Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Verantwortung bei Arbeitsteilung“ im Deutschen Architektenblatt 10.2022 erschienen.
Von Christopher Czimek und Vivien Veit
Der tragische Einsturz des Kölner Stadtarchivs liegt inzwischen mehr als 13 Jahre zurück. Die juristische Aufarbeitung dauert aber nach wie vor an. So äußerte sich der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang jüngst noch einmal zu den Sorgfaltspflichten von Beteiligten auf Großbaustellen, insbesondere denen von Bauleitern. Der Entscheidung kommt für die zukünftige Praxis auf Baustellen eine erhebliche Bedeutung zu.
Mängel bei Ausführung und bei Kommunikation
Die angeklagten Bauleiter waren innerhalb der mit der Errichtung eines U-Bahn-Tunnels beauftragten ARGE für die Abteilungen Spezialtiefbau und Ingenieurbau verantwortlich. Die Abteilung Spezialtiefbau sollte zunächst eine Schlitzwand als Baugrubenumschließung errichten. Anschließend war die Abteilung Ingenieurbau mit dem Aushub einer bis zu 27 Meter unter dem Straßenniveau liegenden Baugrube beauftragt. Bei den Arbeiten kam es jeweils zu verschiedenen Störungen. So wurden Fugenbleche zwischen den zu errichtenden Lamellen über mehrere Meter zerstört oder entfernt, Messprotokolle zum Aushubvorgang falsch ausgefüllt, Hindernisse lediglich verdrängt und nicht beseitigt sowie eine Lamelle nur unvollständig mit Beton verfüllt. Die Betonfehlstelle war es schlussendlich auch, die nach den Erkenntnissen des Gerichts zu dem verheerenden Einsturz der Baugrube führte.
Diese Störungen wurden nicht zuletzt durch die Arbeitsteilung auf der Baustelle begünstigt. So wurden gleich an mehreren Stellen Informationen nicht oder nur unvollständig weitergegeben – oder sogar bewusst falsch dargestellt, um eigene Fehler zu kaschieren. Kontrollen, die dieses Verhalten hätten aufdecken können, fanden nicht statt. Auch eine formale Übergabe der Baustelle nach Abschluss des jeweiligen Gewerks war nicht vorgesehen.
Erste Instanz spricht Bauleiter frei
Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten daher vor, es als verantwortliche Bauleiter versäumt zu haben, markanten Hinweisen auf Ausführungsmängel bei der Baugrubenumschließung nachzugehen und diese abzustellen. In der Folge sei es zu Undichtigkeiten bei der Baugrubenumschließung und schließlich zu einem schlagartigen Eintritt großer Wasser- und Bodenmassen in die Baugrube gekommen. Diese sei daraufhin zusammen mit dem angrenzenden Stadtarchiv und zwei Wohnhäusern eingestürzt, wobei zwei Menschen begraben wurden.
Das erstinstanzlich entscheidende Landgericht (LG) Köln hatte die zwei angeklagten Bauleiter vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der Baugefährdung zunächst freigesprochen. Soweit es ihnen Sorgfaltspflichtverletzungen nachweisen konnte, betrafen diese lediglich solche Störungen, die für den Einsturz der Baugrube nicht ursächlich waren. Aus Sicht der Bundesrichter hatte das LG Köln den Umfang der bestehenden Sorgfaltspflichten aber unzutreffend bestimmt und den Vertrauensgrundsatz bei arbeitsteiligem Handeln überdehnt. Das LG Köln muss daher nun erneut über die Angeklagten befinden und dabei die Auffassung des BGH zu den Sorgfaltsmaßstäben berücksichtigen – was auch für die zukünftige Praxis auf Baustellen nur empfohlen werden kann.
BGH-Grundsätze zu Arbeitsteilung und Sorgfalt
Gehen die Beteiligten auf einer Baustelle arbeitsteilig vor, ist bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichten zwischen horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung zu unterscheiden. Horizontale Arbeitsteilung meint dabei die Bildung verschiedener Zuständigkeiten auf gleichberechtigter Ebene. Vertikale Arbeitsteilung beschreibt demgegenüber die Delegation von Aufgaben im Wege einer fachlichen Über- und Unterordnung.
Grundsätzlich gilt: Während bei gleichberechtigter Zusammenarbeit auf die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben durch die Mitwirkenden vertraut werden darf, befreit eine Delegation von Aufgaben nicht gänzlich von der delegierten Pflicht. Hier verbleibt bei dem ursprünglichen Verantwortlichen eine im Einzelfall näher zu definierende Restverantwortung.
Horizontale Arbeitsteilung
Eine horizontale Arbeitsteilung berechtigt die Beteiligten zu grundsätzlichem Vertrauen auf die Zuverlässigkeit des anderen. In Anerkennung einer gleichberechtigten Zusammenarbeit bestehen hier keine wechselseitigen Überwachungspflichten. Die Beteiligten trifft jedoch eine Pflicht zur gegenseitigen Information und Koordination. Der Umfang dieser Pflichten ist dabei umso größer, je komplexer oder gefahrgeneigter das Bauvorhaben ist. Werden sie eingehalten, darf sich der jeweils andere auf die erhaltenen Informationen verlassen und sein Handeln danach ausrichten. Eine Nichteinhaltung hingegen verstärkt die eigenen Sorgfalts- und Prüfpflichten. Im Einzelnen:
- Baut ein Gewerk auf dem einer anderen Abteilung auf, so darf grundsätzlich auf die Vorarbeit des anderen vertraut werden – es sei denn, das Vorgewerk weist eine erkennbar erhebliche Abweichung vom Soll-Zustand auf.
- Bleiben Information und Koordination zwischen den Gewerken aus, ist die Qualität der Vorleistungen – unabhängig von der Ursache des Informations- und Koordinationsmangels – in zumutbarem Umfang zu überprüfen, um die eigene Arbeitsleistung gefahrlos umsetzen zu können. Ein genereller Organisationsmangel der Baustelle entlastet die Beteiligten daher ebenso wenig wie die Nichteinhaltung bestehender Pflichten. Beides ist im Rahmen des eigenen Handelns zu berücksichtigen und letztlich auszugleichen.
- Auf die Zuverlässigkeit der erbrachten Vorleistung eines anderen Mitwirkenden darf nicht vertrauen, wer diesem maßgebliche Informationen vorenthält. Voraussetzung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit anderer ist stets das eigene, sorgfaltsgerechte Verhalten. Konkret hatte einer der angeklagten Bauleiter seine Pflichten vorübergehend an einen Urlaubsvertreter übertragen, ohne ihn über zuvor aufgetretene Komplikationen aufzuklären. Nach seiner Rückkehr hatte er sich „blind“ auf dessen Angabe „alles sei in Ordnung“ verlassen. Der Kollege konnte dies aufgrund fehlender Informationen jedoch gar nicht belastbar beurteilen.
Vertikale Arbeitsteilung
Vertikale Arbeitsteilung berechtigt nicht zu einem grundsätzlichen Vertrauen. Vielmehr bestehen hier weitreichende Pflichten zu einer sorgfältigen Auswahl, Instruktion, Überwachung und Kontrolle des eingesetzten Personals. Der Umfang der Überwachungs- und Kontrollpflichten ist dabei maßgeblich vom Gefahrenpotenzial der delegierten Tätigkeit sowie der Eigenverantwortlichkeit des Beauftragten abhängig:
- Die Überwachungs- und Kontrollpflichten sind umso strenger, je größer die von der delegierten Tätigkeit ausgehende Gefahr ist.
- Je mehr Handlungsspielraum und damit eigene Verantwortung dem Beauftragten zukommt, umso geringer sind die Überwachungs- und Kontrollpflichten – ohne dass es dabei auf eine eigene Einstandspflicht des Ausführenden ankommt. Die Pflichten beim Delegierenden werden hingegen umso strenger, je konkreter die Anweisungen zur Ausführung sind.
Sonderfall: Konkrete Zweifel
Unabhängig von der Art der Arbeitsteilung besteht immer dann eine eigene Verpflichtung zu näherer Überwachung oder einem Einschreiten, wenn konkrete Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beteiligten bestehen. Dies ist etwa der Fall, wenn dieser schon in der Vergangenheit durch unzuverlässiges Verhalten, keine oder nur mangelhafte Informationen oder durch schlechte Arbeit aufgefallen ist.
Fazit
(Groß-)Baustellen verlangen von allen Beteiligten ein hohes Maß an Information, Koordination und Vertrauen. Wie sich das Zusammenspiel dieser Komponenten im Fall eines Unfalls strafrechtlich auswirken kann, hat der BGH nun dargelegt. Mit seiner Entscheidung, den Freispruch der Bauleiter aufzuheben und den Fall neu verhandeln zu lassen, geht für Baustellenbetreiber die Pflicht einher, ihre Baustelle so zu organisieren, dass alle Mitwirkenden in berechtigtem und gegenseitigem Vertrauen miteinander arbeiten können – ohne dass dies den Einzelnen zu blindem Vertrauen berechtigte. Insbesondere bei erkannten Auffälligkeiten ist jeder Beteiligte zur kritischen Bewertung der Situation angehalten.
Dr. Christopher Czimek und Dr. Vivien Veit sind als Rechtsanwälte in der auf das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht sowie die Complianceberatung spezialisierten Kanzlei KRAFT. Rechtsanwälte in Mönchengladbach tätig
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