf eine Millionen Euro geschätzt werden, sondern bringt auch viel Expertise bei der Sanierung von nachkriegsmodernen Denkmälern und des bereits erwähnten Renau-Mosaiks in Erfurt mit.

Geschädigte Fliesen mit Farbskala
Im oberen Teil lösen sich die Fliesen in Schichten auf. Als Ersatz müssen neue Fliesen hergestellt werden. Foto: Gustav van Treeck GmbH

Oberflächlich gut erhalten

Wie die Sanierung im Detail aussieht, präsentierten die Stadt Halle und die Wüstenrot Stiftung Mitte Juli bei einem Ortstermin auf dem Baugerüst. „Sieht doch gar nicht so schlimm aus“, könnte der erste Eindruck sein, denn die meisten Fliesen haben über die letzten fast 50 Jahre ihre kräftigen Farben behalten und oberflächlich kaum Schaden genommen. Wegen der damals starken Luftverschmutzung hatte man sich bewusst für ein Fliesenmosaik entschieden statt für eine Wandmalerei oder ein Sgraffito in Putz.

Mosaik vor Ort sichern

Probleme macht jedoch die Befestigung der Fliesen. Einerseits, weil die Dehnungsfugen des Mosaiks nicht überall deckungsgleich mit den Fugen zwischen den Betonplatten des Treppenturms waren. Andererseits weil es im Mörtel unter den Fliesen Hohlräume gibt, die mit einem Klopftest gefunden werden. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der 10.904 Fliesen (232 Reihen à 47 Fliesen) muss gesichert werden. Idealerweise geschieht das, ohne sie entfernen zu müssen, indem per Spritze ein Spezialmörtel injiziert wird.

Etwa 500 Fliesen werden neu hergestellt und glasiert, was vor allem den oberen Teil des Bildes betrifft. Hier hat wegen einer unzureichenden Abdeckung eindringendes Regenwasser zu schichtweisen Auflösungserscheinungen geführt, die an Blätterteig erinnern.

Jede Fliese ein kleines Kunstwerk von Josep Renau

Aus der Nähe wird auch eine weitere künstlerische Qualität deutlich, denn fast jede Fliese für sich wäre schon ein kleines abstraktes Kunstwerk. Zwar wurden Boizenburger Roh-Steinzeugfliesen im Standardformat 15×15 Zentimeter verwendet, diese jedoch in der Keramikwerkstatt Thomas Scholz individuell mit Majolika-Glasurmalerei versehen.

Anders als bei klassischen Mosaikbildern aus kleineren Fliesenformaten entsteht hier das Gesamtbild also nicht erst durch das Nebeneinander verschiedenfarbiger Pixel, sondern schon auf den Fliesen selbst – ein sicherlich nicht unerheblicher Grund für die einheitliche und dynamische Gesamtwirkung.

Erhalt und Sanierung sind kein Selbstzweck

Doch künstlerische Qualität sei noch kein ausreichender Grund für das intensive Engagement der Wüstenrot Stiftung, sagt deren Geschäftsführer Philip Kurz. Er betont, hier vor allem ein „gefährdetes kulturelles Erbe für zukünftige Generationen retten und erhalten zu können“ und ergänzt, dass immer auch die weitere bauliche Nutzung und Pflege gesichert sein müsse.

Entsprechend werde die Stadt Halle das Gebäude für mindestens 20 weitere Jahre nutzen, wie die städtische Beigeordnete für Kultur und Sport Judith Marquardt zusichert. Für sie stellt Josep Renaus Kunstwerk vor allem auch ein wichtiges Stück lokaler Identität dar. Von der sei den Bewohnern von Halle-Neustadt nach der Wende viel genommen worden.

Wandmosaik von Josep Renau mit Karl Marx
Die kompletten 35 Meter von oben nach unten. Foto und Montage: Thomas Wolf © Wüstenrot Stiftung
  • Standort: Halle-Neustadt, Am Stadion 5

Original

  • Beauftragung: 1968
  • Fertigstellung: 1975
  • Größe: Breite 7 m, Höhe 35 m
  • Material: 10.904 Fliesen in 232 Reihen à 47 Fliesen, serienmäßig hergestellte Boizenburger Roh-Steinzeugfliesen, 15 x 15 cm, 8 mm stark
  • Technik: Majolika-Glasurmalerei
  • Umsetzung: Dipl.-Keramiker Thomas Scholz

Sanierung

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