Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Eine runde Sache“ im Deutschen Architektenblatt 09.2022 erschienen.
Von Nils Ballhausen
Erst das Grollen der Kugel, dann das Klackern der Kegel. Grollen, Klackern, Grollen, Klackern. Dazwischen: Rufe, Sprüche, Jubel, Flüche. Im Hintergrund arbeitet die Kegelaufstellmaschine und rollt die Kugeln zurück wie einst Sisyphos. Kegler sind Stoiker, aber eben auch Präzisionssportler. Kein Wurf verläuft gleich, jede Bahn hat ihre Eigenheiten. Es geht um Feinheiten, um Details im Bewegungsablauf, an denen lebenslang zu feilen ist. Zum Beispiel mittwochs in Wülknitz, Landkreis Meißen, nördliches Sachsen.
In dem 1.700-Einwohner-Ort hatte die politische Wende manches umgestoßen und neu aufgestellt. Sozialstrukturen der Reichsbahn, deren Oberbauwerk an der Strecke Elsterwerda–Riesa lange Zeit genügend Arbeitsplätze bot und in deren Eisenbahnsportverein (ESV) Freizeit organisiert wurde, fielen mit der Bahnreform von 1994 nach und nach weg. Das Imprägnierwerk jedoch blieb erhalten, ein paar Gewerbebetriebe kamen hinzu, sodass die Gemeinde etwas mehr finanziellen Spielraum hat als andere im Landkreis.
Architekturwettbewerb für Sportlerheim mit Kegelbahn
Als die Baracke hinter dem Bahnhof, in der die Keglersparte des ESV sich in jahrzehntelanger Eigenleistung eingerichtet hatte, vor der Privatisierung stand, bot es sich an, das sportliche Leben in der Ortsmitte zu konzentrieren, gemeinsam mit den Fußballern, der zweiten starken Säule des Vereins, deren Kabinen schon länger unzureichend waren. Mit Unterstützung der Sportstättenförderung der Sächsischen Aufbaubank standen 2016 genug Eigenmittel bereit, um einen offenen Architektenwettbewerb auszuloben und ein neues Sportlerheim zu bauen. Zwischen dem Fußballplatz und dem Gemeindehaus, in zweiter Reihe, steht seit vier Jahren der graue hölzerne Quader.
Viel Aufmerksamkeit für alltägliches Gebäude
Manche der Kegler rätseln noch heute, wieso ihr Sportlerheim in der Fachwelt so große Aufmerksamkeit erfahren hat, tatsächlich in diversen Architekturzeitschriften publiziert und mit Auszeichnungen bedacht wurde. Aus der Sicht von Redaktionen und Onlinemedien fügten sich die Schlagworte „Kegeln“, „Sachsen“, „Holzbau“ und „Erstlingswerk“ offenbar zu einem reizvollen Amalgam, das sich im Verbund mit den sachlich-skurrilen Architekturfotografien wie von selbst verbreitete.
Erstlingswerk für junges Architekturbüro
Das Schöne an diesem Projekt: Alle haben gewonnen. Wülknitz geriet in den Architekturführer des Deutschen Architekturmuseums. Der lokale Sport bekam eine neue, qualitätsvolle Adresse. Der Nutzen des Wettbewerbswesens wurde bestätigt. Die Architekten Fabian Onneken und Jan Keinath etablierten mit ihrem ersten eigenen Projekt das Büro KO/OK und halten seit April eine Gastprofessur an der TU München. Und Rico Weser, der ehrenamtliche Vorsitzende des ESV Lok Wülknitz, wurde im Juni mit großer Mehrheit zum neuen hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Er hatte sich zusammen mit Amtsvorgänger Hannes Clauß, der nach dreißig Amtsjahren nicht mehr zur Wahl antrat, für das Projekt starkgemacht. Die Architekten loben die Zusammenarbeit mit der Gemeindevertretung in den höchsten Tönen.
Kegelbahn bestimmt den Grundriss
Auch das Timing stimmte. Heute sind Holz und Handwerksbetriebe rar, und für die damals schon knapp bemessenen 1,2 Millionen Euro ließe sich das Gebäude zurzeit wohl kaum in dieser Qualität errichten. Doch die Sparsamkeit war bereits in der Struktur angelegt. Den Kern des Grundrisses bildet das vom Reglement des Deutschen Keglerbunds definierte Rechteck der vier Kegelbahnen. Die lange Seite wird von einer Spange aus Umkleiden, Duschen, Schiedsrichterraum, Büro und Abstellflächen flankiert; der kurzen Seite ist eine Zone der Vereinsgeselligkeit vorgeschaltet.
Einfache Holzkonstruktion mit wirkungsvollen Details
Ähnlich folgerichtig ist die Konstruktion: Mächtige BSH-Träger (240 x 480 Millimeter) überbrücken stützenfrei die gesamte Grundfläche in Querrichtung, darauf liegend eine an der Innenseite unverkleidete Brettsperrholzdecke (100 Millimeter), in die, wo erforderlich, runde Oberlichter eingeschnitten sind. Die Außenwand besteht aus einer Holzständerkonstruktion, die wetterseitig vertikal mit unterschiedlich breiten sägerauen Lärchenholzbrettern verschalt und mit lisenenartig aufgesetzten Kanthölzern rhythmisiert wurde. Entwurfsdetails, deren Ausführung kaum Mehraufwand erzeugt, die jedoch den wesentlichen Unterschied markieren zwischen Architektur und einer Sportlerbaracke.
Durch die Geschlossenheit der grau gestrichenen Fassade, die dezent zurückspringende Attika und die verborgenen Regenfallrohre verströmt der Bau, nähert man sich ihm von der Straße, etwas Abstrakt-Rätselhaftes, auch weil das Rumpeln der Kugeln durch die Holzwand hindurch zu hören ist.
Fußballer und Kegler unter einem Dach
Zum Fußballfeld hin öffnet sich das Sportlerheim über eine eingezogene Eingangsloggia und raumhohe Fenster. Der Versammlungsbereich mit Bestuhlung, Theke, Zapfanlage und Pokalregal bildet die räumliche Schnittmenge aus Keglern und Fußballern. Wird gekegelt, ist es dort laut, etwas zu laut für die Geselligkeit. Die große Raumhöhe über der Kegelbahn sei schuld, heißt es unter den Sportlern. Deswegen haben die umtriebigen Kegler bereits eine Akustiksystemdecke bestellt, die sie demnächst, womöglich, wie es in ländlichen Sportvereinen üblich ist, in gemeinschaftsförderndem Selbstbau unter die Decke montieren wollen. Immerhin soll sie eine Oberfläche aus Echtholz haben. Die Architektur setzt gewisse Maßstäbe.
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